Thomas Frankenbach

Somatische Intelligenz


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und individuelle Ernährungsbedürfnisse

      Einige traditionelle, auf Erfahrungsheilkunde basierende Ernährungskonzepte vertreten genau diese Sichtweise: Nicht für jeden Menschen ist die gleiche Kost die richtige. So sind zum Beispiel in den Ernährungssystemen der über viele Jahrhunderte hinweg entwickelten Traditionellen Chinesischen Medizin oder im Ayurveda die genetische Konstitution, die Lebenssituation und die Bekömmlichkeit der Speisen wesentliche Kriterien typgerechter Kost. Niemand würde in einem solchen System einem Menschen anhand einer Ernährungspyramide oder standardisierter Nährstoffmengentabellen gesunde Ernährung näherbringen wollen.

      Auch in der als traditionell europäisch bezeichneten Medizin der Hildegard von Bingen geht man noch heute von der Bekömmlichkeit der gegessenen Kost als einem der wichtigsten Kriterien einer artgerechten Kost aus.

      Untermauert wird die etablierte moderne Medizin durch die Erkenntnisse des bereits erwähnten Internisten und Neurologen Karl Pirlet. Pirlet kam nach jahrzehntelanger Auseinandersetzung mit der Thematik zu dem Schluss, dass die Bekömmlichkeit einer Kost auf Dauer den wichtigsten Faktor für ihre Gesundheitswirkung ausmache. Das Problem sah er dabei weniger in der Naturbelassenheit der Nahrung an sich, sondern in den individuell unterschiedlichen Fähigkeiten der Menschen, diese Nahrung zu verdauen und zu vertragen.

      Entsprechend kritisierte Pirlet schon damals Ernährungsberater, die Roh- oder Vollwertkost für alle Menschen per se als die ideale Kost empfahlen. Pirlet war wie den vielen Vertretern Traditioneller Chinesischer Medizin und Ayurveda bewusst, dass ein diätetischer Therapeut die komplexen Zusammenhänge zwischen Nahrungsmittel einerseits und dem jeweiligen verdauenden und verstoffwechselnden Menschen andererseits mit berücksichtigen müsse.

      Wer einen diätetischen Rat geben will, sich dabei aber nur an standardisierten Zufuhrempfehlungen orientiert, ohne die immer wieder andere, individuelle Konstellation des betreffenden Menschen zu verstehen, der handelt eindimensional und präventiv wie therapeutisch unvernünftig. Hier wird, wie bereits so oft, Ernährungslehre zur Ideologie.

      Wer eine deutlich naturbelassene Kost verträgt, wem sie bekömmlich ist und bei wem keine problematischen Wechselwirkungen (z.B. mit notwendigen Medikamenten) auftreten, für den besteht kein Grund, seine Ernährung umzustellen. Für viele Menschen ist eine deutlich naturbelassene Kost sogar ein wichtiger Gesundheitsfaktor. Wer jedoch nicht damit zurechtkommt und mit seiner täglichen Kost Verdauungsbeschwerden entwickelt, der sollte seine Ernährungsgewohnheiten zugunsten einer bestmöglichen Verträglichkeit variieren, selbst wenn diese Beschwerden nur geringfügig sind. Das bedeutet nicht, jegliche Frisch-, Vollwert- oder Naturkost zu meiden, sondern die entsprechende Auswahl durch Probieren individuell so zu gestalten, dass der betreffende Mensch eine bestmögliche Verträglichkeit erreicht.

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