nachts in die Klosterwerkstatt zu schleichen, um selbst einen Stuhl zu bauen. Er plante minutiös, wie er das tun könnte, ohne entdeckt zu werden, und nahm erst einmal die verfügbaren Werkzeuge und Materialien in Augenschein. Dann setzte er sich in dem Raum, in dem er übernachtete, auf eine der dort gelagerten Bänke und begann, den perfekten Meditationsstuhl zu entwerfen, der seinem Leiden mit Sicherheit ein Ende bereiten würde.
Während er dort saß und arbeitete, bemerkte er, daß er sich immer wohler fühlte. Zunächst meinte er, das liege daran, daß er den nie dagewesenen, revolutionären, perfekten Entwurf machte. Doch plötzlich wurde ihm klar, daß er so glücklich war, weil er ausgesprochen bequem auf dieser Bank saß. Er blickte sich um und sah, daß in dem Raum, der für die Dauer der Klausur sein Zuhause war, etwa 300 solcher Bänke standen. Was er suchte, hatte er die ganze Zeit unmittelbar vor Augen gehabt. Statt diese umständliche Gedankenreise zu unternehmen, hätte er sich nur hinsetzen müssen.
Manchmal unternehmen wir beträchtliche Reisen – körperlich, geistig oder emotional – und fänden die Liebe und das Glück, die wir suchen, wenn wir uns nur einfach hinsetzten. Wir verbringen unser Leben mit der Suche nach etwas, das uns glücklich machen wird, etwas, von dem wir meinen, wir hätten es nicht. Aber der Schlüssel zum Glück liegt in einer anderen Vorstellung davon, wo wir suchen müssen. Der große japanische Dichter und Zen-Meister Hakuin sagte: „Die Menschen wissen nicht, wie nah die Wahrheit ist; sie suchen sie an entlegenen Orten. Welch ein Jammer! Sie sind wie Dürstende, die mitten im Wasser vor Durst aufschreien.“
Normales Glück entsteht, wenn wir Angenehmes erleben – die Befriedigung, für kurze Zeit zu bekommen, was wir wollen. Ein solches Glück ist wie die vorübergehende Besänftigung eines unglücklichen, unersättlichen Kindes. Wir greifen nach dem Trost einer momentanen Ablenkung und sind verstört, wenn sie sich verändert. Ich habe einen Freund, der vier Jahre alt ist. Wenn er enttäuscht ist oder nicht bekommt, was er will, gellt der Schrei durch sein Elternhaus: „Keiner liebt mich!“ Als Erwachsene fühlen wir oft das gleiche: Wenn wir nicht bekommen, was wir wollen – oder wenn wir es bekommen, nur um dann zu erleben, daß es sich wandelt –, scheint uns die Liebe des ganzen Universums entzogen. Glück wird zu einer Entweder/Oder-Frage. Genau wie bei dem Vierjährigen verstellen Interpretationen und Urteile auch uns den klaren Blick.
Das Leben ist, wie es ist, ungeachtet unserer Proteste. Wir alle erleben einen ständigen Wechsel schöner und leidvoller Ereignisse. Ich war einmal mit Freunden in Nordkalifornien wandern. Wir hatten beschlossen, einem bestimmten Weg zu folgen – in den ersten drei Tagen hin, in den nächsten drei Tagen denselben Weg zurück. Der dritte Tag dieser anstrengenden Wanderung endete mit einem langen, gleichmäßigen Abstieg. Wir waren bereits einige Stunden unterwegs, als einem meiner Freunde plötzlich klar wurde, was dieser Abstieg für den folgenden Tag bedeutete, wenn wir auf gleichem Weg zurückgehen würden. Er drehte sich zu mir um und sagte düster: »In einem dualistischen Universum kann bergab nur eins bedeuten.«
Dem unerbittlichen Fluß der sich unablässig wandelnden Lebensbedingungen ist nicht zu entkommen, und doch versuchen wir verzweifelt, das Angenehme festzuhalten, und wir versuchen ebenso verzweifelt, Schmerz zu meiden. Unsere Welt ist randvoll mit Bildern, die uns sagen, daß Leiden falsch ist; Werbung, soziale Umgangsformen und kulturelle Wertvorstellungen signalisieren, daß es schuldhaft, beschämend, demütigend sei, zu leiden oder traurig zu sein. In diesen Botschaften spiegelt sich die Erwartung, daß es uns möglich sein sollte, Schmerz oder Verlust irgendwie zu kontrollieren. Wenn wir geistige oder körperliche Schmerzen erfahren, fühlen wir uns oft isoliert, von der Menschheit und dem Leben abgeschnitten. Unsere Scham läßt uns ausgerechnet dann zum Außenseiter werden, wenn wir in unserem Kummer das Gefühl von Verbundenheit am meisten brauchen.
