Gerhart Hauptmann

Das Abenteuer meiner Jugend


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und Sa­ni­täts­rat Bie­fel, nicht min­der ele­gant, la­gen wie im­mer vor dem Por­tal des Brun­nen­hau­ses pe­ri­pa­te­tisch1 ih­rer Pra­xis ob. Schwind­süch­ti­ge und Ge­sun­de pro­me­nier­ten durch­ein­an­der, je­der das Glas mit kal­tem oder ge­wärm­tem Brun­nen oder ei­nem Ge­misch von Esels­mol­ken und Brun­nen in der Hand.

      Der sau­ber und sti­lecht ko­stü­mier­te Ti­ro­ler war ein schö­ner, zwi­schen sech­zig und sieb­zig ste­hen­der al­ter Mann mit kraft­voll ge­bräun­ten Kni­en und präch­ti­gen Schul­tern. Sein ge­wal­ti­ger Schnurr­bart, der kein dunkles Haar zeig­te, war wohl­ge­wach­sen und wohl­ge­wichst, sein dich­tes, schnee­wei­ßes Haupt­haar des­glei­chen. Wie eine glän­zen­de, bürs­ten­ar­ti­ge Kap­pe stand es um sei­nen Kopf.

      Das Wohl­ge­fal­len war groß, wo im­mer dies Mus­ter­exem­plar ei­nes Stei­er­mär­kers, Kärnt­ners oder Pinz­gau­ers vor­über­kam. Man wur­de dann all­ge­mein auf ihn auf­merk­sam, als er sich vor dem Mu­sik­tem­pel un­ter den Au­gen der Kur­ka­pel­le und ih­res Di­ri­gen­ten zu tun mach­te.

      Sei­ne Vor­keh­run­gen, die ich wie alle, die sie sa­hen, mit ei­ner Art hei­te­ren Span­nung ver­folg­te, zeig­ten eine ge­wis­ser­ma­ßen hu­mo­ris­ti­sche Selt­sam­keit. Er rück­te zu­nächst eine klei­ne, qua­dra­ti­sche, frisch ge­ho­bel­te Kis­te im Gar­ten­kies zu­recht, die er mit ei­nem ro­ten Tuch über­deck­te. Es lös­te all­ge­mei­nes Ge­läch­ter aus, als er mit sei­nen Na­gel­schu­hen die­sen far­bi­gen So­ckel be­trat und kra­chend ein­drück­te.

      Die Em­pö­rung war all­ge­mein. Wo­chen­lang müs­sen dem neu­en Man­ne die Ohren von kei­nes­wegs schmei­chel­haf­ten Ur­tei­len über die Bru­ta­li­tät sei­nes wi­der­sin­nig-an­ti­deut­schen Ein­griffs ge­klun­gen ha­ben.

      Mei­ne Schwes­ter Jo­han­na war aus der Pen­si­on zu­rück­ge­kehrt, zu ei­nem schö­nen Mäd­chen her­an­ge­wach­sen und ein wah­res Mus­ter­bei­spiel von Wohl­er­zo­gen­heit. Sie wohn­te in ei­nem Zim­mer­chen des Ho­tels, hielt sich aber tags­über meist im Kur­län­di­schen Hof, dem Hau­se des Fräu­leins von Ran­dow, auf, de­ren Pfle­ge­toch­ter, Fräu­lein Jasch­ke, eine ge­prüf­te Leh­re­rin, ihr Un­ter­richt im Fran­zö­si­schen gab und über­haupt ihre Er­zie­hung fort­setz­te.

      Wie Jo­han­na jetzt mit Mes­ser und Ga­bel bei Tisch ver­fuhr, er­reg­te mir stau­nen­de Be­wun­de­rung. Die eng­li­sche Art und Wei­se zu es­sen, bei der man um nichts in der Welt das Mes­ser zwi­schen die Lip­pen brin­gen durf­te, war da­mals auf­ge­kom­men. Selbst­ver­ständ­lich, dass Jo­han­na ge­schmack­voll ge­klei­det war und dass ihr ge­sam­tes Auf­tre­ten nun­mehr dem ei­ner Toch­ter aus gu­tem Hau­se ent­sprach. So war ich über­aus stolz auf sie, ob­gleich ich mich zu ähn­lich ab­ge­zir­kel­ten For­men, was mich selbst be­traf, kei­nes­wegs ver­ste­hen konn­te.

      Wenn ich mich mit mei­ner schö­nen Schwes­ter da­mals in den Pro­me­na­den zei­gen konn­te, fand sich da­ge­gen mein Fa­mi­li­en­stolz aufs höchs­te be­frie­digt.

