Erwartungen schützen.
Womit sich solche Ratgeber für Eltern jedoch meistens nicht beschäftigen, sind die inneren Erfahrungen, die Eltern bei der Erfüllung ihrer Aufgabe machen. Wie gehen wir beispielsweise mit den Gedanken und Gefühlen um, die in uns auftauchen, wenn wir Kinder haben? Wie können wir es schaffen, uns nicht von unseren Zweifeln, unserer Unsicherheit und von den Problemen, mit denen wir konfrontiert werden, überwältigen zu lassen – von den Situationen, in denen wir uns in einem inneren Konflikt befinden, und von den Situationen, in denen wir Konflikte mit anderen Menschen haben, unter anderem auch mit unseren Kindern? Solche Bücher zeigen uns gewöhnlich nicht, wie wir unseren Kindern gegenüber mehr Sensibilität entwickeln und wie wir besser auf ihr inneres Erleben eingehen können.
Wenn wir mit Kindern wirklich neue Wege gehen wollen, erfordert dies, dass wir auch innerlich an uns arbeiten. Die konkreten Ratschläge, die uns jeder Elternratgeber für die Bewältigung der äußeren Probleme des Familienlebens liefert, müssen wir durch eine eigene, innere Autorität ergänzen, die wir nur durch unsere Erfahrung entwickeln können. Diese innere Autorität kann nur dann in uns entstehen, wenn uns klar wird, dass wir unser Leben trotz aller äußeren Einflüsse in erheblichem Maße selbst gestalten können – und zwar durch die Art und Weise, wie wir auf diese äußeren Einflüsse antworten. Im Laufe dieses Prozesses werden wir eine völlig individuelle, aus eigenen Entscheidungen gewachsene Lebensweise entwickeln und dabei von unseren tiefsten, besten und kreativsten Ressourcen profitieren. Ist uns das erst einmal klar geworden, erkennen wir vielleicht auch, wie wichtig es für unsere Kinder und für uns selbst ist, dass wir die Verantwortung für unsere Art zu leben und für die Konsequenzen unserer Entscheidungen übernehmen.
Wenn wir bereit sind, diese innere Arbeit zu tun, können sich innere Autorität und Authentizität in uns entwickeln. Unsere Authentizität und unsere Weisheit wachsen, wenn wir unserem Erleben und unserer alltäglichen Erfahrung bewusst Gewahrsein entgegenbringen. Wir lernen dann allmählich, unsere Kinder und ihre Bedürfnisse immer besser zu sehen und geeignete Möglichkeiten zur Förderung und Unterstützung ihres Wachstums und ihrer Entwicklung zu erkennen. Wir können auch lernen, ihre vielen verschiedenen, manchmal verwirrenden Signale zu interpretieren, und unserer Fähigkeit zu vertrauen, angemessen zu reagieren. Das Wichtigste dabei: Aufmerksamkeit, Nachdenklichkeit und Rücksichtnahme.
Wie wir als Eltern unsere Aufgabe erfüllen, ist letztlich immer eine ganz persönliche Angelegenheit, und unsere Fähigkeit dazu erwächst tief aus unserem Inneren. Wie jemand anders an die Sache herangeht, hilft uns vielleicht überhaupt nicht weiter. Wir müssen unsere eigene Art entwickeln, indem wir in diesem Prozess nützliche Hilfen anzunehmen und unseren Instinkten zu vertrauen lernen, wobei wir diese gleichzeitig weiter prüfen und hinterfragen.
Denn selbst das, was uns gestern gute Dienste geleistet hat, ist heute nicht unbedingt mehr die beste Möglichkeit. Um zu spüren, was jeweils zu tun ist, ist es unerlässlich, dass wir fest im gegenwärtigen Moment verwurzelt sind. Und wenn unsere eigenen inneren Ressourcen erschöpft sind, ist es hilfreich, wenn wir wirksame und gesunde Möglichkeiten kennen, sie wieder aufzufüllen und uns zu regenerieren.
Zu Eltern werden Menschen zufällig oder absichtlich, doch wie auch immer es dazu kommen mag, Elternschaft ist eine Berufung. So ruft uns unser Leben als Eltern dazu auf, die Welt jeden Tag neu zu schaffen, ihr in jedem Augenblick mit frischem, unvorbelastetem Blick entgegenzutreten. Diese Berufung ist tatsächlich eine strenge spirituelle Disziplin – eine Aufgabe, die es uns ermöglicht, unsere tiefste menschliche Natur zu erkennen. Schon die bloße Tatsache, dass wir Eltern sind, ist eine ständige Aufforderung an uns, unsere wohlwollendsten, klügsten und fürsorglichsten Qualitäten zu entwickeln und zum Ausdruck zu bringen – das Beste in uns zutage zu fördern, so gut wir eben können.
Wie jede spirituelle Disziplin ist der Weg der Achtsamkeit in der Familie voller enormer Versprechungen und Möglichkeiten. Gleichzeitig ist er eine Aufforderung, diese innere Arbeit zu tun, unserer Aufgabe als Eltern gerecht zu werden, so dass wir uns ganz auf diese Heldenreise einlassen – die lebenslange Suche, die ein gelebtes menschliches Leben letztlich ausmacht.
