Gerhart Hauptmann

Das Abenteuer meiner Jugend


Скачать книгу

jo­via­le, le­bens­fro­he und ele­gan­te Mann sich bei uns wohl­fühl­te. Aber es kam doch vor, dass mein Va­ter ihn zur Ord­nung rief, weil er sich auf bur­schi­ko­se Art und Wei­se, wenn auch nicht ohne Hu­mor, ge­hen ließ.

      Man weiß, wel­che Art von Lus­tig­keit bei Bil­lard­spie­lern, die kei­ne Be­rufs­s­pie­ler sind, üb­lich ist. Sind die El­fen­bein­bäl­le zu lang­sam, so wird ih­nen zu­ge­re­det. Wenn sie zu schnell lau­fen, ruft man: »Hal­thalt!« Man schiebt gleich­sam äch­zend einen schwe­ren Wa­gen durch die Luft, wenn sie, im Be­griff, ihr Ziel zu er­rei­chen, kraft­los wer­den. Eine durch Zu­fall ge­glück­te Ka­ram­bo­la­ge ent­fes­selt den der Span­nung ent­fah­ren­den Auf­schrei: »Fuchs!«, oder man sagt: »Mehr Glück als Ver­stand.«

      Der ele­gan­te Ba­de­arzt mach­te sich lang, er zog sich wie ein Fern­rohr aus, wenn er die Bahn ei­nes Bal­les ver­län­gern woll­te. Mein Va­ter, des­sen ge­las­se­ne Über­le­gen­heit wir Kin­der be­wun­der­ten, hat­te sei­ne Freu­de dar­an. Der On­kel Dok­tor hob das rech­te, das lin­ke Bein, wenn er sich über die Ban­de des Bil­lards leg­te, er schnitt Gri­mas­sen, und so kam es ein­mal bis zu ei­ner von ihm nicht ge­ra­de ge­woll­ten Stei­ge­rung, wo die Spaß­haf­tig­keit durch De­to­na­ti­on von un­er­laub­ter Stel­le durch ihn über­schrit­ten wur­de.

      Da er Vor­wür­fe mei­nes Va­ters im Hin­blick auf mei­ne ge­gen­wär­ti­ge Mut­ter nur mit ei­nem jun­gens­haf­ten La­chen quit­tier­te, blieb schließ­lich auch sei­ner Base nichts üb­rig, als ei­nem sol­chen Vor­fall mit dem auch ihr an­ge­bo­re­nen Straeh­ler­schen Hu­mor zu be­geg­nen.

      *

      Das Of­fen­hal­ten des Kur­hau­ses den Win­ter über war dem pa­stör­li­chen Schwie­ger­sohn und Son­nen­wirt ganz ge­wiss nicht an­ge­nehm, wur­de doch ein Gut­teil sei­ner sons­ti­gen Aus­flugs­gäs­te da­hin ab­ge­lenkt. Er war mei­nem Va­ter über­haupt nicht grün, und die­ser stand mit­un­ter nicht an, sich über sein Käp­pi und sei­ne Die­ne­rei­en um die Schlit­ten und Wa­gen lus­tig zu ma­chen.

      Trotz­dem fuhr ich die klei­nen Bei­ers im Stuhl­schlit­ten wohl ver­packt her­um und be­treu­te sie wie ein Kin­der­mäd­chen. Die­ser Zug, der sich schon bei den Mär­chen­er­zäh­lun­gen am Fuhr­mann Krau­se­schen Ofen an­ge­mel­det hat­te, wo Gu­stav und Ida Krau­se die Nutz­nie­ßer wa­ren, und der sich nun auf Ag­nes und Ru­dolf Bei­er über­trug, soll­te mich lan­ge durchs Le­ben be­glei­ten.

      Ei­gent­lich wur­den we­ni­ger die eins­ti­gen Gäs­te der Son­ne als eine an­de­re, neue Schicht von Gäs­ten in den Kur­saal ge­zo­gen. Bei ei­ner Art Klub, der sich zwang­los ge­bil­det hat­te, stand zum Bei­spiel der Weiß­stei­ner Gent­le­man-Bau­er Karl Tscher­sich im Mit­tel­punkt. Sein Be­dürf­nis nach bäu­er­li­chem Lu­xus rich­te­te sich auf kost­ba­re Pfer­de, Wa­gen und Schlit­ten, Pel­ze in Form von Jacketts, Män­teln und Pelz­müt­zen, auf Schmuck und Stof­fe für die Frau, auf lu­xu­ri­öse Pfer­de- und Kuh­stäl­le, alle Sor­ten der teu­ers­ten und neues­ten Jagd­ge­weh­re im Büch­sen­schrank, auf sil­ber­be­schla­ge­ne Ge­schir­re und präch­ti­ges Sat­tel­zeug, dann aber auf reich­li­che und aus­ge­such­te Spei­sen und Ge­trän­ke.

      Wo er auf­tauch­te – und er war Tag für Tag un­ter­wegs –, wuss­te man: Karl Tscher­sich spart mit dem Gel­de nicht! So muss­te sich auch mein Va­ter für den Tscher­sich-Kreis ganz be­son­ders vor­be­rei­ten. Fäss­chen mit Aus­tern ka­men aus den See­städ­ten, le­ben­de Hum­mer und Ka­vi­ar, und der Cham­pa­gner durf­te nicht aus­ge­hen.

