Charles Fernyhough

Selbstgespräche


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dem ein lautes Orchester probte. Auch hier sank der Anteil der privaten Sprache.48

      Aber ich bin hier, und Athena weiß das irgendwie. Die private Sprache besitzt das, was in einer frühen wissenschaftlichen Studie49 als parasoziale Eigenschaft bezeichnet wurde: Sie kommt häufiger vor, wenn die Illusion einer Zuhörerschaft vorhanden ist. Das ergibt Sinn, wenn man die private Sprache als Versuch versteht, Wörter an sich zu reißen, die in anderen Zusammenhängen das Verhalten anderer kontrollieren würden, und die stattdessen genutzt werden, um das eigene Verhalten zu kontrollieren. Es ist ja nicht so, als würde Athena zu kommunizieren versuchen, könne es aber nicht; sie bemüht sich vielmehr, nur mit sich selbst zu kommunizieren. Die Ursache, weshalb diese Äußerungen nicht an mich gerichtet sind, liegt nicht etwa darin begründet, dass ihr die kognitive Fähigkeit fehlt, die notwendig ist, um meine Perspektive zu berücksichtigen. Sie waren nie für mich bestimmt. Möglicherweise wurden sie durch meine Anwesenheit stimuliert, aber sie sind allein für sie selbst gedacht.

      Dieser Übergang von der sozialen zur privaten Sprache wurde mir soeben ganz deutlich demonstriert. Zu Beginn dieser Episode der Stadtplanung verwendete Athena tatsächlich meinen Namen: »Papa.« Aber dann schien sie schnell zu vergessen, dass ich da bin. Wenn wir die private Sprache von Kindern analysieren50 – ein arbeitsintensiver Prozess, bei dem stundenlang Videoaufzeichnungen gesichtet und hin- und hergespult werden müssen –, bezeichnen wir Äußerungen als sozial, wenn dabei unter anderem eindeutig der Name einer Person erwähnt wird. Um als privat eingestuft zu werden, muss jeder Hinweis darauf fehlen, dass die Äußerung für einen anderen Menschen bestimmt ist. Das liefert uns Informationen darüber, wie häufig Kinder die private und soziale Sprache verwenden. Dann können wir diese Informationen nutzen, um bestimmte Ideen Wygotskis über die Form und Funktion der an sich selbst gerichteten Gespräche zu überprüfen

      Zunächst einmal müssten wir, wenn Wygotski recht hatte, dass Kinder die private Sprache als psychologisches Werkzeug51 zur Regulation ihres Verhaltens nutzen, Beweise erhalten, dass sie sich in irgendeiner Form auswirken. Kinder, die die private Sprache nutzen, während sie eine Aufgabe erfüllen, müssten diese Aufgabe besser meistern – zumindest wenn das Sprechen für das, was sie tun, relevant ist.

      Psychologen haben diesen Aspekt von Wygotskis Theorie getestet, indem sie Kindern eine Aufgabe stellten und deren private Sprache analysierten und überprüften, ob deren Leistungen mit der Nutzung der privaten Sprache korrelierten. Einige Studien haben zumindest die Vorstellung untermauert, dass Kinder kognitiven Nutzen aus der Verwendung der privaten Sprache ziehen.52 In einer Untersuchung gaben wir zum Beispiel sechs- und siebenjährigen Kindern eine als »Tower von London« bezeichnete Aufgabe, bei der bunte Bälle zwischen unterschiedlich langen Stangen bewegt werden müssen. Das Praktische am Tower von London ist für diesen Zweck, dass die Bälle so arrangiert werden können, dass sie Herausforderungen unterschiedlicher Schwierigkeitsgrade ergeben. In Übereinstimmung mit Wygotskis Vorhersage bezüglich des funktionalen Werts von Selbstgesprächen fanden wir heraus, dass Kinder, die mehr selbstregulierende private Sprache nutzten, die Aufgaben schneller lösen konnten. Außerdem stellten wir den vorhergesagten Zusammenhang zwischen privater Sprache und der Schwierigkeit der Aufgabe fest. Bei leichten Aufgaben sprachen die Kinder weniger (wahrscheinlich weil diese so leicht waren, dass sie die verbale Selbstregulation nicht auszulösen brauchten), bei mittelschweren Aufgaben sprachen die Kinder mehr, bei den allerschwierigsten aber wiederum weniger (vermutlich weil diese Aufgaben so schwierig waren, dass das Kind überhaupt keine Lösung finden konnte und das selbstregulierende Sprechen deshalb nicht effektiv war).

