Robert Kurz

Weltordnungskrieg


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auf den ökonomisierten Alltag verengt werden, geradezu monströse Formen an; die Hightech-Vernichtungsmaschinen erscheinen tatsächlich als ganz normale „Arbeitsplätze“. So heißt es in einer Reportage über die US-Bombereinsätze in Jugoslawien: „Vor ein paar Tagen flog der Pilot eines B2-Tarnkappenbombers der US-Air Force von Knob Noster, Missouri, aus nach Jugoslawien. Dort warf er mehr als ein Dutzend 900-Kilo-Bomben ab, die sogar Bunker zerstören können. Danach drehte er ab und flog ohne Zwischenlandung wieder zurück zu seiner Basis im Mittleren Westen der USA… Als er heimkam, so der Pilot, ,küsste mich meine Frau und sagte: Mäh bitte den Rasen, ich gehe derweil die Kinder abholen. Als die häuslichen Pflichten erledigt waren, gingen wir zu Pizza Hut, weil es einen besonderen Anlaß gab‘ - sein erster erfolgreicher Kampfeinsatz. Zum erstenmal in ihrer Geschichte führen die USA einen anhaltenden Bombenkrieg - zum Teil von ihrem eigenen Boden aus. Der Tarnkappenbomber, ein Flugzeug, das mit seiner Spannweite von 52,5 Metern wie ein riesiges Raumschiff von der Form eines Bumerangs aussieht, flog im vergangenen Monat mehr als 30-mal den 30-Stunden-Einsatz von der Luftwaffenbasis Whiteman nach Jugoslawien und zurück. Die 45 in Whiteman stationierten Bomberpiloten erleben etwas Einmaliges in der Geschichte des US-Militärs: Sie wohnen zu Hause und kämpfen gleichzeitig in einem Krieg in einem fernen Land, über das ihre Nachbarn wenig wissen. ‚Der erste Einsatz war an seinem Geburtstag‘, so die Frau eines Piloten. ‚Ich gab ihm ein Lunchpaket mit Geburtstagskuchen mit. Am folgenden Tag hatte mein Sohn ein Fußballspiel und schoss sein erstes Tor‘. Ihr Mann, rechtzeitig wieder zurück, sei darauf sehr stolz gewesen. Dennoch fand sie diese Erfahrung ‚sehr seltsam - erst Bomben werfen, heimkommen und das Fußballspiel des Sohnes anzuschauen‘. Es sei irgendwie unheimlich, sich in seinem eigenen Badezimmer anzukleiden und dann in den Kampf zu ziehen‘, berichtet auch ein Pilot… Wenn sie den feindlichen Luftraum wieder verlassen, ruft ein Offizier auf der Basis ihre Frauen daheim in Knob Noster an… ‚Dann‘, so ein Pilot, ‚holt uns die Wirklichkeit ein.‘ Als er von seinem ersten Bombardierungseinsatz heimkam, war seine Frau noch bei der Arbeit. ‚Ich habe lange geduscht, zwei Stunden geschlafen und dann für meine Frau zum Abendessen Spaghetti gekocht…“ (Ricks 1999).

      So haben wir es mit einer Polarisierung zu tun, die exakt den beiden Seiten von Krise und Globalisierung entspricht: Oben der postmoderne Hightech-Spießer, der sich seiner Bombenlast entledigt und an den häuslichen Feierabend denkt; unten der postmoderne scheinbare Archaiker, der mit Flinte, Axt und Messer plündernd und vergewaltigend auf seine Umgebung losgeht. Und es ist nicht zu entscheiden, welcher von beiden das schlimmere Monster darstellt. Beide sind gleichermaßen von Ignoranz und Begriffslosigkeit gegenüber den gesellschaftlichen Zusammenhängen gezeichnet, die sie hervorgebracht haben.

      Die Nemesis der demokratischen Weltignoranz erweist sich allerdings an der durchschlagenden Erfolglosigkeit der Weltordnungskriege, misst man deren Ausgang an ihrem eigentlichen Zweck. Zwar werden Armeen wie die irakische oder die jugoslawische regelmäßig besiegt, aber auf dieser Ebene liegt ja gar nicht das Problem und ist deshalb so auch nicht zu lösen. Woran die selbsternannte Weltpolizei notwendig scheitert, das ist eben ihre polizeiliche Mission, die nicht mit einer politisch-militärischen Option alten Stils verwechselt werden darf. Der „ideelle Gesamtimperialismus“ steht auf hoffnungslosem Posten im Kampf gegen eine Hydra, deren Köpfe er selbst tagtäglich durch sein eigenes weltbeherrschendes, aber nicht mehr reproduktionsfähiges System nachwachsen lässt. Was er umbringen will, züchtet er gleichzeitig.

      Das Motiv, das noch am ehesten an die militärischen Aspekte der früheren Außen- und Weltpolitik erinnert, ist die Zwangsabrüstung und Pazifizierung der in ihren Modernisierungsruinen sich verselbständigenden und verwildernden, funktionslos gewordenen Diktaturen, Schurkenstaatsapparate und altertümlichen fordistischen Armeen mit den Waffensystemen einer gescheiterten Industrialisierung. Aber nicht einmal dieses Programm gelingt. Auf jeden gestürzten Krisenpotentaten kann nur ein anderer, womöglich noch schlimmerer folgen. Die unkontrollierten Waffenarsenale, keine Herausforderung auf der Ebene imperialer Gegenmacht, aber Machtmittel für die „Störpotentiale“, füllen sich immer wieder neu. Eine zerbrechende, auf einem riesigen Atomwaffenarsenal sitzende Ex-Weltmacht wie Russland (und in naher Zukunft wahrscheinlich China) steht außerhalb jeder weltpolizeilichen Option; verwahrloste Staatsapparate von Krisen- und Zusammenbruchsökonomien wie Indien und Pakistan haben jetzt erst erfolgreich nach der Atombombe gegriffen und damit das Risiko weltpolizeilicher Eingriffe schlagartig erhöht.

