Gerhard Wohland

Denkwerkzeuge der Höchstleister


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5.1 DieHinterbühne

      Wer das Geschehen in seiner Firma als Unsinn beschreibt, der redet Unsinn, denn hinter dem alltäglichen

Chaos steckt Vernunft. Was auf den ersten Blick verwirrt, ist bei genauem Hinsehen oft eine brillante Lösung.

      Weil diese Vernunft verborgen ist, nennen wir sie die Vernunft der

Hinterbühne. Wie im Theater ist das Strippen-Ziehen und Möbel-Rücken auf der Hinterbühne unentbehrlich für eine gute Aufführung. Und wie im Theater ist es entscheidend, dass der Beitrag der Hinterbühne unbemerkt bleibt.

      Im Unternehmen besteht die Hinterbühne aus den unsichtbaren Anteilen der

Kultur, den sogenannten „weichen Faktoren“. Dazu gehören zum Beispiel der Flurfunk, die
Werte, der Teamgeist oder das Mobbing. Diese informellen Strukturen sind nirgendwo beschrieben. Sie haben kein Büro und können nicht eingefordert oder bestritten werden. Dennoch sind sie das „Kraftfeld“, in dem sich alle bewegen.

      Die Hinterbühne ist kein Makel, sondern das Rückgrat einer

Organisation. Besonders wenn ein Unternehmen durch
Dynamik überlastet wird, verhindern die Reflexe der Hinterbühne den Kollaps. Sie ist die Vernunft im Unsinn. Nur weil es sie gibt, sind viele Organisationen noch da. Allerdings verhindert sie nur den Untergang. Ein stolzes Unternehmen kann sie nicht bewirken.

      Zu Beginn der Industrialisierung war

tayloristische Organisation Voraussetzung für
Höchstleistung. Wie erwähnt, hat sich das geändert. In modernen dynamischen
Märkten sind Unternehmen im Vorteil, die auch mit
Überraschungen souverän umgehen. Früher war die Hauptaufgabe des
Managements die gestaltende Vorwegnahme der Zukunft durch
Planung. Hohe
Dynamik macht planerische Annahmen über die Zukunft unzuverlässig. Bewährte
Methoden versagen. Die formalen Elemente der Organisation mit ihren
Gremien,
Prozessen und Sitzungsprotokollen werden zunehmend hilflos. Die Organisation „verblödet“ und wird schließlich nur noch von ihrer Hinterbühne zusammengehalten .

      Meist vermutet das

Zentrum Disziplinmangel oder Unverständnis der Schuldigen als Ursache. Dieser
Irrtum hält sich umso länger, je erfolgreicher das Unternehmen aktuell ist oder früher war. Er blockiert die Einsicht, dass dynamische Zukunft nicht geplant werden kann - weder durch Disziplin noch durch hochgerüstete technische Systeme. Wird es dennoch versucht, endet dieses Bemühen zuverlässig in einer
Havarie.

      Hält das Elend lange genug an, dann wird der zentralen

Steuerung die Gefolgschaft verweigert - nicht aus Bequemlichkeit oder Aufsässigkeit, sondern aus Notwehr. Die Anweisungen des
Zentrums passen nicht mehr zur Lage. Die
Peripherie ist gezwungen, nach eigenen Einsichten zu handeln. Das Zentrum weiß das. Da aber eine Alternative fehlt, hält es aggressiv-resignierend den alten Kurs.

      Offiziell wird die „Aufsässigkeit“ der Peripherie als Ursache für den ausbleibenden Erfolg behauptet. Üblich sind dann allerlei Erziehungsmaßnahmen, wie zum Beispiel Zielvereinbarungen, finanzielle Anreize und formelle Beurteilungsgespräche. Das

Problem wird mit seiner Ursache bekämpft. Auch hier wäre ohne die stumme Intelligenz der Hinterbühne der Kollaps unvermeidlich. Inoffizielle kollegiale Netzwerke übernehmen das Kommando. So kann auch außerhalb der vorgeschriebenen Prozesse - auf dem berühmten „kleinen Dienstweg“ - gehandelt werden. Diese „zweite Struktur“ auf der Hinterbühne ist der Grund für die erstaunliche Zähigkeit von Unternehmen. Selbst im allgemeinen Chaos findet immer noch
Wertschöpfung statt. Diese „Vernunft der Not“ ist kein Unsinn - so wenig, wie das Fieber die Krankheit ist, deren Heilung es begleitet.

      Eine

Integration der informellen
Strukturen in die offizielle hierarchische Autorität des Unternehmens ist nicht möglich. Man kann den Flurfunk nicht zu einer Sitzung laden und einen Kompromiss verhandeln.

      Trotzdem sind formelle und informelle Strukturen ineinander verwoben. Schon deshalb, weil die meisten Mitarbeiter beiden Strukturen angehören. Die Hinterbühne allein kann kein Unternehmen managen. Dynamik-kranke Unternehmen bleiben leidlich am Leben, solange keine Seite die Alleinherrschaft erringt. Der Balanceakt zwischen bürokratischer Erstarrung und kreativem Chaos führt nicht zur Meisterschaft. Er ist ein Durchwursteln, mit dem man Zeit gewinnt. Allerdings nur so lange, bis ein moderner Höchstleister als direkter Konkurrent auftaucht.

      Auch die formelle Organisation wird durch die Hilfsaktionen der Hinterbühne unberechenbar. Dann heißt es: Wir können zwar gut planen, aber es nur schlecht umsetzen. Wie könnte es auch anders sein. Die informellen Strukturen können nur im Verborgenen wirken. Sonst würden sie „aufgeräumt“. Weil sie in

Planungen nicht einbezogen werden können, machen sie sich erst später als Widerstand bemerkbar.

      Wie gesagt, Informelles und Formelles sind getrennte Bereiche. Dass die meisten Mitarbeiter zu beiden gehören, ändert daran nichts. Kegelclub und Buchhaltung sind ja auch getrennte Systeme, obwohl der Buchhalter in beiden Mitglied ist.

      Alle

Systeme, auch diese beiden, bestehen eben nur aus
Kommunikation, nicht aus ihren Mitgliedern. Das klingt fremd - zugegeben -, ist aber zum Verständnis typischer Dynamikprobleme sehr hilfreich.

      Weil wir diesen Gedanken immer wieder verwenden, sei er hier in Beispielen dargestellt: Die Fankurve eines Fußballstadions verhält sich in