Dieter Janz

Schatten über Adlig-Linkunen


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wie Sie es uns hier zu demonstrieren bereit waren!“

      Bouffier las den Entführerbrief zu Ende, schaute dann zu Herrn Kokies auf und sagte: „Ja, natürlich, der Herr! Wie viele Menschen hatten den Zettel in der Hand, nachdem er gefunden wurde?“

      „Soweit ich weiß, nur Goldfeld und ich, sonst niemand. Warum fragen Sie das?“

      „Ein gewisser Herr Welker hat 1851 ein Verfahren namens Daktyloskopie erfunden. Danach hat jeder Mensch ein ganz eigenes Muster seiner Ringe in der Haut an den Fingerkuppen; in der Anthropologie wird dieses Verfahren eingesetzt.“

      Jetzt war Kokies‘ Gesichtsausdruck eher verärgert. Was schwadronierte dieser Mann über irgendwelche anthropologischen Methoden angesichts der dramatischen Situation, in der sie sich befanden. Bouffier schien die Skepsis in Kokies‘ Gesicht zu bemerken und fuhr fort: „Es gibt Wissenschaftler, die behaupten, diese Fingerkuppenringe hinterlassen auf allem, was man anfasst, also auch einem Stück Papier, einen unsichtbaren Abdruck, sozusagen einen Fingerfleck, den man durch Staub oder Asche sichtbar machen kann. Ich habe mich damit beschäftigt und Versuche gemacht. Vielleicht gelingt es mir, einen solchen Abdruck auf diesem Papier sichtbar zu machen. Sofern sich Flecken finden, die weder Ihren oder des Verwalters Fingern zuzuordnen sind, könnte es sich um die Abdrücke eines der Entführer handeln…“

      „Mein Gott Bouffier“, unterbrach ihn Kokies, „darüber können Sie sich meinetwegen später Gedanken machen, jetzt haben wir zweifellos Wichtigeres zu besprechen!“

      „Entschuldigen Sie bitte, Sie haben sicher Recht. Wann wurde das Papier gefunden?“

      „Vor ca. einer Viertel Stunde hat Goldfeld es mir gebracht, er war sofort gekommen, nachdem er es gefunden hat.“

      „Hat er jemanden in der Nähe des Hauses herumschleichen oder wegrennen gesehen?“

      „Soweit ich weiß nicht, aber Sie können ihn gerne selbst befragen, er hält sich im Verwalterhaus auf.“

      „Was beabsichtigen Sie zu tun, wollen Sie das Lösegeld zahlen?“

      Jetzt meldete sich Friedrich zu Wort: „Das können wir nicht, soviel Geld haben Berta und ich nicht!“

      Kokies nannte die Summe und der Butler sah sich in seiner Annahme bestätigt. Aber Wilhelm-Antonius wandte ein: „Natürlich habe ich nicht angenommen, dass Sie über die notwendigen Mittel verfügen. Daher habe ich mich entschlossen, Dein Einverständnis voraussetzend, liebe Friederike, für das Lösegeld aufzukommen. Ich glaube, es gibt keine andere Möglichkeit, Anna freizubekommen, oder, Herr Bouffier?“

      „Das sehe ich im Moment genauso“, antwortete dieser. „Da wir keinerlei Anhaltspunkte haben, wo und in wessen Gewalt sich Anna befindet, müssen wir auf die Forderungen der Halunken eingehen. Wir müssen das Lösegeld, wie angeordnet, im Wald deponieren. Es ist unmöglich, jemanden dort zu verstecken, um den Abholer unbemerkt zu verfolgen. Wenn die merken, dass sie entdeckt werden könnten, ist Anna in höchster Gefahr. Erst wenn sie wieder frei ist, können wir mit den Ermittlungen beginnen, um die Verbrecher zu fassen. Hinrich“, Bouffier wandte sich an seinen Assistenten, „gehen Sie bitte zum Verwaltungsgebäude und fragen Sie sämtliches Personal, das sich dort in der Nähe aufgehalten hat, ob sie jemanden Fremden gesehen haben. Versuchen Sie, so viel wie möglich rauszubekommen!“

      „Jawohl Chef!“ Mit dieser knappen Antwort verabschiedete sich Hauptwachtmeister Hinrich und verließ die Bibliothek. Nun ergriff Kokies wieder das Wort: „Ich stimme Ihnen im Großen und Ganzen zu, Bouffier; morgen früh soll jemand eine Tasche mit dem Geld an der genannten Stelle deponieren. Sollte nicht aber jemand in einem Versteck die Stelle beobachten?“

      „Ich schlage vor“, antwortete Bouffier, „dass Hinrich die Tasche mit dem Geld deponiert, während ich mich zuvor in der Nähe auf die Lauer lege. Vielleicht gibt es ja tatsächlich etwas zu beobachten, was mir für die weiteren Ermittlungen von Nutzen ist. Aber ich werde nicht die Verfolgung des Abholers aufnehmen, um Anna nicht in Gefahr zu bringen. Nach ihrer Freilassung werde ich, wie gesagt, die weiteren Nachforschungen beginnen und dazu muss ich natürlich„ , er wandte sich bei diesen Worten Friedrich und Berta zu, „auch Ihre Tochter befragen müssen.“