      *

      Un­ge­heu­er war für mich und Carl die Sen­sa­ti­on, als es hieß, dass die Aus­ter le­ben­dig ge­ges­sen wür­de. Wir tru­gen die­se un­glaub­li­che Neu­ig­keit un­ter die Schul­ju­gend und spra­chen meh­re­re Wo­chen nur im­mer da­von. Auch war der Ver­such, eine Aus­ter zu es­sen, mit uns Jun­gen ge­macht wor­den, aber mit dem be­kann­ten Er­fol­ge, den man Er­bre­chen nennt.

      Da­ge­gen wur­den über Karl Tscher­sich Wun­der­din­ge in die­ser Be­zie­hung be­rich­tet: er schluck­te Dut­zen­de die­ser Tie­re hin­un­ter und hör­te nur un­gern auf, weil er un­er­sätt­lich war.

      Ich zweifle nicht, dass in die­sem Krei­se bei ge­schlos­se­nen Tü­ren ge­jeut wur­de. Ir­gend­wie an die Bild­flä­che tra­ten wir Brü­der bei sol­chen Ge­le­gen­hei­ten nicht. Wir wa­ren ge­bannt in un­se­re Pri­vat­zim­mer. Dort steck­ten wir die Köp­fe zu­sam­men und tu­schel­ten über die un­ter uns in den Ga­sträu­men sich be­ge­ben­den span­nen­den Din­ge. Ein Kauf­mann Lachs, der sein Schnitt­wa­ren­ge­schäft am Rin­ge der Kreis­stadt Wal­den­burg hat­te, hielt meis­tens die Bank. Was das be­deu­te­te, wuss­ten wir, wir hat­ten es längst aus den Ge­sell­schaftss­pie­len ge­lernt und aus dem Han­tie­ren mit Spiel­mar­ken. Der mär­chen­haf­te Reich­tum des Bau­ern be­schäf­tig­te uns, und wir glaub­ten, die Gold­stücke klin­geln zu hö­ren.

      Ei­nes Nachts oder Abends, ge­gen halb elf, wur­de es plötz­lich sehr laut un­ter uns. Stüh­le wur­den ge­rückt, Ti­sche fie­len um, und ir­gen­det­was Glä­ser­nes ging mit Ge­schmet­ter in tau­send Scher­ben. Da sich nun et­was mit Ge­brüll von Zim­mer zu Zim­mer ge­gen den Aus­gang be­weg­te, tra­ten wir an die Fens­ter, die gra­de überm Por­ta­le la­gen, und sa­hen nun je­mand – es war der Kauf­mann Lachs – wie aus der Pis­to­le ge­schos­sen ins Freie stür­zen. Hin­ter ihm drein Tscher­sich mit ei­nem Bil­lard­queue – man weiß, sie sind un­ten mit Blei ge­füllt –, das er mit dem Schwung sei­ner gan­zen Bä­ren­kraft hin­ter dem Flüch­ti­gen her­schleu­der­te. Er fehl­te ihn, Gott sei Dank traf er ihn nicht, sonst wä­ren wir viel­leicht Zeu­gen ei­nes Tot­schlags ge­wor­den.

      Hat­te nun Lachs vor­her zu viel Geld ge­won­nen? Je­den­falls war die Ka­ta­stro­phe nur durch eine klei­ne Unacht­sam­keit aus­ge­löst wor­den. Er schmeck­te eine große Bow­le ab und goss sein Glas, nach­dem er ge­kos­tet hat­te, in das Bow­len­ge­fäß zu­rück. Hier­auf wur­de Tscher­sich blau­rot im Ge­sicht, stieß ei­ni­ge Ti­sche und Stüh­le um, er­griff mit bei­den Hän­den die Bow­le und schmet­ter­te sie auf die Erde, dann rann­te er nach dem Bil­lard­queue, zu­gleich aber Lachs nach der an­de­ren Sei­te, so­dass ein Ab­stand zwi­schen ihn und den Groß­bau­ern kam, als die­ser das Queue wie eine Keu­le ge­packt hat­te.

      *

      Das Weih­nachts­fest rück­te wie­der­um nä­her. Es kün­dig­te sich an in dem Be­schlus­se des Va­ter­län­di­schen Frau­en­ver­eins, die Ar­men­be­sche­rung des Jah­res im Kur­saal ab­zu­hal­ten. Da Ma­da­me Enke Vor­sit­zen­de des Ver­eins war, so hat­te mein Va­ter mit ihr und Dia­ko­nus Spah­ner Be­spre­chun­gen.

      Zwei ge­wal­ti­ge Christ­bäu­me, von de­ren obers­ten Lich­tern die De­cke sich an­schwärz­te, wa­ren im klei­ne­ren Kur­haus­saal auf­ge­stellt. Auf weiß­ge­deck­ter Huf­eis­en­ta­fel la­gen die Ge­schen­ke por­ti­ons­wei­se. Wäh­rend der Fest­lich­keit stand je­der der ar­men Men­schen, alte Weib­chen, alte Männ­chen, ver­härm­te Frau­en, vor sei­ner Por­ti­on. Sie stan­den da und schäm­ten sich. Sie ge­trau­ten sich kaum, zum Ge­sang den Mund zu öff­nen, zu­mal die bei­den strah­len­den Bäu­me ih­ren leib­haf­ti­gen Jam­mer ins grells­te Licht setz­ten.

      Wir, mein Va­ter und mei­ne Mut­ter, sa­hen die­ses uns neue Schau­spiel mit Ab­nei­gung. Die alte Men­zel, eine ver­schäm­te Arme, war bei uns un­ter­ge­kro­chen; das Weib­chen kam aus dem Zit­tern nicht her­aus.