Petra Wagner

Der mondhelle Pfad


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      „Absolut korrekt, Hanibu! Du lernst wirklich sehr schnell!“

      Viviane bemerkte nicht, wie Hanibu strahlte, denn sie recke ihren Hals zum Wegende.

      „Sie haben jeder noch ein Pferd im Schlepptau und scheinbar auch ihr Abendbrot dabei. Ach, Vater und Silvanus sind auch mit von der Partie! Das hätte ich mir ja denken können. Na, wenn sie jeden Tag die Pferde tauschen, wird es ihnen in nächster Zeit nicht langweilig.“

      Viviane drehte sich zu Lavinia und Robin.

      „So ihr zwei. Das ging ja schon richtig gut. Ab jetzt könnt ihr jedes Mal die Pferde zäumen.“

      „Auch aufzäumen?“, fragte Robin hoffnungsvoll und hüpfte im hohen Bogen ins Gras. „Natürlich! Aber jetzt nehmt mal die Körbe mit rein und sagt Mutter, dass wir noch schnell zum Fluss gehen. Gegessen haben wir schon bei Tinne.“

      Als Viviane und Hanibu ihnen nach dem Waschen hinterher kamen, waren Robin und Lavinia gerade eifrig damit beschäftigt, Tontöpfe auf den vordersten Tisch zu stellen, die sie von Flora und Großmutter Mara gereicht bekamen. Taberia setzte die kleine Armanu in die Ecke auf ein Kuhfell und gab ihr kleine Holztiere zum Spielen, Noeira wickelte die schlafende Belisama in eine Wolldecke und legte sie daneben. Dann gingen die Frauen geheimnistuerisch die Treppe hoch, um etwas äußerst Wichtiges zu erledigen, wie sie Viviane versicherten. Viviane sah ihnen verdutzt nach, lenkte ihre Aufmerksamkeit aber gleich wieder auf die Kinder.

      Lavinia nahm geschäftig von drei hübsch bemalten Tontöpfchen die Deckel ab und verdrehte die Augen, weil Robin die Töpfe noch einmal unschlüssig hin und her tauschte. Als Robin endlich alles zu seiner Zufriedenheit arrangiert hatte, bedeutete er mit einer übertriebenen Geste, Viviane solle sich hinsetzen. Viviane setzte sich und schaute besonders erwartungsvoll drein. Robin breitete auch sogleich einladend die Arme über den Töpfen aus, als hätte er soeben seinen Marktstand eröffnet.

      „Schau mal, Viviane, was wir alles geschafft haben, als du weg warst!“

      Er zeigte auf den vordersten Topf.

      „Das ist Honig aus der ersten Klotzbeute. Den haben ich und Mama gemacht. Das hier ist Honig aus der zweiten Klotzbeute, den haben Lavinia und Großmutter Flora gemacht. Der hier ist aus der dritten, den haben Hanibu, Taberia und Urgroßmutter Mara gemacht. Du musst unbedingt mal probieren, Viviane! Wir wollen mit dir ein Experiment machen.“

      Robin zückte sein Messer und schabte konzentriert ein Stückchen Honig aus dem ersten Topf. Dann hielt er Viviane das Messer hin, als wolle er ihr etwas äußerst Wertvolles darbieten. Viviane nahm den Honig deshalb auch besonders ehrfürchtig entgegen und steckte ihn in ihren Mund.

      „Hmmm, sehr gut! Nicht zu süß … sehr fruchtig … mild … Ich würde mal sagen: Das ist Honig von Himbeerblüten und Erdbeerblüten.“

      Lavinia nickte eifrig. Robin nickte auch, aber ganz bedächtig.

      „Ganz genau, Viviane. Und der hier?“

      Er zückte wieder sein Messer und hielt Viviane eine zweite Scheibe hin.

      „Hmmm, das schmeckt süß … nach Sonne, Wiese, Wind … Das ist Honig von Löwenzahn.“

      Robin riss die Augen auf und sah Lavinia bestürzt an. Leicht zögernd nahm er wieder sein Messer und schnitt aus dem dritten Topf ein dünnes Scheibchen, doch diesmal musste ihm Lavinia erst einen Schubs geben, damit er es über den Tisch streckte.

      Viviane ließ den Honig im Mund zergehen und lächelte mit geschlossenen Augen.

      „Wald, Laub, Regen, Harz, Birken, Linden, … Es ist eindeutig Honig von Bäumen.“

      Robin sackte auf die Bank und kippte kraftlos mit dem Rücken an die Lehne. Er beäugte Viviane, als wäre sie ein Geist aus der Anderswelt. Viviane musterte ihn ebenso besorgt.