      Vor allem deswegen haben sich die USA zu dem vermutlich ebenso technisch undurchführbaren wie unbezahlbaren NMD-Projekt hinreißen lassen: Diese wuchernden und perspektivlosen Gewaltapparate der ökonomisch und zivilisatorisch untergehenden Peripherie sind militärstrategisch gesehen zu unbedeutend, weltpolizeilich gesehen jedoch zu unberechenbar für die gesamtimperialen Zugriffsmittel. Man kann gegen sie keinen großen Atomkrieg führen, sie aber auch nicht totrüsten wie die Sowjetunion (eben weil sie von vornherein gar nicht als globale Gegenmacht operieren) und sie ebenso wenig durch „chirurgische“ Luftschläge und mobile Eingreiftruppen befrieden. Das strategische Format ist immer entweder eine Nummer zu groß oder eine Nummer zu klein.

      Vollends die Warlords und bewaffneten Bürgerkriegsbanden, aber auch die von religiösen Wahnvorstellungen getriebenen Terrorgruppen der global verzweigten Plünderungsökonomie, wie sie hinter den löchrigen Staatsfassaden operieren, tauchen einfach unter den Hightech-Gewaltapparaten weg; ihre „Kriege“ sind von keinem weltdemokratischen Pazifizierungsprogramm erreichbar, das gerade darin besteht, die Wirkungen des globalen Krisenkapitalismus gewaltsam ignorieren zu wollen. Ein Machetenkämpfer kann nicht gegen Tarnkappenbomber antreten, aber das gilt auch umgekehrt. Es gibt gar keine gemeinsame Kampfebene mehr.

      Die längst postpolitischen und in gewisser Hinsicht auch postmilitärischen „Kräfte“, die sich hier äußern, sind im Fadenkreuz der Weltpolizei nicht einmal organisatorisch eindeutig zu erfassen: „Nicht klar definierte Kommando- und Führungsebenen, wie man sie etwa von der Rote-Armee-Fraktion oder der Irisch-Republikanischen Armee her kennt, sind für solche Gruppen charakteristisch. Vielmehr handelt es sich um amorphe, oft sehr zufällig zusammengewürfelte Gebilde mit flacher Hierarchie, großer Autonomie und dezentralen Organisationsformen…“ (Neue Zürcher Zeitung, 6.5.2000).

      Es ist die selber flexibilisierte und individualisierte Barbarei, wie sie ihre Abkunft vom demokratischen Weltkapitalismus der Globalisierung nicht verleugnen kann. Der flexibilisierte, deterritorialisierte Terror und die flexibilisierte, deterritorialisierte Hightech-Weltpolizei entsprechen einander auch auf dieser Ebene spiegelbildlich. Je archaischer vordergründig das Muster des Vorgehens, desto deutlicher gleichzeitig die postmoderne, medial sich tummelnde, bloß etwas andere Subjektivität: So firmieren die tschetschenischen Warlords ebenso wie die als „Moslemrebellen“ titulierten Banditen der philippinischen Abu Sayyaf wie ganz normale Geschäftsleute (die sie ja in gewisser Weise auch sind) im Internet.

      Militärische Überlegenheit ist nutzlos, wenn es um einen „molekularen Bürgerkrieg“ (Enzensberger) der Krisenkonkurrenz geht. Die Sfor-Truppen im Kosovo oder in Bosnien, Mazedonien und anderswo gleichen einem überlegen bewaffneten Sheriff in einem Slum, der sich bloß einen Moment umzudrehen braucht - und schon kracht es wieder, eben weil er nichts als der hoffnungslose Garant für die friedliche Erhaltung dieses Slums sein soll. Man kann nicht hinter jeden weltkapitalistisch „überflüssigen“ oder moralisch verwahrlosten Jugendlichen der „verlorenen Generation“ einen Weltpolizisten stellen. Der Versuch, in einer ökonomisch deterritorialisierten Welt die vom Weltmarkt verwüsteten Großterritorien mit einer deterritorialisierten Hightech-Weltpolizei im Zaum zu halten, ist zum Scheitern verurteilt. Gerade deshalb kann er sich quälend lange hinziehen, solange der Crash der Finanzmärkte die weltdemokratische Hybris nicht in ihre Schranken weist und der Weltpolizei die finanzielle Grundlage entzieht.

       Der „Kampf der Kulturen“ als Kriegsideologie

      Die neue Weltpolizei und ihre Hightech-Eingreiftruppen werden definiert durch die „politische Weltkriminalität“, wie sie sich für das Verständnis kapitalistischer Logik darstellt und in vieler Hinsicht an die Stelle des bisherigen staatskapitalistischen „Reichs des Bösen“ im Osten tritt: Wieder gibt es, nur in anderer Weise, einen gemeinsamen Gegner, dem gegenüber