Gunter Preuß

Niccoló und die drei Schönen


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rote und blaue Tintenflecke und unter manchem Fingernagel einen dunklen Rand hatte. „Meinst du?“ Sie ließ beide Hände in den Hosentaschen verschwinden.

      „Soll ich dir was sagen, Paula?“

      „Sag’s oder sag’s nicht. Ich bin nicht neugierig. Also, sag’s schon.“

      Plötzlich verließ ihn der Mut. Es war gar nicht so einfach, einem Mädchen etwas wirklich Wichtiges zu sagen. Er zeigte zu den Sperlingen hinauf, die im Geäst der Kastanie saßen und drauflos zwitscherten. „Hör doch mal. Hör nur, was die Vögel singen.“

      Paula drehte erst ihr linkes und dann ihr rechtes Ohr den Spatzen zu, lauschte und sagte dann: „Ich höre nur: Piep, piep, piep.“

      „Ja“, sagte Niccolò eifrig. „Das ist genau das, was ich dir sagen will.“

      „Piep, piep?“

      „Ja, und weißt du, was das heißt?“

      „Was weiß denn ich.“ Paula zupfte ärgerlich an ihren Haarbüscheln. „Bin ich vielleicht ein dreimal blöder Vogel?“

      „Bist du nicht“, beruhigte Niccolò. Seine Stimme sollte fest klingen, war aber doch ziemlich bröcklig. „Also, ich sage es dir jetzt auf Italienisch. Ich sage dir: Io ti amo.“

      „Verstehe nicht die Erbse. Sag’s mir doch lieber auf Deutsch rückwärts.“

      „Na schön. Ich werde es versuchen, Paula: Chi – ebeil – hcid.“ „Was höre ich da?“

      „Chi ebeil hcid!“

      „Na, du kannst vielleicht Witze machen, Niccolò Rosenbusch.“

      Sie standen sich gegenüber mit glühenden Köpfen. Niccolò hörte aus dem Grün die Vögel singen. Und irgendwo mussten auch die Glocken läuten. Er drückte fest die Daumen und wünschte, dass jetzt die Zeit stehen bleiben sollte. Alles sollte so bleiben, wie es war. Denn es war genau richtig so.

      Aber Paula atmete hörbar aus, rückte energisch ihre Herzbrille zurecht, ihre Stimme klang fraulich tief, als sie sagte: „Nur keine Aufregung. Es hat längst zum Unterricht geklingelt. Wir müssen zurück in das siebenmal verdammte Klassenzimmer.“

      Paula Klette lief mit kleinen festen Schritten zur Schultür. Niccolò folgte ihr taumelnd. Bismarck hielt die Tür auf und ließ sie passieren, als hätte er nur auf ihr Kommen gewartet. Das Männlein stand stramm, die Enden seines überdimensionalen Schnauzbartes stießen spitz nach oben. Als Paula vorbei war, flüsterte er Niccolò ins Ohr: „Haltung, Junge.“ Das klang, als wüsste er über alles Bescheid.

      Niccolò nickte verwirrt, ihm war, als sei er ein Kreisel, der von Paula Klette in Bewegung gesetzt, sich nun endlos drehen musste.

      Niccolò hatte sich viel vorgenommen. Er wollte Paula in die neu eröffnete Eisdiele „Italienische Küsse“ zum Spaghettieisessen einladen. Das Ballköpfen und Elfmeterschießen würde er ihr beibringen, damit sie René Kiekhahn nicht mehr anstaunen musste. Am Sonntag dann wollte er mit ihr ins Kino gehen.

      Aber am nächsten Tag fehlte Paula in der Schule. Donnerhall sagte, sie sei krank. Der Schulalltag ging weiter, als sei nichts geschehen, dabei war doch für Niccolò die halbe Welt zusammengebrochen. Er war doch Paula schon so nahe gewesen, und nun war sie wieder unerreichbar weit weg.

      Nach dem Unterricht schlenderte Niccolò am Siedlungshaus der Klettes vorbei. Er hypnotisierte die Fenster, von denen die meisten durch Tannen verdeckt wurden, dass sich eines öffnen und Paula herausschauen sollte. Aber wieder versagte die Hypnose, und er nahm sich vor, das Buch „Die Kraft der Gedanken“ noch einmal gründlich zu lesen und sich im Internet über das Thema zu informieren.

