in Ihrem Krankenhaus, Herr Doktor, und ich bin doch Ihre Sekretärin, Veronika von Hess-Prinz.“
„Ich kenne kein Krankenhaus mit diesem Namen und Sie kenne ich schon gar nicht und das will ich auch gar nicht.“ Er schloss die Augen und die Sekretärin hob verzweifelt die Schulter.
Jetzt mischte sich der Chefarzt der Inneren Abteilung ein, der hinzugekommen war: „Wie heißen Sie denn?“
„Muniel.“
„Herr Doktor Muniel sogar. Wir beide und zehn andere sind in diesem Provinzkrankenhaus die einzigen Personen, die den Doktortitel haben.“
„Warum? Bin ich Arzt?“
„Ja schon – aber den Beruf mussten Sie nicht ausüben. Diese Mühe ist Ihnen erspart geblieben. Sie haben eine komfortablere Karriere gemacht. Sie haben nämlich nach dem Medizinstudium schlauerweise noch Betriebswirtschaft drangehängt und in diesem Fach dann sogar promoviert.“
„Oh Gott, davon weiß ich ja gar nichts. Im Moment bin ich noch völlig durcheinander! Hat mir jemand einen schlechten Schnaps aus der Türkei eingeschenkt, den ich gar nicht vertrage? Fragen Sie mich morgen wieder, ich bin sehr müde. Ich schließe jetzt die Augen und Sie können mich alle mal.“
Schon wieder ein Beispiel seiner bekannten überaus charmanten Art, dachten die Ärzte der Intensivstation sofort und werteten es als positives Zeichen.
„Das Gedächtnis wird schon wiederkommen und wenn es Wochen dauern sollte. Wir werden eine neurologische Frührehabilitation beantragen. Die Hoffnung stirbt zuletzt“, tröstete der Chefarzt der Inneren Abteilung, Herr Professor Pfeiferlich, der sich glücklich schätzen durfte, bisher noch nicht mit Muniel zusammengerasselt zu sein. Er selbst hatte weniger Probleme mit der Geschäftsführung, da seine Abteilung gute Bilanzen aufwies. Die ökonomisch schlechten Patienten verlegte er auf die Geriatrie.
Das EKG von Herrn Muniel lag jetzt in Zwölfkanalversion, also komplett, mit allen Ableitungen vor. Wie vermutet, zeigte es keine Herzinfarktzeichen und ergab auch keinen Hinweis für eine massive Lungenembolie. Dafür waren die Zeichen eines hohen Kaliumspiegels im Blut im EKG deutlich zu sehen. Draußen im Gang vor der Intensivstation wollte der junge Assistenzarzt Doktor Gscheidle, obwohl er mit seiner Bemerkung beim Oberarzt zuvor auf die Nase gefallen war, noch einmal den Gedanken eines Tötungsdeliktes mit Kalium ins Gespräch bringen. Diesmal wurde er nicht zurechtgewiesen. Der Chefarzt klopfte ihm auf die Schulter und lobte ihn vor der ganzen Mannschaft: „Ja, exzellenter Einfall, Herr Kollege! Gott sei Dank haben wir hier intellektuelle Unterstützung aus dem Schwabenland. Sie haben vollkommen recht: Bei unklaren Fällen müssen wir wie bei allen schwierigen Diagnosen auch an das Unwahrscheinliche denken“, sprach er feierlich mit erhobenem Zeigefinger. „Übrigens, Frau von Hess-Prinz: Hoffentlich haben Sie das Kaffeegeschirr und die Gläser noch nicht gewaschen!“
„Nein, es ist noch in der Spülmaschine und die wird abends vom Reinigungspersonal eingeschaltet!“ Alle schauten erstaunt auf, als die Sekretärin ironisch bemerkte: „Manchmal denken auch Frauen scharfsinnig, Herr Chefarzt und Kriminalhauptkommissar, auch wenn sie nur aus Hessen stammen.“
Der musste schmunzeln und setzte noch einen drauf: „Sie sind eine überaus scharfsinnige, vorausschauende und neuerdings wohl auch witzige Frau“, übertrieb der Chefarzt Doktor Pfeiferlich mit dem sonnigen Gemüt eines Rheinländers, der lieber zu viel als zu wenig lobte, besonders aber Frauen.
Frau von Hess-Prinz freute sich trotzdem darüber. Sie hatte einfach keine Lust gehabt, das Geschirr von Hand zu spülen – sie hatte genug andere Dinge zu tun!
„Herr von Risseck, meine Herren“, fuhr der Chef der Inneren Abteilung fort, „ich gratuliere Ihnen – Sie haben alle eine gute Arbeit geleistet, auch wenn wir ein wenig oder vielleicht auch viel Glück hatten. Frau von Hess-Prinz, darf ich Sie bitten, die Kriminalpolizei zu verständigen? Alles können wir nicht selbst machen, Sie haben den Sachverhalt mitbekommen. Wo ist denn übrigens die Frau Muniel? Frau von Hess, haben Sie sie angerufen?“
„Ja, Herr Chefarzt, aber die meldet sich nicht, weder auf der Festnetznummer noch auf dem Handy. Na ja, ich versuche es später noch mal. Zuerst die Kriminalpolizei.“
Alle schauten ihr nach, wie sie beschwingt zu ihrem Büro eilte.
