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Dieter Janz
Kriminalerzählung
Bibliografische Informationen der Deutschen Bibliothek:
Die Deutsche Bibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte Dateien sind im Internet über http://dnb.ddb.deabrufbar
Impressum:
© 2009 Verlag Kern
Inhaltliche Rechte bei Dieter Janz (Autor)
Herstellung: Verlag Kern, Bayreuth, www.verlag-kern.de
Fotografie: Siegfried Franz
Umschlagdesign und Satz: www.winkler-layout.de
1. digitale Auflage: Zeilenwert GmbH 2012
ISBN 9783944224008
Inhalt
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Für Tamara
Oktober 1887
Anna und Maria genossen den herbstlichen Waldspaziergang. Es war ein sonniger Tag, die Blätter der Bäume waren in die herrlichsten Farben getaucht und für Oktober war es noch außergewöhnlich warm. Der Tag neigte sich dem Ende zu, und, wie in den ostpreußischen Masuren üblich, würde es bald deutlich kühler werden. Also sahen die beiden jungen Damen zu, jetzt so bald wie möglich nach Hause zu kommen. Zuhause war das Gut Adlig-Linkunen in Ostpreußen der Familie Kokies, Wilhelm-Antonius und Friederike. Maria war deren Tochter, das jüngere Kind, sie hatte einen noch vier Jahre älteren Bruder, Johannes, von allen meistens Hannes genannt. Dieser hielt sich jedoch, zum Leidwesen seines Vaters, selten in Linkunen auf. Er hatte sich der Juristerei verschrieben und daher ein Jura-Studium in Berlin begonnen. Sein Vater sah in diesem Vorhaben allerdings keinen Sinn; als künftiger Gutsherr brauchte man seiner Ansicht nach keine Kenntnisse im deutschen Reichsrecht. Zumal im Ostpreußen des angehenden 19. Jahrhunderts die Uhren bezüglich der Rechtssprechung und des Rechtsverständnisses etwas anders gingen als im übrigen Preußen. Die Gutsherren und der wohlhabende preußische Landadel waren weitgehend autonom. Auf den großen Gütern walteten und schalteten die Besitzer nach eigenem Gutdünken, teilweise betrachteten sie ihre Untertanen fast als Leibeigene. Andererseits übernahmen sie auch die Verantwortung für sie in jeder Hinsicht: Arbeit, Krankheit, Tod und Versorgung der Hinterbliebenen. Dies funktionierte manchmal mehr recht, manchmal mehr schlecht. Als einzige Autorität akzeptierten die Gutsherren mehr oder weniger den preußischen König und das preußische Militär. Das neuerdings vorhandene deutsche Reich war von geringem Interesse, der deutsche Reichstag ebenso. Dass es einen Deutschen Kaiser gab, nahm man als gegeben hin. Man hätte fast den Eindruck bekommen können, und böse Zungen behaupteten dies sogar, beim ostpreußischen Landadel war die Tatsache, dass der Deutsche Kaiser und der preußische König ein und dieselbe Person waren, nicht bekannt. Im Gegenzug versorgte Ostpreußen das Militär mit Soldaten und Offizieren; als fast ausschließliches Agrarland war es von enormer Bedeutung für das restliche Reich. Die zweit- und drittgeborenen Söhne des Gutsherrn hatten keinen Anspruch auf das Erbe des Gutes, also bot sich für sie eine militärische Karriere als Offizier an. Einer aus ihren eigenen Reihen hatte eine politische Laufbahn eingeschlagen und es immerhin zum Reichskanzler des neumodischen Deutschen Reiches gebracht, ein gewisser Otto von Bismarck.
Im Großen und Ganzen hielt man in Ostpreußen an den alten hierarchischen Strukturen fest. Umso außergewöhnlicher war das Verhältnis zwischen Anna und Maria. Die beiden waren wie Schwestern, etwa gleichaltrig und fast unzertrennlich. Sie waren gemeinsam auf dem Gut Adlig Linkunen aufgewachsen. Solche Freundschaften stellen nicht unbedingt etwas Besonderes dar; nur, Maria war die Tochter der Herrschaften, Anna die von Friedrich und Berta Doepius. Friedrich hatte die Stellung des Butlers im Herrenhaus Kokies, Berta war die Zofe von Friederike Kokies. Es war zwar nicht die Regel, aber hin und wieder kam es schon vor, dass die Kinder von Angestellten und die der Herrschaften gemeinsam aufwuchsen, miteinander spielten und später einen Teil ihrer Freizeit miteinander verbrachten. Aber ein so enges Verhältnis wie zwischen Anna und Maria war etwas ganz Außergewöhnliches, zumal, was die soziale Stellung ihrer Eltern anbelangte, Welten zwischen ihnen lagen. Innerhalb der Dienerschaft hielten Butler und Zofe eine relativ hohe Rangordnung ein, aber dass sich ihre Tochter auf derselben gesellschaftlichen Ebene bewegte wie die ihrer Dienstherren war schon etwas ganz Besonderes. Herr und Frau Kokies behandelten Anna fast wie eine eigene Tochter. Sie durfte am Unterricht durch die Hauslehrer von Maria und Hannes teilnehmen, wodurch sie zu höheren Bildungsweihen gelangte. Auch Hannes sah in Maria fast seine zweite Schwester; der Kontakt zu ihm war in der letzten Zeit etwas spärlich, da er sich die meiste Zeit zwecks Studiums in Berlin aufhielt.
Anna und Maria waren also auf dem Weg nach Hause, als Maria seitlich unter ein paar Büschen im Wald eine Gruppe Steinpilze stehen sah.
„Anna, die können wir uns nicht entgehen lassen!“, rief sie laut aus.
„Was können wir uns nicht entgehen lassen?“, fragte Anna nach.
„Da, sieh doch, die Steinpilze! Die holen wir uns noch!“ Kaum hatte sie es ausgesprochen, als sie auch schon im Wald verschwand.
„Maria, lass das, es ist schon recht spät! Die Pilze stehen auch morgen noch da; lass uns nach Hause gehen, bevor es dunkel wird. Wir müssen mindestens noch eine Viertelstunde laufen!“ Doch Maria hörte nicht auf Annas Einwände. Anna blieb auf dem Weg stehen, sie verspürte keine Lust, Pilze zu sammeln und wartete ungeduldig auf Marias Rückkehr. Von ganz fern konnte man ein leises Hufeklappern hören, das langsam näher kam. Der oder die Reiter schienen auf demselben Weg zu sein wie die beiden Mädchen, das heißt nur Anna, denn Maria war ja im Wald verschwunden.
Der