Reinhold Ruthe

Fass mich nicht an!


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betroffenes Kind im Durchschnitt acht Personen ansprechen, bis ihm jemand glaubt.“ 3

      Wer vorbeugen will, muss aber verstehen,

      wie Täter und Opfer miteinander umgehen,

      wer besonders gefährdet ist,

      wer die Täter und Täterinnen sind

      und was sie selbst zu Tätern oder Täterinnen macht.

       Die Strategie der Täter und die Reaktion der Opfer

      Werfen wir zunächst noch einmal einen Blick auf die Machenschaften der Täter und die Befindlichkeit und Einstellungen der Opfer, in der Regel sind es Kinder.

      Da alle Kinder unterschiedlich empfinden und unterschiedliche Persönlichkeitseigenarten spiegeln, ist es hilfreich, die Schwachstellen zu erkennen, die von den Tätern ausgenutzt werden.

      Pädosexuell empfindende Väter, Erzieher und Lehrer finden in Familien, Schulen, kirchlichen Heimen und staatlich-sozialen Einrichtungen ihren Arbeitsplatz. Sie wissen, wie sie mit Kindern und Jugendlichen umgehen müssen, um sie für ihre Zwecke dienstbar zu machen. Sie haben ein sicheres Gespür, welche Kinder und Jugendliche ihnen machtlos ausgeliefert sind. Wer in Erziehung gegensteuern will, findet in den folgenden Opferbeschreibungen sicherlich ein paar Anregungen. Welche Kinder und Jugendlichen sind gefährdet?

       1. Kinder, die sich leicht beeinflussen lassen

      Selbst wenn eine gewisse Anlage zu dieser Lebenseinstellung vorliegen sollte, handelt es sich oft um Kinder und Jugendliche, die von Eltern in ihrem Selbstwert und in ihrem Selbstvertrauen nicht gestärkt wurden. Eltern hatten vielleicht zu wenig Zeit, schenkten nicht genug Geborgenheit und Selbstsicherheit. Die Kinder fühlen sich nicht wertgeachtet. Sie wollen aber geliebt und geschätzt werden. Sie verhalten sich eher nachgiebig, artig und angepasst. Sie sind auf diese Weise ein gefundenes Opfer für Erzieher, die sich ihnen liebevoll und einfühlsam nähern.

       2. Kinder, die sich einsam und unsicher fühlen

      Auch hier liegen häufig Versäumnisse in der Erziehung vor. Es sind Kinder und Jugendliche, die in der Familie, im Kindergarten oder in der Schule übersehen, vernachlässigt oder ausgegrenzt wurden. Sie stehen abseits, fühlen sich ignoriert und sehnen sich nach Anerkennung und Zuspruch.

      Genau um diese Kinder und Jugendlichen kümmern sich die pädosexuell empfindenden Erzieher. Sie schenken ihnen Aufmerksamkeit, Beachtung und Anerkennung. Die Kinder und Jugendlichen blühen auf und sind eine leichte Beute für die Erzieher oder Lehrer.

       3. Kinder, die sich durch Geschenke oder bessere Noten beeinflussen lassen

      Wer ein Kind für sich gewinnen will, findet viele Wege und Möglichkeiten, es abhängig und gefügig zu machen. Bestechung ist eine Methode, die fast immer funktioniert. Mit Schulnoten hat der Lehrer das Kind fest in der Hand. Es will nicht durchfallen und nicht sitzenbleiben. Es kann dem Lehrer bei Missbrauch kaum widersprechen. Willfährige Kinder bekommen kleine „Pöstchen“ innerhalb der Gemeinschaft, werden anerkannt von den Tätern, und die Jugendlichen nehmen diese Geschenke gern an. Den Missbrauch erleben viele positiv. Denn die Sexualität muss ja schließlich befriedigt werden.

      Kommen dann noch die Kinder aus sehr schwierigen Familienverhältnissen oder wurden vom Jugendamt vermittelt, sind die Gefährdungen doppelt so groß.