Menschen, die Eltern werden, übernehmen den härtesten aller Jobs – ohne jede Bezahlung, oft unerwartet und in relativ jungem Alter, unerfahren und häufig unter größten ökonomischen Schwierigkeiten. Gewöhnlich gehen Eltern ohne klare Strategie auf ihre Reise und ohne umfassenden Überblick über das, was auf sie zukommt. Sie treten diese Reise meist auf die gleiche intuitive und optimistische Weise an, auf die wir Menschen uns auch vielen anderen Aspekten unseres Lebens nähern. Wir lernen, unsere Aufgabe zu erfüllen, während und indem wir es versuchen. Und tatsächlich gibt es auch gar keine andere Möglichkeit, es zu lernen.
Zu Anfang ist uns gewöhnlich nicht einmal klar, dass unser Leben als Eltern völlig neue, ungewohnte Anforderungen an uns stellt, dass dieses neue Leben ungeheure Veränderungen für uns mit sich bringen wird, dass wir vieles Vertraute aufgeben und statt dessen zahllose Dinge tun müssen, mit denen wir uns bisher noch nie beschäftigt haben. Vielleicht ist es sogar gut, dass das so ist, denn letztendlich ist jedes Kind einzigartig und jede Situation anders. Um mit den unbekannten Anforderungen fertig zu werden, die das Kinderhaben und die Kindererziehung mit sich bringen, können wir uns letztlich nur auf unser Herz verlassen, auf unsere tiefsten menschlichen Instinkte sowie auf die Dinge, die wir noch aus unserer eigenen Kindheit in uns tragen – die positiven ebenso wie die negativen.
Mit den Erwartungen seitens unserer Ursprungsfamilie, der Gesellschaft und der Kultur konfrontiert, uns Normen anzupassen, die häufig unbewusst und nicht ausdrücklich definiert sind, und angesichts der Belastungen, die das Elterndasein mit sich bringt, stellen wir oft fest, dass wir als Eltern – genauso wie im übrigen Leben – mehr oder weniger automatisch funktionieren; dass wir von den Launen unseres Denkens geplagt werden, das normalerweise überaus impulsiv und pausenlos in unbewusste Abläufe verstrickt ist – trotz bester Absichten und trotz tiefer Liebe zu unseren Kindern.
Wenn wir chronisch überlastet sind und dauernd unter Zeitmangel leiden, sind wir wahrscheinlich weit entfernt von der Fülle des gegenwärtigen Augenblicks – der „Blüte des Augenblicks“, wie Thoreau es genannt hat. Meist erscheint uns dieser Augenblick – eigentlich jeder Augenblick – als viel zu gewöhnlich, alltäglich und flüchtig, als dass wir ihm Aufmerksamkeit widmen würden. Wenn wir tatsächlich in solchen geistigen Gewohnheiten gefangen sind, kann dieser ganze ungeprüfte Automatismus sehr leicht zu einem ähnlichen Automatismus in unserer Elternrolle werden. Wir nehmen vielleicht an, dass alles okay ist, was wir tun, solange unsere tiefe Liebe da ist und unser Wunsch, dass es ihnen gut geht. Wir können diese Sichtweise rationalisieren, indem wir uns einreden, Kinder seien unverwüstliche Geschöpfe und die kleinen Dinge, die sie erleben, seien nichts weiter als Kleinigkeiten, die wahrscheinlich keinerlei Folgen für sie haben. Kinder halten eine Menge aus, sagen wir uns. Und ein Stück weit stimmt das auch.
Doch werde ich (jkz) immer wieder durch die Geschichten von Patienten der Stress Reduction Clinic, in der ich arbeite, und durch Teilnehmer der Achtsamkeits-Workshops und -Seminare, die ich in ganz Amerika leite, daran erinnert, dass die Kindheit für viele Menschen eine Zeit offenen oder subtilen Verrats war, weil ein Elternteil (oder beide) unberechenbar war und die Kinder oft völlig unerwartet mit schrecklicher Angst, Gewalt, Verachtung und Gemeinheit konfrontiert wurden. Vieles davon rührt aus der Traumatisierung und Vernachlässigung her, die diese Eltern selbst erlitten haben, und den Süchten und der tiefen Unzufriedenheit, die daraus folgen. In der tragischsten Form wird solch schrecklicher Verrat am Kind manchmal von elterlichen Liebesbeteuerungen begleitet, was die Situation für die betroffenen Kinder noch verrückter und undurchschaubarer macht. Andere Menschen leiden immer noch darunter, dass sie als Kinder vernachlässigt, nicht wahrgenommen und nicht geschätzt worden sind. Dazu kommt, dass durch den ständig zunehmenden Stress in praktisch allen Bereichen der Gesellschaft und durch das immer stärker werdende Gefühl der Dringlichkeit und der eigenen Unzulänglichkeit auch die Situation in den Familien immer schwieriger geworden ist und das Maß des Erträglichen oft längst überschritten hat – wobei der Druck häufig von Generation zu Generation unerträglicher geworden ist, statt abzunehmen.
Eine Frau, die an einem fünftägigen Achtsamkeits-Seminar teilnahm, sagte:
Ich habe