Marko Rostek

33 Tage


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Seide ausgekleidet und ebenfalls mit kaiserlichen und katholischen Verzierungen geschmückt.

      Vor die Leichenwägen sind je vier schwarze Pferde gespannt, an deren Spitze eine Einheit der örtlichen Garnison Aufstellung nimmt. Weitere Abordnungen diverser Waffengattungen stellen sich auf beiden Seiten auf. Während die Särge in die Leichenwägen geschoben werden, erschallen im Hintergrund Salutschüsse. Meisterhaft haben die Pfleger ihre Pferde auf Ereignisse dieser Art vorbereitet, sodass keines der Tiere scheut oder in der Formation zu bocken beginnt. Ein kurzes Verweilen, ein letztes Kommando und mit dem neuerlichen Einsetzen der Trommelbegleitung setzt sich der Trauerzug Richtung Bahnhof in Bewegung, wo bereits ein Sonderzug unter Dampf steht. Für die beiden Sarkophage wird jener Salonwagen bereitgehalten, mit dem der Erzherzog knapp zehn Tage zuvor seine Reise nach Sarajevo angetreten hat.

      ***

      Während in Triest die beiden Särge in den Zug nach Wien verbracht werden, betritt in der Reichshauptstadt der königlich-ungarische Ministerpräsident Graf István Tisza das Büro von Leopold Berchtold. Für Berchtold ist es nach dem Treffen mit Conrad der zweite schwere Gesprächsbrocken, den er in diesen Tagen zu verdauen hat. Während er mit Conrad und dessen allseits bekannten Haltungen umzugehen gelernt hat, verspürt er gegenüber dem ungarischen Ministerpräsidenten stets das Gefühl der ohnmächtigen Unterlegenheit. Conrad gilt es zu besänftigen, ihn vor einem übereilten Schritt gegenüber Serbien zurückzuhalten. Bei Tisza ist die Sache anders gelagert, ihm gegenüber hat er Stärke und Handlungsbereitschaft zu demonstrieren. Einen ersten Teilerfolg gegenüber Conrad hat Berchtold vorgestern relativ problemlos erringen können, denn der General hat sich gegenüber seinen Argumenten fürs Erste einsichtig gezeigt.

      István Tisza war schon einmal, von 1903 bis 1905, ungarischer Ministerpräsident und hat seit dieser Zeit seinen politischen Einfluss und seine Macht – auch in Österreich – über viele Verbindungen und Kontakte ausbauen und festigen können. Als Tisza im Juni letzten Jahres erneut zum Ministerpräsidenten ernannt wurde, ahnte Berchtold, dass in der Außenpolitik eine neue Zeitrechnung anbrechen würde. Er hat recht behalten. Durch ihre gegensätzlichen politischen Ansichten ist es zwischen ihnen seither immer wieder zu einem harten politischen Schlagabtausch gekommen. Oft ist es der Ungar, der die komplizierte politische Landschaft in der Doppelmonarchie besser auszunutzen versteht und mit gefinkelten Schachzügen, aber vor allem mit dem Rückhalt des Kaisers, den Sieg in der Auseinandersetzung davonträgt. Berchtolds politisches Selbstvertrauen wird dadurch immer wieder schwer in Mitleidenschaft gezogen, hat ihm dies doch die wenig schmeichelhafte Nachrede des außenpolitischen Schwächlings eingebracht. Heute aber ist Berchtold auf dieses Treffen gut vorbereitet. Er will dem Ungarn klarmachen, dass er allein es sei, der von nun an die Außenpolitik bestimmen, das Heft an sich reißen und als Schrittmacher der österreichischen Reaktionen fungieren würde. Ab nun soll ein anderer Führungsstil in der Außenpolitik herrschen, der ein im Sinne des Grafen Aehrenthals geführtes Selbstverständnis demonstriert.

      Als István Tisza in Begleitung eines Mitarbeiters des Ministeriums das Büro betritt, zeigt Berchtold daher keinerlei Anzeichen von Unsicherheit oder Nervosität. Im Gegenteil, zuversichtlich und gestärkt durch die penible Vorbereitung geht Berchtold dem Ungarn einige Schritte entgegen und führt ihn nach der Begrüßung zu einer Sitzgruppe. Im Verhalten der beiden Männer liegt gespielte Freundlichkeit, zu viele diplomatische Niederlagen hat Berchtold im letzten Jahr einstecken müssen, als dass er sich jetzt über das Formelle hinausgehend freundlich zeigen wollte. „Darf ich Sie zu einer Tasse Tee einladen, Exzellenz?“ „Sehr gerne, Herr Minister.“ Ihr Tonfall ist vorsichtig und abtastend.

      Berchtold dreht sich zu seinem Mitarbeiter um, der nach wie vor in der Tür auf Anweisung wartet und veranlasst diesen mit einem Kopfnicken, sich zu entfernen. Tisza und Berchtold sitzen einander wortlos gegenüber und beobachten den Mitarbeiter, wie dieser kurze Zeit später eine Kanne auf den Tisch stellt und die beiden Tassen jeweils einem der Herren zuordnet. Sanft steigt heißer Dampf aus der schmalen Öffnung der Kanne und windet sich in die Höhe. Mit einer Verbeugung verlässt der Mitarbeiter den Raum.