      Niccolò hatte versucht, Ole zu überreden, ihn zu Paulas Haus zu begleiten; aber der hatte abgewinkt und gerufen: „Keine Zeit heute.“ Die Spitznase des Freundes glühte, er war mit schlenkernden Armen davongerannt.

      In den Pausen stand Ole unruhig bei den Halben Pfunden, wohl um auf einen Wink Godzillas sofort reagieren zu können. Im Unterricht schien er mit seinen Gedanken weit weg zu sein.

      Auch Niccolò sinnierte vor sich hin. Seit Paula Klette sich nicht mehr sehen ließ, bereitete ihm alles keine rechte Freude mehr. Er dachte, dass es ihm vielleicht besser gehen würde, wenn er inzwischen mit Imke Liebstöckel ein paar Worte wechselte. Mal sehen, ob die Schöne für ihn zu sprechen war.

      In der Mittagspause ging er zu ihr und sagte betont fröhlich und als würden sie sich schon lange kennen: „Grüß dich, Imke.“

      Die Schöne hatte wie immer die Kopfhörer auf den Ohren und war gerade dabei, sich ihre langen Fingernägel schwarz zu lackieren. Sie pustete auf den frischen Lack, hielt ihre gespreizte Hand von sich weg und blickte kritisch auf ihr Werk.

      „Was hörst du denn da so?“, fragte Niccolò, als die Schöne ihm endlich einen Blick schenkte.

      „Hä?“ Sie rückte die Hörmuscheln etwas von ihren Ohren, dass Geräusche zu hören waren, als schepperten Eisenstücke gegeneinander.

      „Was ist das denn für – Musik?“

      „Nichts für Pampers, Halbe Pfunde und Hauspflaumen.“

      „Aber sie hat doch einen Namen. Oder?“

      „Heavy Metall ist wieder angesagt“, sagte Imke nun gönnerhaft. „Motörhead. AC/​DC, et cetera pp.”

      „Ah, so.“

      Mit rauer Stimme sagte sie ohne Niccolò anzusehen: „Und?“

      „Nichts“, sagte Niccolò und betrachtete bewundernd die in ein langes schwarzes Kleid gehüllte Schöne. Zu ihren dreizehn schwarzen Ringen war noch ein vierzehnter dazugekommen, der durch die Unterlippe gepierct war. Er hätte sich gern aus ihren dunkelblauen Haaren ein glitzerndes Sternchen herausgezupft. Imke erschien ihm wie aus einem Märchenbuch herausgetreten, eine Zauberin aus alter Zeit.

      „Was nichts?“

      Imke Liebstöckel streckte noch immer beide Hände von sich, sie lehnte sich zurück an die Hauswand und schloss die Augen. Die Schöne wandte ihr Gesicht der Sonne zu, die gerade zwischen zwei weißen Wolken auftauchte.

      „Einfach nichts“, sagte Niccolò. „Ich wollte nur mal sehen, wie es dir so geht.“

      Imke gähnte. Niccolò sah es kurz in ihrem Mund aufblitzen. Er fragte sich, ob das eine Zahnspange oder vielleicht gar eine Perle war.

      „Geht so“, sagte Imke nach einer Weile.

      „Mit geht’s auch so“, sagte Niccolò. Am liebsten hätte er ihr sein Herz ausgeschüttet: wie sehr ihm Paula Klette fehlte.

      „Ich meine“, sagte Imke, die bei ihrem gemächlichen Sprechen manchmal lispelte, so dass Niccolò doch auf eine Zahnspange tippte, „beschissen geht’s.“

      „Das meine ich doch auch. Beschissen. È uno schifo. Total beschissen. Proprio uno schifo.“

      „Das klingt ja galaktisch. Einwandfrei galaktisch.“ Imke kippte ihren Kopf nach vorn, öffnete die Augen, schenkte Niccolò einen Blick, als wäre er eine Katze, die plötzlich gebellt hat, und kehrte in ihre Ausgangsposition zurück.

      „Spanisch oder so?“

      „Italienisch.“

      „Tatsächlich galaktisch“, meinte Imke Liebstöckel. „Lass doch mal hören!“

      „Was denn?“

      „Na was man so lallt eben.“

      „Und was lallt man so?“

      Imke konnte über so viel Unwissen nur den Kopf schütteln. Sie sagte: „Na eben Scheiße.“

      „Das heißt Cacca.“

      „Tatsächlich Kacka?“

      „Ja,