Horst Riemenschneider

Verdorbene Jugend


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Überraschung. Mit der hätte ich aber rechnen können. Vor einiger Zeit hatte ich während des Schlafens einen Pubs gelassen, bei dem ein Teelöffel voll Nasses dabei war. Als ich es an dem betreffenden Morgen bemerkte, war die Sache schon relativ trocken. Um es zu verstecken, legte ich eine dünne Wolldecke darüber, die als Reserve immer am Fußende des Bettes auf der Decke lag. Während ich beim missglückten Sportwettkampf war, wurde von den im Heim Gebliebenen ein Wäschewechsel durchgeführt. Die hatten dann ihren Spaß und ich das Schämen. Sie meinten, und das war wohl Hüsings Idee, ich hätte einen Pfennig im Bett versteckt gehabt.

      Haider kam dazu und meinte, dass das jedem einmal passieren kann, aber ich hätte mich doch gleich um ein frisches Laken bemühen sollen.

      Es dauerte nicht lange, und ich musste erneut in das Krankenzimmer. Da war ein Lehrling aus dem Thüringer Wald, der wollte mir unbedingt „die Freß vollhaue“. Warum, das könnte nur er sagen. Er gehörte nicht in meine Gruppe im Betrieb, also auch nicht in meine Schulklasse. Er wohnte im Heim in einer der letzten Stuben der Neulinge und saß deshalb auch nicht in der Nähe meines Tisches beim Essen. Er war sogar einer von denen, die am Schraubstock eine Unterlage benötigten. Ich ging ihm so gut es ging aus dem Weg. Doch an einem Nachmittag, nach der Arbeit, gelang es ihm, mit mir eine Keilerei anzufangen. Als er mich nicht bezwingen konnte, begann er zu schlagen. Ich wehrte mich so gut ich es vermochte. Beim Abdrehen von meinem Gegner verpasste ich ihm einen Schlag, der ihm wohl reichte, doch mir am rechten Handballen, auf der kleinen Fingerseite, einen Bluterguss einbrachte. – Im Ergebnis musste ich meine rechte Hand einige Zeit in Lehm einpacken.

      Im Betrieb ging der Grundlehrgang Metall weiter. Ich hatte die Fehlzeit so recht und schlecht aufgeholt. Nachdem wir die Schenkelenden des ersten U-Stahlstückes fast abgefeilt hatten, gab es ein neues U-Stück mit den gleichen Abmaßen wie das vorher bearbeitete. Wir hatten schon beim ersten U-Stück gelernt nach Anriss zu feilen, wobei der erste Anriss noch vom Lehrausbilder vorgenommen wurde. Die anderen Anrisse besorgten wir selbst. Beim Bearbeiten mit der Feile ging es nun darum, dass beide Anrisse an den Schenkeln des U-Stahles gleichmäßig noch zu sehen waren. Beim zweiten U-Stahl wurden in der Regel nur zweimal angerissen. Dann ging es an die Stegfläche. An dieser Fläche übten wir das „eben feilen“.

      Zur Überprüfung der Ebenheit dieser Fläche benutzten wir ein Haarlineal. Bei diesen Arbeiten, dem eben und winklig feilen habe ich aufgeholt. Komplizierter wurde dann das Feilen der Stirnseiten, doch das gelang mir ebenfalls ganz gut. Beim winklig feilen wurde zum Überprüfen ein rechter Winkel benutzt. Die dafür verwendeten Winkel waren sehr genau und wurden, wie auch das Haarlineal sehr pfleglich behandelt. Wenn wir diese Messzeuge benutzten, wurde auf der linken Seite hinter dem Schraubstock ein dicker Lappen ausgelegt, auf dem diese Messzeuge abgelegt werden konnten. Nach der Nutzung oder zum Feierabend wurden die Messzeuge mit einem Lappen abgewischt und hauchdünn mit Vaseline eingerieben. So kamen sie dann in ihr Fach.

      Nachdem das U-Stück fertig war, wurde ein Flachstahlstück bearbeitet. Das musste eben, winklig und maßhaltig gefeilt werden. Zum Messen benutzten wir eine Schieblehre, mit der man bis 0,1 Millimeter genau messen konnte. Die Sache wurde immer komplizierter, aber ich fand Gefallen daran und überlegte, ob ich nicht meinen Beruf wechseln könne. Nach den Informationen, die wir erhielten, war das im ersten Lehrjahr möglich, wenn es sich um einen Beruf handelt, der im Betrieb ausgebildet wird. Dazu müsste man die Unterschrift des Vaters erhalten. Meiner war aber zu diesem Zeitpunkt nicht greifbar. Er war zur Wehrmacht eingezogen und beteiligte sich gerade an der Besetzung Polens. Ich hatte also kaum Gelegenheit, meinem alten Herren meinen Wunsch beizubringen und dazu noch seine Unterschrift einzuholen. Die Feldpost war viel zu lange unterwegs.

      Die Metallbearbeitung war nicht das einzige, was mich reizte, den Beruf zu wechseln. Vielmehr war es die Möglichkeit, Büchsenmacher zu werden. Dafür interessierte ich mich nun mehr, je länger ich in der Lehre war. Ich begann also recht bald, meine Berufswunschänderung zu verbreiten, sagte dazu gleich, dass es mit der Unterschrift des Vaters Probleme geben könnte. Zunächst wurde ich aber als Technischer Zeichner weitergeführt.

