(vergl. Hennecke: Neutestamentliche Apokryphen, S. 191); wie man sieht, handelt es sich um ein feierliches Mahl ( Agape genannt), bei dem aber von einer Wandlung des Brotes und des Weines in Leib und Blut Christi nicht die Rede ist. Genau zur gleichen Zeit – etwa um das Jahr 110 – schreibt jedoch der Märtyrer Ignatius in seinem Brief an die Epheser (Abschn. 20) von »dem Brot, welches ist ein Zaubermittel der Unsterblichkeit (pharmakon athanasias)«: er vertritt also mit aller Bestimmtheit die magische Auffassung des Sakramentes. Hierfür ließen sich noch viele Belege beibringen. Vor allem aber muß bemerkt werden, daß die frühe Gemeinde ebensowenig wie Paulus einen Widerspruch zwischen den beiden Auffassungen empfand; vielmehr entstand bald die Sitte, Liebesmahl und Opfermahl zu vereinigen, indem der Genuß des göttlichen Fleisches und Blutes der Agape als Krönung hinzugefügt wurde (vergl. z. B. Lightfoot: Ignatius & Polycarp, 2. Aufl., 2, 313). Jedoch, es hat das schöne Liebes- und Erinnerungsmahl nicht lange vermocht, sich neben der Wucht des uralten magischen Vereinigungsgedankens zu behaupten; letzterer blieb allein zurück, und an Stelle des sättigenden Brotes trat die symbolische Oblate. Endlich, nach einem Jahrtausend fast ununterbrochener Kämpfe zwischen idealistischer und materialistischer Deutung des Wesens des Abendmahles stellte die Kirche im Jahre 1215 im Laterankonzil als Dogma fest: »Es gibt nur eine allgemeine Kirche der Gläubigen und außerhalb ihres Bereiches wird durchaus niemand selig; in ihr ist Priester und Opfer zugleich Jesus Christus, dessen Leib und Blut in dem Sakrament des Altars in der Gestalt (sub speciebus) von Brot und Wein wahrhaft enthalten sind, nachdem durch Gottes Allmacht das Brot in den Leib und der Wein in das Blut verwandelt ist (transsubstantiatis pane in corpus ed vino in sanguinem), so daß, um das Geheimnis der Vereinigung zu vollenden, wir von dem Seinigen annehmen, was er von dem Unsrigen angenommen hat« (angef. nach Krüger: Das Dogma von der Dreieinigkeit und Gottmenschheit, S. 258 fg.). Dies kann der dogmatische Mittelpunkt der katholischen Kirche genannt werden, denn hier wurzelt die schrankenlose Macht des Priestertums; für die Erkenntnis des Menschengeistes ist beachtenswert, daß die Begründung – wie man sieht – unmittelbar an älteste Vorstellungen des noch gänzlich unkultivierten Menschen anknüpft. Die Magie – sagen wir auf deutsch die Zauberei – und mit ihr der Zauberer hatten gesiegt!
Vom Glauben zu reden, ist insofern bedenklich, als dieses Wort in allen Sprachen an einer eigentümlichen Zweideutigkeit krankt. Wer hierüber genau unterrichtet sein möchte, dem empfehle ich die Abhandlung des außerordentlichen Gelehrten, Bischofs Lightfoot, enthalten in seinem Kommentar zu der Epistel an die Galater (S. 154 fg.). Überall schillert »Glauben« in die Bedeutung des Zweifelns hinüber, als eine Art Gegensatz zum Wissen. Außerdem müssen wir unterscheiden zwischen einer passiven Bedeutung, bei welcher das Wort nur so viel besagt, daß Einer sich auf Jemand oder auf Etwas verläßt oder verlassen zu können meint, und einer aktiven Bedeutung, nach welcher der Glaube eine Bewegung des Gemütes bedeutet auf einen Gegenstand hin, den es erfaßt und festhält, »die Kraft, welche den Menschen gottwärts treibt« (Ramsay: Paul's Teaching, S. 273). In den zwei Sprachen der früh-christlichen Kirche – der griechischen und der lateinischen – wurde eine neue Verwirrung durch die Tatsache hineingetragen, daß die hebräische Sprache, der als Sprache des Alten Testaments entscheidende Bedeutung zukommt, für den »aktiven« Glauben überhaupt kein Wort besitzt, vielmehr einzig den »passiven« Glauben kennt: ein bedenklicher Umstand für die Verkündigung einer neuen Religion, deren hervorstechendste Eigentümlichkeit gerade in der Betonung des aktiven Glaubens besteht, so daß schon Paulus nicht selten statt »Evangelium verkünden« kurzweg »den Glauben verkünden« schreibt (z. B. Gal. 1, 23), und daß der Christengegner Celsus den Vorwurf erheben kann, die Christen wichen jeder Beweisführung aus und lehrten: »untersuchet nicht, sondern glaubet! der Glaube genügt zur Erlösung!« (siehe Origenes: Contra Celsum 1, 9). Ich bin nun der Meinung, für uns Ungelehrte führe folgende vereinfachende Erwägung zu einem klaren und durchaus hinreichenden Ergebnis.
