Sharon Salzberg

Metta Meditation


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kontrollierenden Zyklen von Freude und Schmerz kontrollieren zu wollen, und statt dessen lernen, wie wir Verbindung zum Ganzen aufnehmen, uns öffnen und lieben können, was immer auch geschehen mag.

      Unglück oder Glück hängen davon ab, worauf wir unsere Aufmerksamkeit lenken. Suchen wir, obwohl wir mitten im Wasser stehen, woanders nach etwas zu trinken? Der Wandel geschieht, wenn wir tief in uns hinein auf einen Zustand blicken, der vor dem Entstehen von Angst und Isolation existierte, in dem wir so, wie wir sind, ein unverletzbares Ganzes bilden. Wir nehmen Verbindung zu uns, zu unserem wahren Erleben auf, und dort entdecken wir, daß Leben bedeutet, eine Einheit zu sein.

      Denken Sie daran, wie unberührt der Himmel von den Wolken bleibt, die über ihn hinwegziehen, leicht und wattig oder dunkel und drohend. Der Berg wird vom Wind, der ihn umweht, nicht verschoben, gleichgültig, ob er sanft bläst oder stürmisch. Der Ozean wird nicht von den Wellen auf seiner Oberfläche beeinträchtigt, seien sie hoch oder niedrig. Und so bleiben einige Aspekte unseres Wesens unbeschadet, unabhängig davon, was immer wir erleben. Das ist das tiefe Glück der Achtsamkeit.

      Es gibt ein Wort in der buddhistischen Psychologie, tathata, das etwa mit „So-Sein“ übersetzt werden kann. Es bezeichnet einen Zustand, in dem wir in unserer Gänze präsent sind; unsere Aufmerksamkeit ist nicht zersplittert oder geteilt. Im Zustand des So-Seins ist kein Teil von uns getrennt und wartet darauf, daß etwas geschieht, das besser oder anders ist.

      Wir reagieren auf unsere Erlebnisse weder mit Verlangen noch mit Aversion; wir akzeptieren vielmehr, was uns in unserem Leben begegnet, und lassen los, was unser Leben verläßt. Wir sind völlig da und lassen uns von dem Scheinglück, das herkömmliche Vorstellungen verheißen, nicht betören. Wenn wir die Freiheit des So-Seins erleben, entdecken wir, wer wir wirklich sind.

      Einer meiner Freunde reiste einmal nach Sikkim in der Hoffnung, dort Seine Heiligkeit den sechzehnten Karmapa, einen hohen tibetischen Lama, treffen zu können. Die Reise nach Sikkim war sehr anstrengend, mein Freund mußte hohe Bergpässe überqueren und Flüsse durchwaten. Nachdem er sich diesen Mühen unterzogen hatte, war er überglücklich, bei Seiner Heiligkeit eine Audienz zu bekommen. Er war äußerst verblüfft, als der Karmapa, ein bedeutender, weltweit bekannter spiritueller Lehrer, ihn behandelte, als zähle sein Besuch zu den wichtigsten Ereignissen seines bisherigen Lebens. Dies äußerte sich nicht in grandiosen Gesten oder Zeremonien, sondern in der schlichten und völligen Gegenwärtigkeit des Karmapa. Mein Freund erzählte, er habe sich in dieser Situation uneingeschränkt geliebt gefühlt. Als ich die Geschichte hörte, dachte ich daran, wie viele Gespräche ich nur halbherzig geführt habe. Ich hatte überlegt, was ich als nächstes tun oder mit wem ich als nächstes sprechen würde. Wie unfair mir diese mangelnde Aufmerksamkeit plötzlich erschien! Der schlichte Akt, unumschränkt für einen anderen Menschen da zu sein, ist ein Akt vollkommener Liebe – dazu braucht es keine Inszenierungen.

      Schon die Begegnung mit einem Menschen wie dem Karmapa, der so ganz gegenwärtig ist, ist eine Aufforderung an uns, zu unserem wahren Wesen zu erwachen. Ein solcher Mensch ruht in sich, er braucht nichts von uns und bietet unseren Projektionen keine Fläche, an denen sie sich festmachen könnten. Wo wäre in einer solchen Beziehung Platz für Projektion und Manipulation? Wenn wir in den Spiegel seiner oder ihrer Augen blicken, erkennen wir uns selbst und alles, was für uns möglich ist.

      Ich lerne immer wieder außergewöhnliche, liebevolle Lehrende kennen. Wenn ich ihn oder sie zum ersten Mal sehe, weiß ich im gleichen Moment: „Ja, so bin ich in Wirklichkeit!“ Ich spüre ein tiefes Wiedererkennen der angeborenen und unzerstörbaren Kraft der Liebe in mir. Und ich sehe auch, daß viele Vorstellungen von mir, meine Ängste und Sehnsüchte, sich als Schichten über diese Kraft gelegt haben, sie verbergen. Diese Vorstellungen verschwinden in der Gegenwart eines solchen Menschen; ich erwache für einen Augenblick und kann sagen: „Ach ja, so bin ich. Das ist für alle Lebewesen richtig und möglich.“ Diese Begegnungen zeigen mir, daß meine vermeintlichen Grenzen gar nicht existieren, und eine Zeitlang bin ich wie aus einem Gefängnis befreit, das ich mir selbst geschaffen habe.