      „Welchen habe ich falsch gehabt?“

      Lavinia ließ sich schwungvoll neben ihn plumpsen und tätschelte grinsend Robins Hand. „Keinen einzigen, Viviane. Also …“ Sie hielt Robin ihre Hand unter die Nase.

      Robin versuchte, die Hand zu ignorieren, bis sie gegen seine Brust klatschte. Da seufzte er tief und kramte übertrieben lange in seiner kleinen Gürteltasche. Sein Mienenspiel entsprach sieben Tagen Regenwetter, als er endlich ein leeres Schneckenhaus herauszog. Lavinia schnappte es ihm aus der Hand und johlte triumphierend.

      „Na endlich! Und jetzt das gleiche Spiel noch mal mit der Marmelade, Viviane! Schließlich hat Robin noch so ein schönes Schneckenhaus. Das wird dann mit dem hier …“ Sie drehte ihre neue Errungenschaft prüfend vor den Augen hin und her. „ … einen Ehrenplatz in meiner Sammlung bekommen.“

      Robin fuchtelte abwehrend mit den Händen durch die Luft.

      „Da bekommt Viviane aber die Augen verbunden, sonst erkennt sie die ja schon an der Farbe!“

      „Ts, ts, ts!“ Lavinia stemmte die Hände in die Hüften und sah ihn mitleidig an. „Die Begründung hättest du dir besser sparen sollen!“

      Robin stutzte, verstand nicht, was sie damit sagen wollte und holte, statt zu fragen, lieber ein Leintuch vom Nagel neben dem Tellerbord.

      Nachdem Viviane auch drei verschiedene Marmeladen am Geschmack erkannt hatte und Lavinia ihren Wetteinsatz hüpfend die Treppe hochbrachte, lugte Großmutter Mara kopfüber herunter und strahlte.

      „Warte einen Augenblick, Viviane. Noeira ist gleich fertig. Mach’s dir so lange bequem!“

      Also setzte sich Viviane zu Robin, der ihre Gesellschaft allerdings nicht zur Kenntnis nahm. Doch als Noeira mit aufgesteckten Haaren die Stufen herunter kam und Vivianes Augen mit jedem ihrer Schritte größer wurden, war er in seiner Verblüffung nicht mehr alleine – wenn auch aus einem anderen Grund.

      Noeira drehte sich in ihrem neusten Kleid vor den beiden hin und her, schlenderte langsam bis zur offenen Tür, schwang dort betont würdevoll herum und kam noch gemächlicher zurück, wobei sie übertrieben ihre Hüften wiegte und den Sitz ihrer aufgetürmten Haare prüfte. Viviane klappte der Mund auf und Noeira winkte ab.

      „Ja, ja! Ich weiß, dass ich noch ein bisschen schlanker werden muss! Etwa so, guck!“

      Sie presste sich die eine Hand auf den Bauch, die andere in den Rücken und posierte vor Viviane. Ihre erwartungsvoll lächelnde Miene wurde nach einem Wimpernschlag eine ungeduldig lächelnde; im nächsten Augenblick war nur noch die ungeduldige übrig.

      „Bei allen Göttern! So schlimm ist es doch nun auch wieder nicht! Conall sagt, mein Bauch ist schon wieder schön fest. Und das nach nicht mal zwei Monden und immerhin beim zweiten Kind! Noch hundert Mal Butter stampfen und circa zwei Dutzend Hühner rupfen, dann bin ich wieder knackig wie ein frisch gepflückter Apfel! Vielleicht noch den Rest des Jahres Korn mahlen?“

      Prüfend schaute sie an sich herunter und runzelte die Stirn.

      „Oder meinst du, gelb passt nicht zu mir?“

      Viviane erwachte aus ihrer Starre und wedelte beschwichtigend mit den Händen.

      „Nein, nein, Noeira, es liegt nicht an deiner Figur! Du bist wirklich schon wieder schön schlank … beneidenswert schlank!“ Viviane tätschelte ihren Bauch und strich das Kleid glatt, worauf sofort die kleine Beule sichtbar wurde. „Hoffentlich geht das bei mir dann auch so schnell … Und dieses leuchtende Gelb passt einfach genial zu deinen rotblonden Haaren, wie … wie ein herrlicher Sonnenaufgang. Nein, Noeira, ich bin einfach nur so perplex! Das ist doch die Seide, die ich euch aus Britannien mitgebracht habe!?“

      Noeira nickte stolz und hielt ihr Kleid hoch, damit Viviane sich überzeugen konnte. Bewundernd strich sie über den weichen Stoff und schüttelte langsam den Kopf.

      „Ich habe schon so viele schöne Kleider gesehen … aber dieses hier ist einfach … fantastisch.“

      Noeira klatschte begeistert in die Hände und jauchzte