Adalbert Ludwig Balling

In Dankbarkeit und Freude


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nichts an! Sie hatten immer noch nicht begriffen, dass dieser schreckliche Krieg längst verloren war. – In unserer Familie atmeten wir merklich auf; die amerikanischen Soldaten retteten uns vor dem möglichen Abtransport in die von den Nazis so genannten Ostgebiete.

      Die Nächte vor dem Eintreffen der Amerikaner hatten wir im Luftschutzkeller unseres Nachbarn Michel Kuhn verbracht. Dort waren die Mauern dicker und die Kellerfenster besser geschützt als die in unserem Haus. Wir hatten ja schon am Karfreitag die amerikanischen Panzer in einige umliegende Dörfer vordringen gesehen; wir waren vorgewarnt.

      Zu dieser Zeit hielten sich noch fanatische SS-Leute im Stalldorfer Wald versteckt. Das erfuhren wir aber erst später. Nachdem Papa und Nachbar Ferdinand Düchs die weißen Fahnen schon am Karfreitag in die Giebelfenster gehängt hatten, erschienen plötzlich bewaffnete SS-Leute und drohten Bürgermeister Michael Düchs, den Vater meines Schulkameraden Ernst, auf der Stelle zu erschießen, falls die beiden weißen Fahnen am Ortseingang nicht binnen weniger Minuten entfernt würden. Der Befehl wurde ausgeführt; die weißen Fahnen mussten schnellstens wieder abgehängt werden. Papa versteckte sich hinter einem Strohhaufen in der Scheune und kam erst dann wieder hervor, als es sich herumsprach, dass das kleine Trüppchen mit den Totenköpfen auf ihren Mützen wieder abgezogen war. Aus einer Entfernung von einem halben Kilometer richteten sie allerdings ihre Geschütze ein letztes Mal auf unseren Kirchturm, jedoch ohne ihn zu treffen...

      Ebenfalls in der Karwoche 1945 (also noch vor dem Eintreffen der Amerikaner) hatten mehrere hundert französische Kriegsgefangene im Dorf übernachtet; auch bei uns waren Scheune und Ställe belagert. Wir halfen mit bei ihrer Verpflegung, überließen ihnen Decken und Strohbündel und wurden gleichzeitig mitverantwortlich dafür gemacht, falls sich Gefangene bei uns versteckten oder versuchen würden, von unserem Hof aus zu fliehen. Diese Kriegsgefangenen kamen von weit her; man munkelte vom Rhein-Main-Gebiet. Sie wurden von nur wenigen deutschen, meist älteren Soldaten, bewacht. Die Franzosen waren durch die Bank freundliche Männer, die alle etwas Deutsch sprachen und längst wussten, dass Hitlers Regime nicht mehr lange andauern würde.

      Ein katholischer Geistlicher, ein französischer Abbe, der den Gefangenenzug begleitete – es hieß, sie seien auf dem Weg in die bayerischen Alpen –, stellte unserem Papa und unserer Familie, ehe sie wieder abzogen, ein Zeugnis in drei Sprachen aus – auf Deutsch, Französisch und Englisch – sinngemäß folgenden Inhalts:

       Wer immer diesen Hof betrete, möge wissen, hier wohnen gute Leute; keine Nazis und auch keine anderen Feinde. Man möge bitte den Herrn des Hofes und alle anderen Familienangehörigen höflich und wohlwollend behandeln. . .

      Dass es zu diesem Brief-Zeugnis gekommen ist, dazu hat auch unsere Mama ganz unauffällig beigetragen. Sie hatte, sofern von den Bewachern nicht beobachtet, einigen hungrigen Gefangenen zusätzlich einige Esswaren zugesteckt. Auch warme Kleider und Decken für die Nacht.

      Leben mit den Besetzern Schulspeisung aus den USA

      Die amerikanischen Soldaten blieben einige Zeit im Dorf; hielten es sozusagen unter Kontrolle. Eine ihrer ersten Amtshandlungen war die Ernennung eines neuen Bürgermeisters. Dazu konsultierten sie zuerst unseren Gemeindepfarrer Hans Spielmann. Der sollte ihnen den Namen des Mannes nennen, der vor den Nazis im Amt war. Nachdem dieser, Andreas Michel, nicht mehr bereit war, wenigstens vorübergehend die Geschäftsführung zu übernehmen, wurde unser Papa ins Pfarrhaus zitiert. Auch er lehnte ab. Auf seinen Vorschlag hin wurde dann Ignaz Kuhn vom amerikanischen Offizier zum Bürgermeister ernannt.

      Im Dorf selber hatten die Besetzer sich auf eigene Faust in mehrere Häuser einquartiert. Über ein paar Wochen hielten sie die Stellung und brachten eine total andere Kultur in die fränkische Region. Vieles, was sie taten und wie sie sich benahmen, war uns fremd. Sie verhielten sich für unsere Begriffe außergewöhnlich leger und lässig, um nicht zu sagen ruppig und flegelhaft. Auf jeden Fall, so meinten die Erwachsenen, seien ihr Benimm und ihre alltäglichen Verhaltensweisen echter Soldaten unwürdig.

