Tom Kenyon

Das Manuskript der Magdalena


Скачать книгу

hat, ist er doch vor Unsicherheit nicht gefeit.

      Jeshua spürte den Druck seiner Himmlischen Seele, doch ein Eingeweihter zu sein ist eine merkwürdige Sache. Denn man ist Mensch, mit allem, was dazu gehört – und man ist seiner Himmlischen Seele zunehmend verbunden und Teil von ihr.

      Es ist das Ba, die Himmlische Seele, die die Stimme Gottes ist. Der hohe Eingeweihte handelt wie ein Reflex auf die Stimme Gottes, doch nur weil für die Himmlische Seele alles klar ist, braucht das der Mensch nicht auch so zu empfinden.

      Jeshua sah in anderen das Potential für Gotteserkenntnis, und er sprach mehrmals darüber. In den Evangelien wird einmal davon erzählt, dass er sagte: »Ihr werdet größere Dinge tun als ich«. Ihm war klar, dass Wunder ein natürlicher Ausdruck des Bewusstseins sind, und dass, indem sich das Bewusstsein der Menschheit erweitern würde, auch Wunder immer häufiger werden würden.

      Gleichzeitig war er sich der Begrenzungen derer, die ihn umgaben, sehr bewusst – ihrer Anhaftung an Hass, Ignoranz und Frömmelei – und es bekümmerte ihn zutiefst. Wir sprachen viele Abende lang darüber. Bis ein paar Tage vor Gethsemane war er sich nicht sicher, ob er das erreichen würde, was notwendig war, um die abschließende Initiation durchführen zu können.

      Ich weiß nicht, warum sich etwas in ihm veränderte, doch wenige Tage vor Gethsemane und unserem letzten gemeinsamen Akt der Einweihung durch die Vier Schlangen, kam ein Gefühl tiefen Friedens über ihn, und er war sich auf eine Weise sicher, die ich noch nicht an ihm gesehen hatte.

      Jetzt stehe ich in der Zeit fast zweitausend Jahre nach Jeshuas Kreuzigung und immer noch erschüttert mich der Gedanke daran. Es war sehr seltsam, gleichzeitig Eingeweihte und Frau zu sein.

      Als Eingeweihte stand ich bei Jeshua während der Kreuzigung und hielt mein Ka in inbrünstigem Gebet, das heißt, ich hielt unerschütterlich an meiner Absicht fest, für ihn da zu sein, wenn er in den Tod hinüber ging. Dies war eine Einweihungshandlung, und sie erforderte einen gewissen inneren Abstand.

      Für eine gut ausgebildete Eingeweihte ist das nicht schwer, doch als die Frau, die Jeshua, den Mann, liebte, zerriss es mir das Herz. Da stand ich also auf Golgatha, hin- und herschwankend zwischen der Kraft der Eingeweihten und dem Kummer der liebenden Frau, deren Liebster leidet.

      In jenem Augenblick war mir die Einweihung egal. Es war mir egal, dass Jeshua einen Lichtpfad durch das Reich des Todes hinterlassen würde, auf dem andere ihm nachfolgen konnten.

      Ich schrie sogar Isis an.

      »Wie kannst du nur«, rief ich!

      Im Augenblick meiner größten Qual streckte Maria ihre Hand zu mir herüber. Ich war mit meinem Kummer allein gewesen und hatte den ihren gar nicht bemerkt. Unsere Blicke begegneten sich, mit Tränen in den Augen, und wir lagen uns schluchzend in den Armen. Sie weinte um ihren Sohn, ich um meinen Geliebten.

      In den Evangelien wird berichtet, dass die Erde erbebte, als Jeshua verschied, und ich sage euch: Das ist wahr. Es schien, als würde die ganze Natur leiden und als ob sich die Erde vor Wut und Zorn darüber schütteln würde, dass solch ein Meister, solch ein Wesen, durch die Hand seiner Mitmenschen leiden musste.

      Doch das Leben auf der Erde ist paradox.

      Auch ein Gewittersturm zog über die Stadt mit Böen, wie ich sie noch nicht erlebt hatte. Der Himmel verdunkelte sich mit Wolken, Blitze zuckten, und das Donnerkrachen ließ alles erzittern. Diese Schrecken schienen sich ewig hinzuziehen, doch ich nehme an, es dauerte nur etwa eine Stunde.

      An der Grabstätte wuschen Maria und ich seinen Körper entsprechend den jüdischen Bräuchen und Traditionen, wir wickelten ihn in Tücher und verließen die Gruft. Wir taten dies schweigend. Das einzige Geräusch war unser unterdrücktes Schluchzen.

      Ich fand es merkwürdig, dass er Lazarus von den Toten auferwecken konnte, doch sich selbst nicht zu helfen wusste.

      Ich verstand nicht, was er tat.

