Petra Wagner

Der mondhelle Pfad


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und führt sie zum rechtmäßigen Beilager, auf dass uns alle der süße Schlaf neue Kraft für den morgigen Tag schenkt.“

      „Hmpf“, machte jetzt Viviane und schaute ihrem Vater nach, der Flora unter hakte und beschwingten Schrittes zur Tür hinausging. Silvanus nahm tröstend ihre Hand und flüsterte ihr etwas ins Ohr, woraufhin sich ihre Mundwinkel wieder nach oben bewegten.

      Alle polierten sich die Zähne mit ihren kleinen Wolltüchern, pulten mit spitzen Haselnussgerten die Zahnzwischenräume frei, spülten kräftig aus und gingen in ihre Häuser. Silvanus hielt sich dicht hinter Viviane, strich ihr unauffällig über den Rücken und erhaschte im Obergeschoss noch einen Kuss von ihr. Artig verschwand er hinter dem Vorhang und legte sich neben Medan und Loranthus auf sein Strohlager.

      Doch bei den Maiden auf der anderen Seite des Vorhangs wurde es nicht ruhig, im Gegenteil. Viviane japste laut. Hastig schlug Silvanus seine Wolldecke zurück und schnellte hoch, da hörte er Viviane fragen: „Wer hat das gefilzte Täschchen auf mein Lager gelegt?“ Also stand er sehr leise auf und lugte ganz vorsichtig durch einen äußerst winzigen Spalt. Medan und Loranthus postierten sich zu beiden Seiten und schielten mit hindurch.

      Lavinia kicherte schelmisch und hopste mit Schwung auf ihr Schaffell.

      „Na, ich und Hanibu natürlich, wer denn sonst? Wir haben es ja schließlich extra für dich gemacht.“

      „Das hübsche Filztäschchen ist für mich? Grün mit roten Karos, das habt ihr aber schön gemacht!“

      Lavinia winkte Viviane näher heran und flüsterte in ihr Ohr: „Du kannst es auch aufmachen. Einfach an der Schleife ziehen, dann aufklappen.“

      „Das kommt mir irgendwie bekannt vor“, raunte Viviane verschwörerisch zurück, tat aber gleich, wie ihr geheißen.

      Vorsichtig zog sie die Schleife auf, die ein wenig zu groß geraten war – bestimmt hatte Lavinia sich daran versucht. Mit spitzen Fingern schlug sie die vier Ecken auseinander und japste: „Aber das ist ja ein Fidchellspiel! Ein Fidchellspiel aus grünem Filz mit rotem Wollfaden für die Karos! Und die Spielfiguren sind kleine Halbkugeln aus Holz, mit irren Mustern in Orange-Braun und Violett-Weiß! Was sind denn das für Dinger? So was hab ich im Leben noch nicht gesehen!“

      „Pantherschildkröten“, kiekste Lavinia und kuschelte sich eng an Hanibu. „Hanibu hat uns aufgemalt, wie sie aussehen und Noeira hat sie aus ein paar Lindenholzabfällen geschnitzt. Die wilden Muster hat Hanibu aber selber aufgemalt. Sie sind wirklich echt, hat sie uns versichert. Besonders die jungen Pantherschildkröten sind total farbenprächtig, wenn sie so alt sind wie ich und … ob du es glaubst oder nicht: Sie sind auch so schwer wie ich, oder noch schwerer! Stell dir das mal vor, Viviane! Natürlich sind die hier eine Miniaturausgabe!“

      „Was es nicht alles gibt …“

      Viviane ließ sich auf ihren Schlafplatz am Fenster sinken und schaute ungläubig auf ihre Finger, die mit den abstrakt gemusterten Halbkugeln klapperten. Je mehr sie die Pantherschildkröten mischte, desto verwirrender wurde das Farbenspiel. „Wahnsinn! Sie sind wirklich winzig und federleicht. Ideal für ein kleines Täschchen. Ein Fidchellspiel zum Mitnehmen …“

      Jetzt kicherte Hanibu und sprach langsam in der Mundart der Hermunduren: „Kannst du dich noch erinnern, wie wir auf der Wiese gelegen haben? Damals hatte ich Angst vor deinen Leuten, weil ich so anders aussehe als ihr und du hast gesagt …“

      Viviane drehte sich zu Hanibu und nickte.

