Klaus Kamphausen

Ich bringe mich um!


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Simson aber sagte zu dem Jungen, der ihn an der Hand führte: Lass mich los, ich will die Säulen betasten, von denen das Haus getragen wird, und mich daranlehnen.

      27 Das Haus war voll von Männern und Frauen; alle Fürsten der Philister waren da und auf dem Flachdach saßen etwa dreitausend Männer und Frauen. Sie alle wollten Simson als Spaßmacher sehen.

      28 Simson aber rief zum Herrn und sagte: Herr und Gott, denk doch an mich und gib mir nur noch dieses eine Mal die Kraft, mein Gott, damit ich an den Philistern Rache nehmen kann, wenigstens für eines von meinen beiden Augen.

      29 Dann packte Simson die beiden Mittelsäulen, von denen das Haus getragen wurde, und stemmte sich gegen sie, gegen die eine mit der rechten Hand und gegen die andere mit der linken.

      30 Er sagte: So mag ich denn zusammen mit den Philistern sterben. Er streckte sich mit aller Kraft und das Haus stürzte über den Fürsten und über allen Leuten, die darin waren, zusammen. So war die Zahl derer, die er bei seinem Tod tötete, größer als die, die er während seines Lebens getötet hatte.

      31 Seine Brüder und die ganze Familie seines Vaters kamen herab; sie holten ihn, brachten ihn heim und begruben ihn zwischen Zora und Eschatol im Grab seines Vaters Manoach. Simson war zwanzig Jahre lang Richter in Israel.“

      In Vers 31 steht geschrieben, wie Simson mit allen Ehren im Kreis seiner Familie im Grab seines Vaters beigesetzt wird. Von den Kirchenvätern des Mittelalters wurde dem „Selbstmörder“ eine normale Bestattung versagt. Dazu später mehr.

      3. Die Selbsttötung des Saul, erstes Buch Samuel, Kapitel 31, Vers 2–4:

      „2 Die Philister verfolgten Saul und seine Söhne und erschlugen Sauls Söhne Jonatan, Abinadab und Malkischua.

      3 Um Saul selbst entstand ein schwerer Kampf. Die Bogenschützen hatten ihn getroffen und er war sehr schwer verwundet.

      4 Da sagte Saul zu seinem Waffenträger: Zieh dein Schwert und durchbohre mich damit! Sonst kommen diese Unbeschnittenen, durchbohren mich und treiben ihren Mutwillen mit mir. Der Waffenträger wollte es nicht tun; denn er hatte große Angst. Da nahm Saul selbst das Schwert und stürzte sich hinein.“

      4. Auch Sauls Waffenträger bringt sich mit dem eigenen Schwert um, erstes Buch Samuel, Kapitel 31, Vers 5:

      „5 Als der Waffenträger sah, dass Saul tot war, stürzte auch er sich in sein Schwert und starb zusammen mit Saul.“

      5. Ahitofel, einer der Ratgeber von König David, tötet sich selbst, nachdem seinen Umsturzpläne gescheitert waren. Im zweiten Buch Samuel, Kapitel 17, Vers 23, heißt es:

      „23 Als Ahitofel sah, dass sein Rat nicht ausgeführt wurde, sattelte er seinen Esel, brach auf und kehrte in seine Heimatstadt zurück. Dann bestellte er sein Haus und erhängte sich. So starb er und man begrub ihn im Grab seines Vaters.“

      Auch diesem „Selbstmörder“ in der Bibel wird eine ehrenvolle

      Bestattung zuteil.

      6. Simri bringt sich um. Das erste Buch der Könige erzählt in Kapitel 16, Vers 15–18, folgende Begebenheit:

      „15 Im siebenundzwanzigsten Jahr des Königs Asa von Juda war Simri sieben Tage König in Tirza. Das Volk belagerte damals Gibbeton, das den Philistern gehörte.

      16 Als das Kriegsvolk während der Belagerung hörte, dass Simri eine Verschwörung angezettelt und den König erschlagen hatte, rief ganz Israel Omri, den Befehlshaber des Heeres, noch am gleichen Tag im Lager zum König von Israel aus.

      17 Omri zog nun mit ganz Israel von Gibbeton hinauf und schloss Tirza ein.

      18 Als Simri sah, dass die Stadt genommen war, zog er sich in den Wohnturm des königlichen Palastes zurück, steckte den Palast über sich in Brand und fand den Tod.“

      Der einzige Bericht über einen Selbstmord im Neuen Testament bezieht sich auf den Jünger und späteren Verräter Jesu, Judas. Dazu heißt es im Evangelium des Matthäus, Kapitel 27, Vers 3–5:

      „3 Als nun Judas, der ihn verraten hatte, sah, dass Jesus zum Tod verurteilt war, reute ihn seine Tat. Er brachte den Hohenpriestern und den Ältesten die dreißig Silberstücke zurück

      4 und sagte: Ich habe gesündigt, ich habe euch einen unschuldigen Menschen ausgeliefert. Sie antworteten: Was geht das uns an? Das ist deine Sache.

