Petra Wagner

Der mondhelle Pfad


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du nicht haben willst und dann stell deinen Krieger vor dein ganz persönliches Schattenreich und befehle ihm, niemanden durchzulassen, es sei denn, du brauchst etwas aus der Dunkelheit.“

      „Hanibu, du wirst mir unheimlich.“

      Hanibu zog die Augenbrauen hoch.

      Viviane feixte. „Weil du mich besser kennst, als ich mich selbst. Und ich kenne mich schon länger als nur zwei Monde.“

      Hanibu verneigte sich.

      „Es ist mir eine Ehre, dich besser zu kennen, als du dich selbst, Druidin und Freundin Viviane.“

      Viviane verneigte sich ebenfalls.

      „Es ist mir eine Ehre, deinen Rat zu befolgen, schwarze Perle und Freundin Hanibu.“

      Hanibu ließ ihre weißen Zähne wieder aufblitzen und schüttelte gleichzeitig den Kopf über Vivianes Rede. Sie wusste allerdings aus Erfahrung, dass sie ihr den Vergleich mit der schwarzen Perle nicht austreiben konnte. Viviane war eben Viviane und wenn sie sich etwas in den Kopf gesetzt hatte, dann konnte man sie höchstens mit guten Argumenten vom Gegenteil überzeugen – man konnte es aber auch lassen, weil sie eigentlich nie etwas tat, was nicht rechtschaffen war. Bei Geisterflügen und imaginären Bestien konnte sie sowieso nicht mithalten.

      „Und wie willst du diese Biester in die Dunkelheit zurück schicken? Mit einem Kräutertrank wie bei deiner ersten Initiation?“

      „Bloß keine Giftmischerei! Da wird mir schon schlecht, wenn ich nur daran denke! Meine Initiationen habe ich zum Glück alle hinter mir!“ Viviane schüttelte sich angewidert und schnippte dann schmunzelnd mit den Fingern. „Da gibt es einen anderen guten Weg. Einen viel besseren. Ich werde Baria besuchen, noch vor der Sonnenwendfeier. So kann ich wirklich gereinigt mit den Göttern tanzen. Für heute ist es aber erst mal genug. Robin und Lavinia wollen sicher noch zeigen, wie gut sie auf der Tin Whistle geübt haben, während ich weg war.“

      Hanibu lachte auf.

      „Sie waren sehr emsig! Jeden Abend haben wir den anderen etwas vorgespielt. Das hat sie immer aufgeheitert.“

      Viviane verzog das Gesicht und sah den Weg entlang. Gestern noch – in einem anderen, dunklen Leben – war sie als Kriegerin durch die Buchenwälder von Raino gezogen. Hatten ihre Augen eigentlich wahrgenommen, was die Götter für ein herrliches Gebirge dort erschaffen hatten? Eine Hügelkette dicht aneinander geschmiegter Berge, hoch und erhaben, umgeben von einzeln stehenden Bergen wie Könige, die sich um einen Hochkönig sammeln. Wenn man es so betrachtete, ritt sie selbst gerade einem solchen König, dem Uhsineberga, den Buckel runter.

      Seufzend lugte sie durch die Ahornbäume, Buchen und Tannen zum Ausgang des Waldes, der als goldenes Tor inmitten grüner Wände erstrahlte.

      „Ihr habt auch eine schlimme Zeit hinter euch. Es ist bestimmt ganz schrecklich, wenn man daheim bleiben muss und gar nicht weiß, wie es den anderen geht.“

      „Es war schlimm. Aber deine Mutter hat dafür gesorgt, dass wir zu müde waren, um darüber lange nachdenken zu können. Außerdem ist Königin Elsbeth jedes Mal vorbeigekommen, wenn sie von König Gort eine Taube bekommen hat. Wir waren also immer recht gut informiert. Ach, sieh mal!“ Hanibu deutete zwischen den letzten Sträuchern hindurch über die Wiese. „Da vorne kommen Lavinia und Robin!“

      Die Kinder trugen Körbe, winkten und liefen ihnen entgegen oder besser, sie hopsten ihnen entgegen und sangen: „Wir haben kleine Hanibus, ganz viele süße Hanibus! Hanibus, Hanibus, viele, süße Hanibus!“

      Viviane sah Hanibu verdutzt an. Die lachte.

      „Mein Name bedeutet Himbeere.“

      „Sooo? Das hast du mir noch gar nicht erzählt!“

      „Wir haben Obst durchgenommen bei unseren abendlichen Lektionen in meiner Sprache.“

      „Oh, an die Lektionen habe ich gar nicht mehr gedacht, Himbeere! Quatsch. Jetzt bringst du mich total durcheinander! Ich meinte natürlich, Hanibu! Hoffentlich habe ich nicht zu viel versäumt!?“

      Viviane setzte eine leidende Miene auf, Hanibu kicherte und winkte ab.