      Die Kinder sind haltlos, fühlen sich nicht geborgen und haben keine Erwachsenen, denen sie vertrauen können. Diese Unsicherheit wird in der Regel von Tätern ausgenutzt.

      Oft handelt es sich bei den Tätern um Menschen, die durchaus eine große Ausstrahlung haben und sich geschickt in Szene setzen können. Viele Täter redeten sich heraus, die Kinder und Jugendlichen hätten sie verführt. Oder sie gaben den Schutzbefohlenen die Schuld, sie hätten regelrecht Gefallen an den sexuellen Handlungen gehabt.

      Gerold Becker, der ehemalige Leiter der Odenwaldschule (s. hierzu auch Kapitel 6), soll erst kurz vor seinem Tode die Schuld für viele Verfehlungen auf sich genommen und sich bei den betroffenen Schülern entschuldigt haben. Dass er nie ernsthaft zur Rechenschaft gezogen oder bestraft wurde, zeigt, wie in Deutschland in Politik und Pädagogik über Missbrauch und sexuelle Gewalt gedacht wird.

       4. Die Reaktion der Opfer

      Für alle Verantwortlichen in Familie und Erziehung, in Heimen, in kirchlichen und sozialen Einrichtungen sind die Reaktionen der Opfer interessant. Viele Kinder und Jugendliche haben den Missbrauch gar nicht als problematisch empfunden. Da sie kaum aufgeklärt waren und über Sexualität mit allen Erscheinungsformen wenig wussten, haben sie die Praktiken und Missgriffe als normal empfunden. Schüler, die sich wunderten, die vorsichtige Anfragen an Lehrer und Verantwortliche richteten, wurden aufgeklärt, dass schon in der Antike solche Praktiken zum liebevollen Umgang untereinander dazugehörten.

      Da Lehrer und Erzieher ganz selten brutale Praktiken ausübten, bestand für die Schutzbefohlenen kein Anlass, Eltern oder die Polizei zu informieren. Das ist wieder ein Grund, warum Kinder und Jugendliche auch später geschwiegen haben.

      Deutlich wird: Eltern, Erzieher, Lehrer und Verantwortliche sind verpflichtet, Kindern und Jugendlichen uneingeschränkt

      

die Wahrheit über alle Formen der Sexualität zu vermitteln,

      

die Wahrheit über sexuelle Gewalt und sexuelle Übergriffe zu erklären,

      

die Wahrheit über Knabenliebe, über Päderastie und Pädosexualität offenzulegen,

      

Kindern und Jugendlichen Mut zu machen, sofort jeden Missbrauch zu melden,

      

zu vermitteln, dass das Schweigen der Betroffenen den Missbrauch verstärkt.

      Noch einmal der Kernpunkt: Je mehr Defizite ein Kind

      

in Bezug auf Sicherheit und Selbstvertrauen,

      

Zuwendung und Anerkennung,

      

Liebe, Geborgenheit und Wärme aufzeigt, desto größer ist die Gefahr, dass es Opfer sexuellen Missbrauchs wird.

       Nicht Fremde und Unbekannte, sondern Vertraute und Bekannte sind die Täter

      Kinder sind normalerweise bei allem Fremden vorsichtig. Sie wissen nicht, was sie erwartet. Darum handeln Täter in einer Umgebung, wo sich Kinder sicher fühlen. Ist es daher verwunderlich, dass die Täter in der Hauptsache

      

leibliche Väter,

      

Stiefväter,

      

ältere Geschwister,

      

Onkel und Großeltern,

      

gute Bekannte, Verwandte, Freunde und Nachbarn sind?

      Das Kind hat keine richtigen Worte für das, was passiert. Das Kind erlebt „Freezing“, wie die Bindungsforscher es nennen, also einen Schockzustand, ein Eingefrorensein. Und dem Kind wird eingeredet: „Du hast mich verführt, du hast doch selbst