Bereits eine halbe Stunde später trafen der Hauptkommissar Joe Moser, seine Kollegin, die Kommissarin Gertrude Gerngross, und die Spurensuche im Büro von Muniel ein. Sie nahmen die Fingerabdrücke an der Türklinke und den beiden Kaffeetassen. Der Hauptkommissar bat Frau von Hess-Prinz, alle Ärzte und die Pflege in den Konferenzraum zu rufen, dass von allen Fingerabdrücke und DNA-Analysen durch Speichelproben genommen werden konnten.
„Ist das denn wirklich nötig?“, warf seine Kollegin Gertrude Gerngross ein.
„Gertrude, du wirst es verstehen, wenn du erfährst, was mit dem Geschäftsführer geschehen ist. Verzeih, ich hätte es dir gleich nach dem Telefonat mit dem Chefarzt der Inneren Medizin erzählen sollen. Das Opfer hat eine quasi tödliche Dosis Kaliumchlorid in die Vene gespritzt bekommen. Er hat unglaublich Schwein gehabt, weil der leitende Oberarzt der Intensivstation ihn noch mit Schnappatmung aufgefunden hat und mit der Wiederbelebung beginnen konnte, bevor das Hirn irreversibel geschädigt war. Das Zeug, so über die Vene verabreicht, bewirkt mit Sicherheit einen Herzstillstand. Ohne den hohen Kaliumgehalt im Blut hätten die Ärzte uns ja nicht gerufen. Angeblich kam die Idee von einem Doktor Gscheidle aus Ulm. Ja, die Schwaben denken bekanntlich langsam, aber richtig.“
„Danke, Joe, du scheinst dich ja nicht nur in der Medizin, sondern auch bei den Schwaben auszukennen.“
Joe schmunzelte nur, weil er ähnliche Bemerkungen schon öfters gehört hatte und Gertrude diese Art von zickigen Bemerkungen wohl witzig fand. Er kam gut mit ihr zurecht, weil er Frauen mit scharfen Kanten mochte und einfach Humor hatte.
„Ich habe Übung, mit schwierigen Frauen umzugehen“, pflegte er dann die männlichen Mitarbeiter zu beruhigen, wenn die sich in der Kantine wegen angeblicher Zicken von weiblichen Kollegen schon mal aufregten. Das mit dem Medizinstudium traf ihn aber doch immer wieder hart, weil das tatsächlich sein Wunsch gewesen war. Das war sein neuralgischer Punkt. Leider waren seine Abiturnoten und das Geld von zu Hause nicht ausreichend gewesen, um diesen Wunsch zu erfüllen. Seine Eltern hatten ihn schließlich zu einer Polizeikarriere überredet.
„Gertrude, jeder, der in eine Vene spritzen kann, ist verdächtig. Es handelt sich eindeutig um einen Mordversuch. Dies umso mehr, als natürliche Ursachen des Herzstillstands, wie zum Beispiel ein Herzinfarkt, wie ich verstanden habe, ausfallen. Oder sollen wir noch mal die Ärzte fragen?“
„Nein, Joe, danke.“
„Was glaubst du, wie der potentielle Täter vorgegangen ist?“
„Eventuell dürften vor der Injektion K.-o.-Tropfen oder Ähnliches verabreicht worden sein. Mit einem Holzhammer hat der Täter – wie Figura zeigt – ja nicht zugeschlagen! Wir müssen das Blut des Opfers also auf Betäubungsmittel untersuchen lassen!“
„So ist es.“
Der Hauptkommissar und sein Team
Joe Moser – seit seinem Amerikaaufenthalt bestand er auf diesen Vornamen, obwohl er doch Josef hieß – war für die Abteilung Mordkommission ein wahrer Glücksfall. Er war ein schneller analytischer Denker mit großer Erfahrung. Mit seinen neununddreißig Jahren war er auf seinem beruflichen Zenit. Seine Ausbildung hatte er in München und Frankfurt absolviert. Außerdem war er von seinem früheren Chef für zwei Jahre zum FBI nach Washington geschickt worden. Dort und bei weiteren Fortbildungen in den USA konnte er die modernen Methoden des Profilings trainieren. Im Team mochten ihn alle. Die männlichen Mitarbeiter mutmaßten sogar, dass die weiblichen Kollegen ihn heimlich anhimmelten, was der Pathologe nicht verstehen konnte.
„Ach, weißt du“, pflegte dann der Toxikologe Doktor Mai dem Pathologen Doktor Müller zu sagen, „du bist ja nur neidisch. Was kennst du denn die Frauen. Man kann die doch gar nicht verstehen, höchstens