      Vollständigkeit und Einheit sind unsere grundlegende Natur als Lebewesen. Dies ist für uns alle wahr. Wie wunderbar oder schrecklich unser Leben gewesen sein mag, welche Traumata und Wunden wir aus der Vergangenheit mit uns herumtragen mögen, was immer wir erleben mußten oder worunter wir jetzt leiden: Unsere angeborene Ganzheit ist immer da, und wir können sie leben.

      Wenn wir sie leben, brechen wir den Bann des konventionellen Denkens. Wenn wir unsere Fixierungen aufgeben und einfach glücklich sind, dann ist das, als entkämen wir einer Haft. Es ist, als stünden wir in einem winzigen, vollgestellten Zimmerchen, dessen Mauern einstürzten. Und erst da erkennen wir, daß wir auf dem Gipfel eines Berges sind! Welch atemberaubende Aussicht!

      Dies ist das Öffnen, nach dem wir uns sehnten und das wir an so vielen Orten gesucht haben: in Beziehungen, unserer Arbeit und in der Gesellschaft. Da dieses Öffnen ohne andere Menschen oder eine äußere Situation geschehen kann, liegt darin die ungetrübte Freude von Sicherheit, Geborgenheit und Unzerstörbarkeit. Der Geist strahlt, er leuchtet in dieser Einheit, er ist offen, nichts wird zurückgehalten, nichts hinzugetan, nichts mehr ist zersplittert, nichts getrennt.

      Die große Seinsfülle, die wir als Glück erleben, kann auch als Liebe bezeichnet werden. Ungeteilt und unzersplittert zu sein, völlig gegenwärtig zu sein, heißt lieben. Aufmerksam sein heißt lieben.

      Der große indische Lehrer Nisagadatta Maharaj hat einmal gesagt: „Die Erkenntnis lehrt mich, daß ich nichts bin. Die Liebe lehrt mich, daß ich alles bin. Dazwischen fließt mein Leben.“ „Ich bin nichts“ bedeutet nicht, daß in uns nur trostlose Öde wäre. Es bedeutet, daß wir uns durch Achtsamkeit zu einem reinen, unverstellten Raum öffnen, ohne Mittelpunkt, ohne Peripherie – nichts ist getrennt. Wenn wir nichts sind, gibt es keine Barrieren, die unseren grenzenlosen Ausdruck von Liebe behindern könnten. Und wenn wir auf diese Weise nichts sind, sind wir zwingend auch alles. „Alles“ bedeutet nicht, sich wichtig zu machen, es bedeutet, die Verbundenheit ohne Wenn und Aber anzuerkennen. Sowohl der reine, offene Raum des „Nichts“, als auch die tiefreichende Verbundenheit des „Alles“ führen uns zu unserer wahren Natur.

      Zu dieser Wahrheit gelangen wir durch die Meditation, sie ist die Erfahrung der Einheit jenseits von Leid. Sie ist immer da; wir müssen nur dorthin kommen. Wenn wir diese Wahrheit direkt erfahren, wird sich die Art, wie wir uns selbst, die Welt und das Leben wahrnehmen, auf drastische Weise ändern. Einssein könnte man auch als Gesundheit bezeichnen. Health, das englische Wort für Gesundheit, ist, ebenso wie das skandinavische helse, dem deutschen heilen verwandt, ihre gemeinsame Wurzel bedeutet unverletzt, ganz, heil. Unsere tiefste Gesundheit, noch über Leben und Tod hinaus, liegt in der uns angeborenen Ganzheit, Einheit und Verbundenheit.

      Meistens aber fühlen wir uns nicht als Einheit, sondern zersplittert, getrennt und somit nicht wirklich gesund. Im Verlauf eines Tages erleben wir uns in verschiedenen Rollen, beispielsweise als Ehefrau, Angestellte, Freundin, Tochter. Wenn wir allein sind, haben wir ein bestimmtes Bild von uns; sind wir mit anderen zusammen, ist es ein anderes. Mit Bekannten verhalten wir uns auf eine, mit Fremden auf eine andere Weise. Wir fühlen uns fragmentiert, sind uns selbst entfremdet, und daher entspringen unsere freundschaftlichen Gesten oft der Einsamkeit und der Furcht. Wir suchen Vertrauen und Nähe, finden aber nichts als den Schein einer Beziehung.

      Vergleichen Sie unsere unerquickliche Lage mit diesem Haiku von Issa:

      Nirgends im Schatten

      der weißen Kirschbaumblüten

      ist jemand Fremder

      Im Erleben des Einsseins, in einem Herz voll Liebe, ist nichts fremd, weder in uns noch in anderen. In der Weite wahren Glücks findet sich kein Ort für Zersplitterung.

      Ein erleuchtetes Lebewesen wie der Buddha symbolisiert dieses Maß an Gesundheit, Freiheit und Liebe – die höchste Hoffnung der Menschen. Ob der Buddha allein war oder mit anderen zusammen, ob er lehrte, diente oder abgeschieden lebte, er war sich der Einheit bewußt. Sein Glück war nicht abhängig von einer bestimmten Situation, die sich hätte wandeln können. Der thailändische Meditationsmeister Ajahn Chah beschreibt das Glück, das wir durch Meditation