      Wenn sie marschierten, hörte man nichts. Kaugummi-Soldaten sagten die älteren Männer schier schon verachtend. Völlig ungewohnt für deutsche Ohren, die sich an die lärmenden Soldatenstiefel der Wehrmacht gewöhnt hatten.

      Ständig hatten sie, die wir alsbald nur noch die Amis nannten, Kaugummi im Mund, warfen uns hin und wieder ein paar Päckchen zu, gähnten vor Langeweile laut und anhaltend, lümmelten sich auf mitgebrachten Klappstühlen, legten ihre Füße samt staubigen Stiefeln auf die Tische, rauchten ununterbrochen und quasselten in einem fort.

      An ihrer Feldküche blieben wir oft stehen: Die hatten vieles, was wir seit Jahren nicht mehr gesehen und gegessen hatten. Oder überhaupt noch nie. Und sie führten alles mit sich: Konserven über Konserven. Wenn sie ihre Steaks brieten, lief uns das Wasser im Mund zusammen. Ihre Weißbrote belegten sie mit Butter. Scheibchenweise! Darauf ein riesiges Kotelett. Das kam uns Dorfbuben fast vor wie ein Verbrechen gegen die Menschheit – gegen jene, die hungern mussten: Butter und Kotelett auf einer dünnen Scheibe! Als ich es zuhause unserer Mama erzählte, schüttelte sie nur den Kopf. Heimlich hielt sie es wohl, wie die meisten Erwachsenen, für ein Sakrileg.

      Sie hatten einfach alles, diese amerikanischen Soldaten! Und alles im Überfluss. Auch Schokolade, Orangen, Bananen, Kakao – kurzum alles, was man bei uns früher, vor dem Krieg, in den sogenannten Kolonialwaren-Handlungen kaufen konnte. Seit Kriegsausbruch mussten wir in Deutschland weithin diese aus dem Ausland importierten Artikel und Waren entbehren. Viele von uns Kindern hatten zuvor noch nie eine Banane gegessen, manche seit Jahren keinen Riegel Schoko mehr. Auch Corned Beef hatten die Amis zuhauf. Hunderte von Büchsen und Dosen. Da mussten wir erst noch herausfinden, wie das schmeckte.

      Später, im Internat und am Gymnasium in Miltenberg, lernten wir die amerikanische Schulspeisung kennen; das war ein Hochgenuss für uns ständig hungrige Buben. Es gab abwechselnd Kakao mit Semmeln, gebacken aus amerikanischem Weizen. Daneben, meist abwechselnd, ließen sie dicke Erbsensuppe mit eingebrockten Fleischstückchen verteilen. Für meine Klassenkameraden, die nicht auf Bauernhöfen aufgewachsen waren und eben keine gelegentlichen Fresspakete von Hause bekamen, war die Schulspeisung ein wahres Wunder!

      Kurzum, mit den amerikanischen Soldaten kam eine ganz andere Welt zu uns ins Dorf. Wir Kinder fanden, zum Unterschied zu den Großen, diese schlaksigen Kerle recht interessant. Aber wir bekamen auch mit, wenn die Erwachsenen unter sich von jenen jungen Frauen sprachen, die sich mit ihnen, den Amis, einließen. Ami-Schicksen nannte man sie damals. Sie hielten es mit allen, die eine Uniform trugen, auch mit denen schwarzer Hautfarbe. Das klang, wenn die Erwachsenen darüber redeten, ziemlich verächtlich. Besonders negativ beurteilten ehemalige Nazis diese Fräuleins. Dass es einigen von ihnen ums pure Überleben ging, wurde kaum erwähnt. Denn es waren auch mittellose junge Frauen unter ihnen, deren Männer gefallen oder vermisst waren – und nun alleine für ihre Kinder sorgen mussten.

      Wir Buben kannten bald schon die Verstecke der GIs. Sobald wir wussten, wohin sie zu einem Schäferstündchen unterwegs waren, lauerten wir ihnen besonders gerne auf. Denn wir ließen uns erst dann wieder vertreiben, wenn sie uns zuvor Schoko, Kaugummi oder Zigaretten zugeworfen hatten. Letztere waren überall sehr begehrt – und sündhaft teuer. Wir horteten die Zigaretten heimlich auf den Eisenbalken unseres alten Stalls, ehe wir selber erstmals eine rauchen würden – oder später dafür wertvolle andere Waren eintauschten.

      Späte Erinnerungen an die Ami-Soldaten

      An etwas anderes erinnere ich mich noch sehr gut. Es war, glaube ich, noch am Abend des Ostersonntags; die Panzer waren erst ein paar Stunden im Dorf – da ließ ein Soldat seinen Jeep mit zwei Kollegen vor unserem Hoftor stehen, rannte über den Hof in die Küche und sagte zu Mama in fließendem fränkischen Hochdeutsch: Mutter, habts net a Dutzend frische Eier für uns? Ich geb euch Zigaredden oder Schocklaad dafür! Er bekam die gewünschten Eier, bedankte sich höflich und sagte beim Verlassen des Hauses, er sei in Fürth11 geboren, doch schon etliche Jahre vor dem Krieg mit seinen Eltern in die USA ausgewandert. Damals