      Be­stän­dig schi­en sie Ge­burts­tag zu ha­ben, wenn man die Hul­di­gun­gen durch Kon­fekt und Blu­men be­rück­sich­tig­te, mit de­nen tag­aus, tagein ihr Zim­mer be­dacht wur­de.

      Durch Jo­han­nas Er­fol­ge wur­de da­mals Tan­te Eli­sa­beth Straeh­ler, eine der nun ver­wais­ten Schwes­tern vom Dachrö­dens­hof, aus ih­rem Ver­steck her­vor­ge­lockt. Dass sie be­reits zwei­und­drei­ßig zähl­te, die Nich­te Jo­han­na aber kaum sieb­zehn, konn­te sie die­ser schwer ver­ge­ben. Noch ist mir ihr Ant­litz er­in­ner­lich, des­sen Nase und Mund eine ge­wis­se Scheel­sucht nicht ver­ber­gen konn­ten, wenn sie Jo­han­nas an­sich­tig ward. Da trug mei­ne Schwes­ter etwa ein zu kur­z­es Kleid, oder es war zu tief aus­ge­schnit­ten. Sie nann­te es auch einen Skan­dal, wenn es sich durch leb­haf­te Far­ben und hüb­schen Schnitt aus­zeich­ne­te, und stand nicht an, auf ge­wis­se pro­vo­kan­te Da­men der Stra­ße da­bei an­zu­spie­len. Ihr Mund­werk brach­te es manch­mal so weit, dass sich Hann­chens Zorn in wü­ten­den Trä­nen aus­tob­te.

      *

      Die Res­te des Geis­tes vom Dachrö­dens­hof stan­den nicht mehr im Zen­trum des Orts, son­dern wa­ren gleich­sam ir­gend­wo ins Dun­kel der Pe­ri­phe­rie ge­rückt, be­son­ders seit Man­ser er­schie­nen war und eine an­geb­lich ziem­lich pomp­haf­te Re­si­denz in den lan­gen Dienst­ge­bäu­den hin­ter dem Brun­nen­hof er­rich­tet hat­te. Für das buck­li­ge Tänt­chen Au­gus­te gilt dies in­des­sen nur be­dingt. Fromm und re­si­gniert wie sie im­mer war, wur­de sie nur durch das bit­te­re Auf­bäu­men ih­rer Schwes­ter ge­gen die ver­än­der­ten Um­stän­de auf­ge­stört und in de­ren see­li­sche Mi­se­ren wie­der und wie­der ge­gen ihre Nei­gung hin­ein­ge­zo­gen. Ge­mein­sam frei­lich war bei­den Schwes­tern die ent­schie­de­ne Ab­sa­ge an die neue Zeit, die sie durch­aus nicht ver­ste­hen konn­ten, nur dass Tan­te Au­gus­te sich nicht erst jetzt von der Welt ab­zu­wen­den brauch­te, da sie schon seit lan­gem ihr Ge­nü­gen in der Bi­bel, in Tho­mas a Kem­pis, in from­men Poe­si­en und Mu­sik ge­sucht und ge­fun­den hat­te.

      *

      Um jene Zeit schloss ich mich auf eine fast selt­sa­me Wei­se an mei­ne Schwes­ter an. Lieb­te ich sie? War es Ei­fer­sucht? Ich maß­te mir je­den­falls an, sie auf man­cher­lei Wei­se zu ty­ran­ni­sie­ren.

      Ich hat­te Freu­de an je­dem heim­li­chen Scha­ber­nack. Hat­te mei­ne Schwes­ter sich in den hei­ßen Nach­mit­tags­stun­den, um zu schrei­ben, zu le­sen oder zu ru­hen, in ihr Zim­mer zu­rück­ge­zo­gen und ein­ge­schlos­sen, was bei dem Gast­hof­be­trieb nur na­tür­lich war, so schlich ich her­an, klopf­te be­schei­den an die Tür und war, wenn Jo­han­na öff­ne­te, nicht zu se­hen. Ich wie­der­hol­te die­sen Streich mehr­mals am Nach­mit­tag und wur­de von ihr nie­mals ent­deckt. Blieb be­greif­li­cher­wei­se das be­schei­de­ne Klop­fen mit der Zeit wir­kungs­los, so führ­te ich Faust­schlä­ge ge­gen die Tür, ein Un­fug, den mei­ne Schwes­ter nicht über­hö­ren konn­te.

      *

      Die Ver­kaufs­stän­de des Ba­de­or­tes