      Nach seiner Auferstehung aber, als ich ihn in seinem Ka-Körper sah, so strahlend und schön wie immer, da verstand ich.

      Zum erhabenen Gott Horus zu werden bedeutet aus der Sicht der Eingeweihten, dass jemand das höchste Bewusstseinspotential aktiviert hat, was in der menschlichen Form möglich ist. Traditionellerweise tat man das nur für sich selbst. Jeshua tat es für die gesamte Menschheit. Das ist sein Vermächtnis.

      Doch ich sage euch: Das hat nichts mit Religion zu tun! Es hat mit Physik und Alchemie zu tun.

      Jeshuas einfache Lehre war, dass wir alle Gott sind, dass wir alle in uns die Kraft haben, zu lieben und zu heilen, und er hat das, so gut er konnte, gezeigt.

      In den frühen Tagen der Kirche – damit meine ich die Gemeinschaften, die sich um Jeshuas Lehren herum bildeten – entstand ein wunderschöner Brauch.

      Diejenigen, die weiter in seiner Energie oder Präsenz bleiben wollten, teilten Brot und Wein miteinander. Manchmal führten Männer das Ritual durch und manchmal Frauen. Dieses einfache Miteinanderteilen war ganz in Jeshuas Sinn, doch im Laufe der Jahre ging die Schlichtheit verloren, und nur die von der Kirche Ordinierten konnten Kommunion erteilen, was Jeshua abscheulich gefunden hätte. (So gut, wie ich ihn kannte, kann ich das durchaus behaupten.)

      Die Wahrheit und die Kraft von Jeshuas Lehren wurden von der Kirche verdreht.

      Die Geheimnisse der Erhöhung des Bewusstseins durch heilige Sexualität, so wie Jeshua und ich sie praktizierten, wurden von der Kirche unterschlagen.

      Mir ist klar, dass nur eine Handvoll von Menschen meine Geschichte verstehen wird, doch das genügt.

      Ich möchte jetzt einige der Geheimnisse der Sexualmagie der Isis enthüllen.

      Wie bereits gesagt, ist es möglich, allein die Höhen des Bewusstseins zu erklimmen, ohne Partnerschaft, und die alchemistischen Praktiken des Horus dienten dazu, die Eingeweihten dabei zu unterstützen.

      Doch für diejenigen, die sich in Partnerschaften befanden, heiligen Beziehungen, wurde die Sexualmagie der Isis enthüllt. Ich möchte verschiedene Aspekte davon hier erläutern.

      Als Erstes möchte ich klarstellen, dass in dem Augenblick des Orgasmus magnetische Felder entstehen. Eigentlich entstehen diese Felder durch das, was ihr Vorspiel nennt: Die Stimulation der Sinne durch Berührung. Diese Stimulation der Sinne setzt den Prozess des Aufbaues der magnetischen Felder in Gang und ist für die alchemistische Sexualmagie von entscheidender Bedeutung.

      Den Eingeweihten stehen verschiedene Methoden zur Verfügung, und ich werde einige davon erklären. Von grundlegender Bedeutung ist aber das Wissen um die Wechselwirkung der beiden alchemistischen Elemente im Mann und in der Frau.

      Auf der gewöhnlichen Ebene enthält der Samen des Mannes die Information seiner genetischen Abstammungslinie, die er an das Kind weitergibt. Wenn das Sperma in seinem Samen sich mit der Eizelle der Frau verbindet, entsteht Leben, und Leben ist eine komplexe Verbindung magnetischer Felder. Das Kind, das in der Gebärmutter entsteht, entwickelt Organe und Systeme, doch auf der magnetischen Ebene können diese als ineinander greifende komplexe Schwingungs- und Magnetfelder betrachtet werden. So erschafft der sexuelle Akt auf der gewöhnlichen Ebene also neue Magnetfeldmuster.

      Eingeweihte der Alchemie verwenden auch sexuelle Energie, um komplexe magnetische Felder zu erschaffen, doch aus diesen Feldern entsteht kein Kind, sondern sie werden den Ka-Körpern der beiden Eingeweihten einverleibt, um sie zu stärken und ihre Schwingung anzuheben. Dies gilt es als Erstes zu verstehen. Darum dreht sich alles.

      In dem System, in welchem Jeshua und ich ausgebildet waren, ist es die Aufgabe der Eingeweihten, den Ka-Körper über die Begrenzungen des physischen Körpers (Khat) hinaus zu stärken.

      Beim nächsten Punkt, den es zu verstehen gilt, geht es um die emotionale Einstimmung der weiblichen Eingeweihten, denn ihre Empfänglichkeit hängt von ihrem emotionalen Zustand ab. Das ist Teil ihres Wesens und darf nicht übergangen werden, wenn die Techniken funktionieren sollen.

      Für die