Das übliche, vorübergehende Glück hat nicht nur eine subtile Komponente von Einsamkeit, sondern auch von Angst. Wenn alles nach Wunsch läuft, es uns gut geht und wir bekommen, was wir möchten, spornt uns das an, unser Glück zu verteidigen, weil es so zerbrechlich, so ungewiß wirkt. Als bräuchte unser Glück ständigen Schutz, leugnen wir allein schon die Möglichkeit von Leid. Wir weigern uns, diese Möglichkeit in uns und anderen auch nur zur Kenntnis zu nehmen, weil wir fürchten, schon das könne unser Glück trüben oder zerstören. Damit wir uns also weiter wohl fühlen können, lehnen wir es ab, in dem Obdachlosen auf der Straße den Mitmenschen zu sehen. Wir schließen, das Leid anderer Menschen sei für unser Leben von keinerlei Bedeutung. Wir wenden uns vom Leid der Welt ab, weil wir fürchten, es könnte unser eigenes Glück gefährden. In dieser ständigen Verteidigungsposition ziehen wir uns in eine so furchtbare Einsamkeit zurück, daß wir niemals wahre Freude empfinden können. Wie eigenartig wir doch konditioniert sind: In unserem Schmerz fühlen wir uns so allein wie in unserem Glück verletzlich und isoliert.
Einige Menschen brauchen nur eine einzige eindringliche Erfahrung, um aus dieser Isolation ausbrechen zu können. Asoka, ein mächtiger nordindischer Herrscher, lebte etwa zweihundertfünfzig Jahre nach dem Tod des Buddha. In den Anfangsjahren seiner Regierung war er blutrünstig und wollte sein Reich um jeden Preis vergrößern. Er war ein sehr unglücklicher Mann. Eines Tages schritt er nach einem besonders erbitterten Gefecht, mit dem er neue Gebiete erobern wollte, über das Schlachtfeld. Er war von grauenhaften Bildern toter Männer und Tiere umgeben. Sie lagen dicht an dicht, verwesten in der Sonne und wurden von Aasgeiern zerhackt. Asoka war entsetzt über das Blutbad, das er angerichtet hatte.
Gerade in diesem Augenblick überquerte ein buddhistischer Mönch das Schlachtfeld. Er sagte kein Wort, strahlte aber Frieden und Glück aus. Asoka sah ihn an und dachte: „Warum geht es mir, der ich alles habe, so furchtbar schlecht? Dieser Mönch besitzt nichts außer seinem Gewand und der Schale, die er trägt, und doch wirkt er an diesem furchtbaren Ort heiter und glücklich.“
Asoka traf dort, auf diesem Schlachtfeld, eine Entscheidung. Er ging zu dem Mönch und fragte ihn: „Bist du glücklich? Und wenn du glücklich bist, wie kann das sein?“ Als Antwort machte der Mönch, der nichts hatte, den Herrscher, der alles hatte, mit den Lehren des Buddha bekannt. Nach dieser Zufallsbegegnung praktizierte und studierte Asoka den Buddhismus und veränderte seine Herrschaft von Grund auf. Er führte keine Eroberungskriege mehr und ließ niemanden hungern. Er wandelte sich von einem Tyrannen zu einem der geachtetsten Herrscher der Geschichte, der noch Jahrtausende später als gerecht und gütig gepriesen wird.
Asokas Sohn und Tochter brachten den Buddhismus von Indien nach Sri Lanka. Hier schlug die Lehre Wurzeln und verbreitete sich von Indien und Sri Lanka aus nach Birma, Thailand und schließlich über die ganze Welt. Daß wir heute, so viele Jahrhunderte und kulturelle Veränderungen später, einen direkten Zugang zum Buddhismus haben, ist eine direkte Folge von Asokas Wandlung. Die Ausstrahlung eines einzigen buddhistischen Mönchs wirkt bis auf uns. Die Heiterkeit eines einzigen Menschen veränderte den Gang der Geschichte und brachte uns den buddhistischen Weg zum Glück.
Die Lehre des Buddha basiert auf der Erkenntnis, daß unser Versuch, das Unkontrollierbare zu kontrollieren, uns nicht die Geborgenheit, die Sicherheit und das Glück bringen kann, die wir suchen. Diese illusorische Jagd nach Glück beschert uns nur Leid. In unserer hektischen Suche nach etwas, das unseren Durst löscht, sehen wir das Wasser nicht, in dem wir stehen, und wir treiben uns aus unserem Leben ins Exil.
Wir suchen etwas, das fest, unwandelbar und sicher ist, aber aufmerksame Beobachtung lehrt uns, daß eine solche Suche keinen Erfolg haben kann. Alles im Leben verändert sich. Der Weg zu wahrem Glück muß alle Aspekte unserer Lebenserfahrung umfassen und uneingeschränkt akzeptieren. Diese Ganzheit ist die Botschaft des daoistischen Ying/Yang-Symbols, des Kreises, der zur Hälfte dunkel, zur Hälfte hell ist. In der Mitte des Dunklen ist ein heller, in der Mitte des Hellen ein dunkler Punkt. Selbst in der tiefsten Dunkelheit ist Licht. Selbst im Herzen des Lichts liegt Dunkel, es ist verstanden, angenommen und unlösbar mit dem Hellen verbunden. Wenn wir leiden, wenn es uns nicht gutgeht, sind wir vom Schmerz nicht besiegt, vom Lichten nicht ausgeschlossen. Wenn es uns gutgeht und wir glücklich sind, versuchen wir nicht, defensiv die Möglichkeit des Leidens zu leugnen. Diese Ganzheit entsteht, indem wir das Licht ebenso akzeptieren wie das Dunkel und darum in beiden zugleich sein können.
Der englische Schriftsteller E. M. Forster stellte einem seiner Romane die Worte voran: „Sei nur verbunden.“ Diese drei Worte beschreiben hervorragend,