      Unsere Tätigkeiten im Betrieb mussten wir in einem Merkheft niederschreiben, in dem der Lehrausbilder wöchentlich seinen Kontrollvermerk darunter setzte. Diese Tätigkeiten mit den dazu passenden Zeichnungen wurden dann in ein „Werkstattheft“ übernommen. Die Werkstatthefte wären aber noch nicht geliefert und das müsste alles nachgeholt werden.

      Weiter erfuhren wir, das wir noch ein mehrwöchiges Ausbildungslager absolvieren sollten. Da es zur Zeit noch nicht möglich wäre, das Ausbildungslager durchzuführen, seien während der Arbeitszeit Ordnungsdienste geplant. Zu diesem Ordnungsdienst wurde jeweils ein Ausmarsch angesetzt. So ein Ausmarsch ging in der Regel zum Betriebstor hinaus hinter den Bahnhof Heinrichs. Da ging links am Bahnhof vorbei eine Unterführung zu einem Tal, durch das ein Feldweg führte. Auf diesem Feldweg übten wir die Grundstellung und das Wenden. Auch das Grüßen wurde geübt. Auf der sich nach links in den Grund anschließenden Wiese übten wir das Antreten.

      Gleichzeitig war das eine Möglichkeit uns zu triezen. „Zwo mal links schwenk! – marsch, marsch!“ und so weiter, wo es auch einmal andersherum ging, wo das Hinlegen und das „Sprung auf, marsch marsch“ nicht fehlte. Wir hatten ja nun unsere Arbeitsanzüge und da durfte man uns eben so richtig scheuchen.

      Wir sollten unsere Kleidung so auf unseren Schemeln ablegen, dass wir uns schnell anziehen konnten. Man sagte dazu auch „Päckchen bauen“. Das wurde in der freien Zeit im Lehrlingsheim geübt. Auch Probealarme wurden durchgeführt, wobei es vor allem darum ging, uns im Dunkeln schnell anzuziehen.

      Der Heimleiter war mit uns zufrieden. Wir hatten im Heim keine Keller und so auch keine Schutzräume. Dazu war vereinbart, dass wir in die Keller der Einfamilienhäuser gehen könnten, die am Berg über dem Arbeitsdienstlager standen. An der oberen Grenze dieses Lagers war noch ein Tor, von dem aus man über eine etwa 80 Meter breite Wiese in mittlerer Hanglage zu diesen Häusern gelangen konnte. Unsere Baracke stand etwa zehn bis zwölf Meter vom oberen Zaun entfernt, wo es natürlich auch schräg nach oben ging, aber wesentlich steiler als auf der Wiese. Man konnte das eher als eine Böschung betrachten. Dazu kam noch, dass man von der linken Seite aus einen Weg aufgeschüttet hatte, der mindestens mit einem Gespann befahren werden konnte.

      Durch dieses Tor sind wir bei schönem Wetter zur Arbeit gegangen. Da war es etwas näher zum Betrieb. Wir konnten einen hinteren Betriebseingang nutzen und so war der Weg nicht zu weit. Für Lehrlinge, die im oberen Betriebsbereich eingesetzt waren, wirkte sich das besonders günstig aus. Doch dazu gehörte ich noch nicht. Bei schönem Wetter deshalb nur, weil der Hang in das Tal bei Heinrichs schlammig und glatt wurde. Da konnte man sich gut die „Klamotten einsauen“. Wenn wir auf der Anhöhe zum Betrieb gingen – wir marschierten da nicht mehr – war es interessant zu sehen, wie sich der Dampf der Lokomotiven bei ruhiger Morgenluft wie eine Perlenkette über den Zug und dann über das Tal streckte. Eine Zeit lang konnten wir auch zusehen, wie ein Flugzeug, eine Dornier II, gegen die Nonnen, einen Holzschädling, Gift versprühte. Das Flugzeug stürzte ab und es kreiste dann kein anderes mehr.

      Inzwischen lernten wir unsere Leute vom Luftschutzkeller kennen und es gab ein „Probesitzen“. Die Häuser gehörten zur Lauterbergsiedlung in der auch das Haus meines Onkels Hans stand. Unsere „Kellerhäuser“ standen am Rand des Berges und das Haus von Onkel Hans befand sich am anderen Ende dieser Siedlung. Ich hab mich dort bei Tante Lotte ab und zu einmal sehen lassen. Onkel Hans war ebenfalls eingezogen.

      Der Krieg war nun schon über zehn Monate lang und keiner von uns glaubte, dass es einmal in dieser Gegend zu einem Bombenangriff kommen werde, zumal wir nun schon Frankreich besiegt hatten. Doch da ertönten in einer Nacht die Sirenen. Wir verhielten uns wie geübt und saßen dann im zugewiesenen Keller. Ich weiß nicht mehr, wie lange der Alarm andauerte. Wir waren endlich froh, wieder in unsere Koje zu kommen.

      Nach unserem Ermessen war weiter nichts geschehen. Wir hatten uns aber getäuscht. Nicht einmal so sehr weit entfernt von unseren Kellern, aber in Richtung unseres Betriebes, waren drei Bomben eingeschlagen. Erhard Haider, der Heimleiter, schlug uns vor, die Bombentrichter gemeinsam aufzusuchen. Erwartungsvoll ging es los. Zum oberen Tor hinaus gingen wir an den „Kellerhäusern“