      Nach dem nun das Wichtigste gesagt worden war, löste Kokies die Versammlung in der Bibliothek auf und zog sich mit Bouffier in sein Arbeitszimmer zurück, um die Einzelheiten der Lösegeldübergabe zu besprechen. Zum Abschluss ließ er sich eine kleine Reisetasche auf das Zimmer bringen. Dann schob er eine Bücherwand zur Seite und dahinter kam ein Tresor zum Vorschein, aus dem er die nötige Menge Goldmark entnahm und sie in die Tasche steckte, die er dann Bouffier übergab. Dieser fühlte sich ein wenig geschmeichelt ob des Vertrauens, das Kokies ihm entgegenbrachte, indem er das perfekte Versteck seines Tresors preisgab. Immerhin mussten dort beträchtliche Geldmengen, vielleicht auch Schmuck und andere Wertsachen gelagert sein. Auf der anderen Seite war ihm klar, dass man sich auf ihn als Polizeibeamten hundertprozentig verlassen können musste und völlige Diskretion erwarteten konnte.

      Anna war zuweilen ganz alleine in dem Raum, der nachts spärlich von einer Kerze beleuchtet wurde. An Flucht war dennoch nicht zu denken, die Außentür war verschlossen, und selbst wenn sie sich durch eines der kleinen Fenster gezwängt hätte, wohin hätte sie fliehen sollen? Sie hätte sich in den endlosen Wäldern verirrt, völlig die Orientierung verloren und wäre damit verloren gewesen. Jetzt lag sie auf der Chaiselongue, mit einer Wolldecke zugedeckt. Das Feuer im Ofen brannte noch, so dass es im Raum leidlich warm war. Im Haus oder der Hütte war es ansonsten still, von draußen drang das Rauschen des Waldes hinein und von Ferne konnte man hin und wieder Wolfsgeheul vernehmen. Anna hatte am Abend eine undefinierbare Suppe, etwas Brot, Speck und Wasser bekommen und konnte tatsächlich etwas essen. Danach durfte sie sich hinlegen. Ihre Entführer taten ihr nichts an, sie behandelten sie korrekt, wenn man das in diesem Zusammenhang überhaupt so nennen kann. Anna waren die schlimmsten Befürchtungen durch den Kopf geschossen, vor allem hatte sie panische Angst vor sexuellen Gewalttaten, aber, Gott sei Dank, erwiesen sich ihre Befürchtungen als grundlos. Diese Männer hier waren nicht die typischen Peiniger, wie man sie aus Gruselgeschichten langer Winterabende kannte. Nachdem sie sich auf die Chaiselongue gelegt hatte, versuchte sie, an etwas Schönes, Beruhigendes zu denken, um nicht erneut in Panik zu geraten. Sie konnte sich nicht vorstellen, einschlafen zu können, aber irgendwann übermannte sie doch die Müdigkeit und sie sank in einen unruhigen, von wirren Träumen begleiteten Schlaf. Zwischendurch wachte sie immer wieder auf und vernahm die Geräusche, die von draußen aus dem Wald in den Raum drangen. Hin und wieder meinte sie, ein leises, flüsterndes Gespräch vom Nebenraum zu hören; dann aber schlief sie wieder ein.

      Sie wurde aus ihren Albträumen geweckt, als es draußen schon dämmerte und der Tag anbrach. Die drei Gestalten, immer noch vermummt und bewaffnet, waren im Raum und machten sich am Herd zu schaffen, offensichtlich um so etwas wie ein Frühstück zuzubereiten. In der Tat stellten sie etwas Brot, Speck und einen Becher mit bräunlicher Flüssigkeit auf den Tisch, die in ihrer Farbe Kaffee ähnelte, aber mehr oder weniger nur nach heißem Wasser schmeckte. Anna rieb sich die Augen, erstaunt über sich selbst, dass sie in ihrer Situation fast die ganze Nacht geschlafen hatte. Sie stand langsam auf, die Wolldecke beiseite schiebend und ging zum Tisch, um sich dort auf einen Stuhl zu setzen. Die drei Männer schauten hin und wieder zu ihr, schienen sie aber sonst nicht weiter zu beachten. Insgesamt war die Stimmung an diesem Morgen etwas entspannter als am Abend zuvor, aber Anna wagte es dennoch nicht, Fragen zu stellen, etwa danach, wo sie sich befand oder ob sie wieder freigelassen würde. Wortlos nahm sie einen Schluck aus dem Becher und die heiße Flüssigkeit tat gut. Von dem Brot und Speck bekam sie aber keinen Bissen hinunter. In ihrem Gefängnis befand sich kein Spiegel, aber Anna konnte sich auch so vorstellen, wie ihr Erscheinungsbild war. Die Haare zerzaust, das Kleid völlig zerknittert, das Gesicht ungewaschen, musste sie ein erbarmungswürdiges Bild abgeben. Anna war ein schönes Mädchen, nicht allzu groß, schlank mit vollen blonden Haaren, einem zierlichen Gesicht und leuchtenden Augen. Um ihren Mund lag stets ein leichtes Lächeln. Doch dieses Lächeln war ihr jetzt vergangen, ihre Gesichtszüge waren von Angst, zwischendurch von Panik und Trauer geprägt. Dennoch hatte sie nichts von ihrer Schönheit eingebüßt, ihr Anblick konnte jetzt aber eher Mitleid als Bewunderung auslösen. Der Tag verging trostlos, die