      So viel zur Funktion der privaten Sprache. Und was ist mit ihrer Form? Wygotski glaubte nicht, dass die Verinnerlichung von Sprache einfach darin besteht, dass die selbstregulierende Sprache immer leiser und leiser wird, bis sie ganz stumm beziehungsweise stimmlos wird (diese Ansicht vertrat zum Beispiel sein Zeitgenosse, der Behaviorist John B. Watson). Wygotski ging vielmehr davon aus, dass die Sprache durch den Verinnerlichungsprozess grundlegend verändert wird. Eine besonders wichtige Transformation besteht darin, dass die Sprache verkürzt wird. Kinder benötigen keine ganzen Sätze, um ihr Verhalten zu steuern. Athena sagt nicht zu sich: »Ich brauche für meine Fahrstrecke zwei Autos.« Sie fasst sich kurz: »Zwei Autos.« Im Gegensatz zu Piaget, dessen Theorie besagt, dass die Sprache von Kindern verständlicher werden sollte, wenn sie sich dem Zuhörer anpasst, sagt Wygotskis Theorie voraus, dass die private Sprache nach und nach zusammengezogener und verkürzter wird – was sie für einen externen Zuhörer nicht verständlicher, sondern unverständlicher macht.53 Diese Transformationen der Sprache sind besonders wichtig, wenn es um Athenas spätere innere Sprache geht, die sich nach Meinung Wygotskis aus ihren laut ausgesprochenen selbstregulierenden Äußerungen entwickelt.

      Zugleich behält die private Sprache wichtige Eigenschaften der sozialen Rede, aus der sie hervorgeht. Wenn die private Sprache eine zum Teil verinnerlichte Form des sozialen Dialogs ist, müsste man erwarten, dass sie einige Qualitäten des Hin und Her von Gesprächen besitzt. Insbesondere würde man davon ausgehen, dass Kinder sich selbst Fragen stellen und sie beantworten. Das scheint bei Athenas Selbstgespräch mit Blick auf die Fahrstrecke der Fall zu sein. »Was mache ich?«, fragt sie sich. »Ich baue eine Fahrstrecke und stelle Autos darauf.«

      Genau wie das Selbstgespräch von Erwachsenen häufig eine Unterhaltung mit dem Selbst wiederzugeben scheint, so ist die dialogische Qualität54 bei der privaten Sprache von Kindern vorherrschend. Während die Kinder zuvor möglicherweise die Frage an eine Betreuungsperson gestellt und auf eine Antwort gewartet haben, liefern sie in der privaten Sprache die Antworten häufig selbst.

      Die Forscher haben in der Regel ziemlich gute Belege für diese verschiedenen Aspekte von Wygotskis Theorie gefunden. Aber es bleiben zahlreiche Lücken, und ein paar Stellen in seinen Schriften über die private Sprache vermitteln einen etwas falschen Eindruck. Zwar behauptete Wygotski, dass die private Sprache in der späteren Kindheit schließlich »im Verborgenen stattfindet« und die innere Sprache bildet, doch es ist klar (nicht zuletzt aufgrund der Selbstgespräche von Sportlern), dass die Menschen auch als Erwachsene mit sich selbst sprechen.55

      Die private Sprache – das laut ausgesprochene Gegenstück zur inneren Sprache – scheint eine Vielzahl zusätzlicher Funktionen zu besitzen, die über die Selbstregulierung hinausreichen, wie zum Beispiel das Erlernen einer zweiten Sprache, das Verknüpfen autobiografischer Erinnerungen und die Schaffung von Fantasiewelten. Wenn Kinder viel Zeit damit verbringen, laut mit sich selbst zu sprechen, dann nicht nur deshalb, weil es ihnen hilft, Probleme zu lösen.

      Gehen wir einmal davon aus, dass Wygotski bei seiner Analyse der privaten Sprache im Großen und Ganzen richtig lag. Sollten wir dann annehmen, dass er auch bei der Version, die stumm im Inneren abläuft, recht hatte – mit anderen Worten bei dem, was wir als innere Sprache bezeichnet haben? Das ist nicht notwendigerweise der Fall. Wygotski könnte sich getäuscht haben, als er behauptete, die innere Sprache entwickle sich aus der privaten Sprache. Wie immer führt die Tatsache, dass das stumme Selbstgespräch nicht beobachtbar ist und sich folglich empirischen Studien entzieht, dazu, dass diese Frage schwer zu beantworten ist.

      Und dies nicht zuletzt deshalb, weil wir es mit einigen Konzepten zu tun haben, die der Intuition widersprechen. Falls Wygotski recht hatte, sollte es eine gewisse Zeit dauern, bis sich die private Sprache entwickelt (tatsächlich legen Beweise nahe, dass sie zwischen dem Alter von etwa drei und acht Jahren am häufigsten verwendet wird). Die innere Sprache sollte noch weiter hinterherhinken. Bedeutet das, dass kleine Kinder den Strom der Selbstgespräche nicht erleben, der die wachen Stunden vieler Erwachsener beherrscht? Ein großer Teil unseres Denkens scheint in Wörtern zu erfolgen. Sollten wir deshalb schlussfolgern, dass das Denken kleiner Kinder sich davon stark unterscheidet?

      Wenn wir uns dieser Frage zuwenden, gelangen wir direkt ins Zentrum dessen, was an Wygotskis Theorie so besonders ist. Das Denken kleiner Kinder unterscheidet sich wahrscheinlich in vielerlei Hinsicht von dem Erwachsener. Aber liegt etwas Spezifisches im Wortreichtum ihrer Gedanken? Ein Hinweis liefert die Untersuchung des Arbeitsgedächtnisses.56 Die Funktion dieses kognitiven Systems besteht darin, Informationen gerade lange genug im Bewusstsein zu halten – es geht um eine Frage von Sekunden –, um für die Planung unserer Handlungen oder die Ausführung anderer