      „Du wirst sehen, meine Leute werden dich gut aufnehmen, sei ganz zuversichtlich. In fast jeder Herde gibt es schließlich ein schwarzes Schaf. Jetzt haben wir endlich auch eins.“ Viviane lächelte wehmütig. „Ja, ich kann mich noch an jedes Wort erinnern, obwohl es mir so vorkommt, als wäre es schon ewig her. Dabei war das gerade mal vor zwei Monden.“

      „Und was hast du noch gesagt?“

      „Ich hab dich zum Lachen gebracht, weil ich gesagt habe: Du und ich auf der Weide als Schafe, wie wir genüsslich den Löwenzahn kauen. Und was wir dann für eine Wolle abgeben. Meine Mutter macht daraus die exotischsten Kleider in Schwarzweiß. Darauf kann man dann Fidchell spielen. Ich höre schon die Rufe der Händler: Fidchell spielen wann immer du willst! Leicht und luftig oder dick und wärmend!“

      „Genau. Und das habe ich Lavinia alles erzählt.“

      Hanibu drückte Lavinia an sich, beide lächelten glücklich.

      „Wir haben in deiner Sprache gesprochen und in meiner Sprache und manchmal auch mit den Händen und Füßen … Aber wir konnten uns gut verstehen. Lavinia kann deshalb sogar schon ein paar Wörter in Griechisch.“

      Lavinia rutschte sich gerade zurecht und deutete auf das Fidchellspiel in Vivianes Händen.

      „Eines Nachts bin ich aufgewacht und hatte diesen Einfall. Hanibu war ganz begeistert, obwohl ich unbedingt grüne und rote Wolle nehmen wollte statt braun und weiß. Sie hat mir auch beim Filzen geholfen, sonst wäre es wohl nicht so schön gleichmäßig geworden.“ Lavinia verzog entschuldigend das Gesicht, doch nur kurz, und redete dann stolz weiter: „Natürlich ist das hier kein richtiges Brett wie bei dem Spiel, das du Papa aus Britannien mitgebracht hast. Dafür kann man es aber beidseitig benutzen.“

      Viviane hielt anerkennend das viereckige Wolltuch hoch und besah sich auch die Karos auf der Rückseite.

      „Es ist perfekt. Das war ein genialer Einfall, Lavinia!“

      Lavinia streckte sich und nickte heftig.

      „Noeira hat das auch schon gesagt, weil ich …“ Sie seufzte und zog einen herzerweichenden Schmollmund. „Weil ich so traurig war.“

      „Traurig? Wo du so ein schönes Fidchellspiel gemacht hast?“

      Lavinia hob Achtung heischend den Finger, klapperte mit den Augenlidern und langte unter ihre Wolldecke. Dort raffte sie etwas Kugeliges ein und streckte Viviane die geschlossenen Hände entgegen.

      „Ich war traurig, weil meine eigene Idee für die Spielfiguren nicht funktioniert hat. Ich wollte nämlich unbedingt Elefanten filzen, wie die Figuren bei dem echten Fidchellspiel.“

      „Aha, Elefanten.“

      Viviane machte einen langen Hals mit neugierigem Gesicht, bis Lavinia die Finger spreizte. Da schlug sie sich die Hand vor den Mund und prustete los: „Ist der aber niedlich! Ein rosa Flaumball mit Segelohren und kurzen Wollfäden, einer dick, einer dünn!“

      „Ja, ja! Lach nur! Nach diesem Probeexemplar habe ich es eingesehen: Elefanten kommen nicht in die Tasche. Sie sind einfach zu dick und die Rüssel sind in Wirklichkeit auch länger …“

      „Ach, nein! Der kurze Rüssel reicht vollkommen! Er muss doch kein Gras rupfen! Und, dick … hm …“ Viviane piekte dem wuscheligen Ball ihren Finger in die Stelle, wo sie den Bauch vermutete. „Ich weiß nicht … Irgendwie sieht er wirklich wie ein Elefant aus. Ich habe zwar noch keinen echten gesehen, aber wenn ich ihn mal mit den Figuren von Vaters Fidchellspiel vergleiche … außer, dass er rosa ist …“ Sie drehte den Wuschel prüfend nach allen Seiten und strich ihm liebevoll über die abstehenden rosa Ohren. „Nein, dick ist er nicht, höchstens gut im Futter. Und erst das niedliche Schwänzchen hinten dran! Sogar mit Quaste!“

      Viviane wedelte den winzigen Wollfaden hin und her, der am Ende einen Knoten hatte und dahinter extra verzottelt war. Das konnte nur der Schwanz sein, denn der vermeintliche Rüssel war etwas länger und glatt. Verschmitzt grinsend, warf sie den Ball hoch in die Luft und fing ihn wieder auf, plötzlich riss sie die Arme auseinander und umarmte Lavinia und Hanibu stürmisch.

      „Das ist das schönste Geschenk, was ihr mir machen konntet! Ich danke euch von ganzem Herzen!“

      „Das freut uns, Viviane.“ Lavinia nahm ihr das gefilzte Tuch aus der Hand. „Guck mal! Wir haben extra eine schmale Brettchenwebkante in Grün-Rot gemacht, die legst du einfach ein und fertig ist die Umhängetasche. Aber jetzt wird geschlafen. Die Nacht ist kurz und morgen wird