      „Keine Sorge, Viviane. Die Kinder werden sich freuen, wenn sie dir mal etwas beibringen können.“

      Vor einem Feld, das dicht mit Färberwaid überwuchert war, trafen sie zusammen. Viviane beugte sich zu den Kindern herunter und rieb sich begeistert die Hände.

      „Mmmh, ihr habt ja viele Himbeeren gesammelt! Und groß sind die! Fast so groß wie Hanibu!“

      Lavinia und Robin sahen sich an, kicherten und streckten ihre Körbe hoch.

      „Probiert mal! Wir haben euch extra welche übriggelassen. Der Rest liegt schon im Backofen und trocknet vor sich hin. Natürlich haben wir vorher noch eine Wagenladung frisches Brot gebacken. Das Holz zum Anheizen haben wir übrigens ganz allein gesammelt.“

      „Da wart ihr aber fleißig!“ Viviane gab Hanibu eine Himbeere, nahm sich auch eine und sagte in Hanibus Sprache: „Sehr – schön – süß – die – kleine – Hanibu!“

      Die Kinder nickten eifrig und wiederholten ihre Worte. Strahlend reichte Hanibu Lavinia die Hand und auch Viviane zog Robin zu sich hoch auf Arion. Übermütig langte sie in seinen Korb.

      „Mmmh! Getrocknete Himbeeren schmecken zwar auch gut, aber frisch sind sie einfach köstlich! Mit solcher Verpflegung könnte ich ein paar Tage reisen! Aber vorher hole ich noch Afal und Armanu. Dann gibt es einen leckeren Obstsalat.“

      „Obstsalat?“, fragte Hanibu, zog verwirrt die Augenbrauen hoch und wirkte sehr besorgt. Doch Lavinia und Robin kicherten übermütig und machten untereinander aus, wer erzählen durfte. Lavinia hatte das Vergnügen und drehte sich zu ihr um.

      „Afal bedeutet Apfel und Armanu Aprikose.“

      „Ach, so! Jetzt verstehe ich. Und was heißt Robin?“

      „Rotkehlchen!“, rief Robin schnell. „Ich tauge zwar nicht für Obstsalat, aber essen tue ich ihn gerne!“

      „Das glaube ich dir aufs Wort, kleines Rotkehlchen! Und Lavinia?“

      Lavinia reckte sich und flüsterte verschwörerisch: „Der Name kommt aus dem Land der Latiner. Eine Königstochter hieß so, vor langer Zeit, tausend Jahre glaube ich. Großmutter Maras Ahnen kommen doch aus der Gegend. Eine ihrer Großmütter hieß ebenfalls Lavinia und sie hat Mama beschwatzt, ihn mir zu geben, weil ich wohl genauso ausgesehen habe, als ich geboren war.“

      „Jaaa“, gluckste Viviane. „Daran kann ich mich noch bestens erinnern! Unsere Großmutter Mara hatte schon immer ein Talent darin, den Leuten die richtigen Argumente schmackhaft zu machen. Aus dieser latinischen Königstochter, Lavinia, entwickelte sich nämlich ein stolzes und mächtiges Adelsgeschlecht und schuf nach den Griechen das größte Imperium.“

      Hanibu sah Viviane nachdenklich an. „Wer sollte …“ Ihr sackten die Schultern nach unten. „Römer.“

      Lavinia tätschelte ihre Arme und schmiegte sich seufzend hinein.

      „Vor mir brauchst du keine Angst zu haben, Hanibu. Wenn ich einmal Kinder bekomme, werde ich jedem eigenhändig den Hintern versohlen, der andere überfallen will.“

      Hanibu streichelte Lavinia über die nussbraunen Ringellöckchen und lächelte Viviane wehmütig zu. Die räusperte sich.

      „Wenn wir gewaschen sind, können wir noch ein bisschen auf der Tin Whistle spielen! Was haltet ihr davon? Und natürlich müsst ihr mir danach ganz genau vorsagen, was ihr alles in Hanibus Sprache neu gelernt habt, damit ich das auch lerne.“

      „Ja! Das machen wir!“, jauchzte Lavinia und Robin lehnte sich zufrieden an Viviane.

      Die strich ihm über das Haar und als sie den Blick wieder hob, sah sie Conall aus dem äußeren Tor treten. Auch er schien es eilig zu haben und Viviane dachte schon,