      5 Da warf er die Silberstücke in den Tempel; dann ging er weg und erhängte sich.“29

      Auch an dieser Stelle in der Bibel wird selbst Judas für seinen Selbstmord nicht verurteilt.

      Aber was Matthäus und die anderen Schreiber des Neuen Testaments versäumt haben, holte Kirchenvater Augustinus nach. Er machte aus Judas in wenigen Sätzen vom Verräter zum Verbrecher im doppelten Sinn. Wobei sein „Selbstmord“ als Verbrechen noch schwerer zu bewerten ist als sein Verrat. Augustinus schreibt:

      „(…) wenn wir schon die Tat des Judas mit Recht verabscheuen und die Wahrheit über ihn urteilt, daß er durch seinen Tod am Stricke das Verbrechen des frevelhaften Verrates eher gesteigert als gesühnt hat, weil er an der Barmherzigkeit Gottes verzweifelnd, sich einer unheilvollen Reue überließ und sich so die Möglichkeit einer heilsamen Reue versperrte, um wieviel mehr muß man sich vor dem Selbstmord hüten, wenn man keinen Anlaß hat, irgend etwas durch eine solche selbst vollzogene Strafe zu sühnen! Judas nämlich hat, da er Selbstmord beging, zwar einen verbrecherischen Menschen getötet, aber er hat dadurch gleichwohl sein Leben geendet, schuldbeladen nicht nur mit Christi Tod, sondern auch mit dem eigenen Tod, weil er dem Tode anheimfiel zwar wegen seines Verbrechens, aber eben durch ein neues Verbrechen von seiner Seite.“30

      Augustinus stellt fest, dass an keiner Stelle der Bibel dem Menschen das Recht auf Selbsttötung ausdrücklich eingeräumt wird. Er schreibt:

      „Keine Schriftstelle gewährt den Christen das Recht des freiwilligen Todes, in welcher Lage immer sie sich finden.

      Denn nicht umsonst kann man in den heiligen und kanonischen Büchern nirgends ein göttliches Gebot noch auch die Erlaubnis ausgesprochen finden, sich selbst das Leben zu nehmen, um das unsterbliche Leben zu erlangen oder irgend ein Übel zu meiden oder zu beseitigen.“31

      Im weiteren Text bezieht sich Augustinus ausdrücklich auf das 5. Gebot, das seiner Meinung nach nur wie folgt verstanden werden kann:

      „Vielmehr ist das Verbot hierher zu beziehen: ,Du sollst nicht töten.‘ (…) Weder einen andern noch dich sollst du töten. Denn wer sich selbst tötet, tötet eben auch einen Menschen.“32

      Wer sich selbst tötet – aus welchem Motiv auch immer –, macht sich also laut Augustinus nach dem 5. Gebot vor Gott strafbar. Er begeht eine Todsünde. Und wie vorher schon klar gesagt, steht er mit dem Mörder auf einer Stufe.

      Augustinus liefert das Gedankengut, aus dem Philosophen, Kirchenlehrer, Päpste und Konzile in den nächsten Jahrhunderten den Selbstmörder zu einem Schwerverbrecher machen, der sich an Gott, an der Gesellschaft und an sich selbst vergeht.

      So wie Aristoteles und Augustinus spricht sich auch Thomas von Aquin (1225–1274), Dominikanermönch, Theologe und Philosoph, in aller Schärfe gegen den Selbstmord aus. In seiner „Summa Theologica“ schreibt er:

      „Von Natur aus liebt jedes Lebewesen sich selbst und strebt danach, sein Leben zu erhalten – außer dem Selbstmörder, der sich deshalb versündigt. (…) Der Mensch ist ein Teil der Gemeinschaft, und folglich gehört das, was er ist, der Gemeinschaft. Mithin begeht derjenige, der sich umbringt, gegenüber der Gemeinschaft ein Unrecht. Da der Mensch sein Leben als Geschenk von Gott empfängt und nur dieser über Leben und Tod entscheiden darf, versündigt sich der Selbstmörder gegen Gott.“

      Auf den Synoden und Konzilen wurden immer weitere Kirchengesetze gegen Selbstmord und Selbstmörder festgeschrieben: Auf dem zweiten Konzil 533 in Orleans wurde der Selbstmord als schlimmstes aller Verbrechen verurteilt. Auf dem Konzil von Toledo 693 wurde beschlossen, dass Selbstmörder auch posthum exkommuniziert werden.

      Der