      „Exzellenz“, Berchtold, der wartet, bis die Tür geschlossen ist, ergreift das Wort, „ich hatte gestern und vorgestern Gelegenheit, mit dem Kriegsminister und auch mit dem Chef des Generalstabes über die Lage nach dem abscheulichen Attentat in Sarajevo zu konferieren. Beide sind wie ich der Meinung, dass wir dieses nicht ungesühnt verstreichen lassen dürfen.“ Berchtold verschweigt Tisza bewusst seine gegenüber Conrad geäußerten Zweifel in dieser Sache und bemüht sich, ihn mit dem Hinweis auf eine meinungsbildende Eintracht zwischen den beiden obersten österreichischen Heeresleitern und ihm zu beeindrucken. Tisza lächelt zynisch und gibt Berchtold zu verstehen, dass er nicht gewillt ist, schon jetzt zu reagieren, sondern erst einmal hören möchte, was Berchtold vorzubringen hat. Er streicht mit zwei Fingern über seinen weit nach unten gezogenen Oberlippenbart, legt sein rechtes Bein über das linke und lehnt sich entspannt zurück.

      Berchtold, dem die Süffisanz seines Gegenübers nicht entgeht, hebt die Schale mit dem Zucker hoch und blickt fragend auf Tisza. Dieser wehrt mit einem leichten Kopfschütteln und einer eindeutigen Bewegung der linken Hand ab. Während Berchtold ein Stück Würfelzucker in seine Tasse fallen lässt, fährt er fort: „Ich bin überzeugt, dass auch Sie der Meinung sind, dass dem Verhalten der Monarchie gegenüber diesem unglaublichen Gewaltverbrechen entscheidende Bedeutung zukommt.“

      Ihre Blicke treffen sich. Berchtold versucht, eine Reaktion beim Ungarn zu provozieren. Nichts. Kein Nicken, kein Kopfschütteln, nur unbeirrte Blicke.

      Berchtold lässt sich nicht aus dem Konzept bringen, denn er kennt diese Selbstbeherrschung und hat sich entsprechend eingestimmt. Er bringt seine nächste Karte ins Spiel: „Durch die ersten Berichte aus Sarajevo tritt immer deutlicher hervor, dass das Verbrechen und die Urheberschaft in Serbien ihre Ursprünge haben! Sollte sich das bewahrheiten, werden wir uns der angemessenen Reaktion nicht verwehren.“ Berchtold, der sich und Tisza nun Tee einschenkt, hat diese letzte Bemerkung wie nebensächlich hingeworfen.

      „An welche Reaktion haben Sie dabei gedacht, Herr Minister?“ „Aha, ich konnte ihn aus der Reserve locken“, denkt Berchtold, während er die Kanne wieder hinstellt und beginnt, in seiner Tasse umzurühren. Den Kopf weiterhin gesenkt, antwortet er blitzschnell, so als ob die Sache bereits beschlossen sei: „Unsere Armee ist innerhalb von 16 Tagen einsatzbereit, um gegen Serbien loszuschlagen. Wir sind guter Dinge, durch eine schnelle Aktion einem Einsatz Russlands an der Seite Serbiens zuvorzukommen, denn Russlands Armee ist für den Kriegseinsatz noch nicht gerüstet!“

      Berchtold selbst ist keineswegs davon überzeugt, dass Russland hingehalten werden könnte, sollte die Monarchie einen Vergeltungsschlag gegen Serbien unternehmen. Aber sein Bluff hat gewirkt. Tisza ist sichtlich erregt, denn er legt seine hohe Stirn in Falten und macht durch eine abweisende Handbewegung sowie Kopfschütteln deutlich, dass er von einer kriegerischen Auseinandersetzung nichts wissen will. Er stellt beide Beine wieder auf den Boden und richtet sich auf. „Wenn sich die Anschuldigungen gegen Serbien bewahrheiten, sollten wir der serbischen Regierung Zeit geben, ihre Loyalität uns gegenüber zu zeigen, und nicht vorschnell über sie herfallen.“ „Dieser Meinung bin ich nicht“, kontert Berchtold, „im Gegenteil, wir dürfen in diesem Fall keine Schwäche zeigen, sonst werden Serbien und Russland umso sicherer mit unserer Ohnmacht rechnen und ihr konsequentes Zerstörungswerk fortführen.“ Jetzt geht der Minister aufs Ganze: „Damit ist auch Ihr geliebtes Ungarn unmittelbar betroffen, Herr Ministerpräsident! Denn die slawischen Völker innerhalb der Monarchie werden in ihren nationalistischen Bestrebungen weiteren Aufwind erhalten, wenn wir jetzt nicht angemessen reagieren!“ „Das hat gesessen“, überlegt Berchtold, der diesmal nicht geblufft, sondern die letzten Worte aus tiefster Überzeugung vorgetragen hat. Zudem hat er das kurze Aufflackern in Tiszas Augen mit Genugtuung wahrgenommen. Der Ungar, sichtlich beeindruckt von diesem letzten Argument, entgegnet Berchtold ein wenig irritiert: „Ich glaube, Herr Minister, dass sich die internationale Lage unserer Monarchie in Zukunft verbessern wird, wenn es gelingt, auch Bulgarien eng an uns zu binden. Denn mit diesem Gegengewicht zu den Rumänen, die, wie mir wohl bekannt ist, auf unsere östlichen Gebiete schielen, könnten wir einen stabilen Stützpunkt in der Balkanpolitik aufbauen.“ Berchtold erkennt sofort, dass Tisza hier seinen wunden Punkt, das zentrale Element seiner außenpolitischen