Glauben, im Sinne von Fürwahrhalten, ist überall vorhanden und fehlt ebenso wenig dem trunkenen Mystiker, der die Verschmelzung mit Dionysos sucht, wie dem Teilnehmer an einem göttlichen Opfermahle – beide müssen gewisse Überzeugungen hegen (müssen also »glauben«), sonst wären ihre Handlungen sinnlos: dies nennen wir den passiven Glauben, denn er bahnt nur den Weg für eine andere Tat des Gläubigen, welche andere Tat erst die Erlösung bewirkt. Der aktive Glaube hingegen – der Glaube, wie ihn Jesus Christus offenbart und wie ihn Paulus, Augustinus und Luther predigen – bedeutet eine Wendung des ganzen Wesens, einen derartig entscheidenden Vorgang, daß er die Kraft besitzt, die Erlösung aus irdischen Banden zu höherem Leben unmittelbar herbeizuführen. So schwer, ja unmöglich, es sich erweist, den Begriff mit Worten zu bestimmen: es gibt doch eine Tatsache, an der man sicher erkennen kann, ob von »aktivem« Glauben gesprochen wird oder nicht: immer begleitet, als ergänzendes Gegenstück, den »aktiven« Glauben die Gnade: wie der Glaube hinaufstrebt, so strebt die Gnade hinab. Glaube in diesem Sinne genommen ist nichts anderes als die Liebe Gottes im Menschenherzen widergespiegelt. »Glaube ist nicht der menschliche Wahn und Traum, den etliche für Glauben halten«, sagt Luther, »Glaube ist ein göttlich Werk in uns, das uns wandelt und neugebiert aus Gott, und tötet den alten Adam, machet uns ganz ander Menschen von Herzen, Mut, Sinn, und allen Kräften, und bringt den heiligen Geist mit sich. O, es ist ein lebendig, schäftig, tätig, mächtig Ding um den Glauben, das unmöglich ist, daß er nicht ohn Unterlaß sollte Guts wirken. Er fraget auch nicht, ob gute Werk zu tun sind, sondern eh man fraget, hat er sie getan, und ist immer im Tun... Glaube ist ein lebendige, erwegene Zuversicht auf Gottes Gnade, so gewiß, daß er tausendmal drüber stürbe,... Und solche Zuversicht und Erkenntnis göttlicher Gnade machet fröhlich, trotzig und lustig gegen Gott und alle Kreaturen, welches der heilige Geist tut im Glauben« (Vorrede auf die Ep. Pauli an die Römer). An der gleichen Stelle betont der Gottesmann die entscheidende und unterscheidende Tatsache, daß der »aktive« Glaube stets als Gabe Gottes aufzufassen ist: »Bitte Gott, daß er den Glauben in dir wirke, sonst bleibest du wohl ewiglich ohn Glauben, du tichtest und tust, was du willt oder kannst.« Hier stehen wir an dem springenden Punkt; hier gilt es verstehen und nicht – was gar leichtiglich geschieht – mißverstehen.
Wir bezeichnen diesen echten wahren Glauben – wie ihn Jesus und Paulus lehrten – als den »aktiven« Glauben, und doch wird gerade er – wie Luther sagt – »durch Gott in uns gewirkt«. Es handelt sich um das Erblicken eines vorher Ungesehenen; unsere altindischen Verwandten nannten es »das Ergreifen der Gotteshand«. Insofern muß man sagen, der Vorgang sei zugleich aktiv und passiv. Entscheidend ist freilich, daß Gott sich zu mir, Menschen, hinabneigt, daß er mir die Hand entgegenstreckt; nicht weniger entscheidend ist es jedoch, daß ich, Mensch, das Auge aufschlage und Gott erblicke, daß ich die ausgestreckte Hand ergreife – und diese »aktive« Tat entscheidet alles. Denn hier bleibt nicht – wie bei der Mystik und der Magie – noch etwas, eigentlich noch alles zu tun, vielmehr ist mit dem Glauben schon alles getan, weil Gott es ist, der dann alles leistet. Gott erlöst nicht nur aus den Banden einer beschränkten Menschlichkeit, sondern, indem er das tut, schenkt er – wie wir es soeben aus Luther's Mund vernahmen – ein höheres, tätigeres, rastloseres Leben, was wir an allen unseren großen Glaubenshelden erfahren. Darum lehrt der Heiland: »Jeder, welcher Gott glaubt, hat Leben« ( Ev. Joh. 6, 47 nach dem ältesten Texte, dem Syrsin).
Jetzt ist es uns klar, warum dieser Glaube – im Gegensatze zu den anderen Bedeutungen des Wortes – der »aktive« heißen muß: es ist der lebenspendende Glaube, ja, der Leben in Gott spendende – »der Glaube, der durch Liebe sich auswirkt« oder, wie Luther übersetzt, »der Glaube, der durch die Liebe tätig ist« ( fides, quae per caritatem operatur, Gal. 5, 6). Dieser Glaube – auch das ist uns aus dem Beispiel der großen Christen bekannt – ist der Liebe so nahe verwandt, daß beide Begriffe ineinander verschmelzen; »Gott ist die Liebe«: wer Gottes Hand ergreift, kann nicht anders als »durch Liebe sich auswirken«. Darum muß, wie die Liebe, so auch der Glaube alle Tage neu geboren werden, andernfalls er abstirbt und nur als Mumie weitergeschleppt wird; es handelt sich um einen immer sprudelnden Lebensquell, der täglich Neues gebiert. Hierauf deutet das sonst schwer zu verstehende Wort: »aus Glauben zu Glauben« ( ex fide in fidem, Römer, 1, 17): der Glaube bleibt allezeit ein und der gleiche, nichtsdestoweniger erfährt, wer sich Gottes Führung hingibt, daß er täglich Unerwartetes erlebt und leistet;