musizieren sie – oftmals noch bevor sie miteinander sprechen. Keine Gemeinschaft und keine Gesellschaft existieren ohne Musik. Menschheitsgeschichtlich kommt das Singen vor dem Sprechen, die Musik als »organisierter Klang« (Edgar Varèse) vor der Sprache.
Musik ist zum Hören bestimmt. Das Hören aber – und besonders das genussvolle Hören von Musik – ist nicht selbstverständlich. Es ist ein komplizierter Sinn. Das Hören nur weniger gesungener Takte verlangt dem Gehirn viele Millionen Operationen ab. Langsam nur hat sich das Gehör entwickelt. Unter den Sinnesorgangen ist es ein Spätentwickler – dafür aber ausgesprochen leistungsfähig: Die Hörzellen reagieren bereits auf Reizenergien, die etwa zehn Millionen Mal kleiner sind als die, die z.B. bei Berührungsempfindungen benötigt werden.
Das Hören hat für den Menschen erhebliche Bedeutung. Es warnt ihn vor Gefahr. Es verbindet ihn mit der Welt, mit allem, was zu ihm gehört. Ein akustischer Reiz wird durch das Hören zu einem individuellen Klangereignis. Jeder Mensch hört anders. Hören ist ein Einverleiben, die persönliche Inbesitznahme eines Geräuschs oder Tons und die sehr individuelle Verknüpfung mit spezifischen Emotionen. Was wir hören, das wird ein Teil von uns.
Insofern ist das Hören auch in religiöser Hinsicht wichtig. Das Evangelium soll gehört werden. Im Gottesdienst ist ein ganz wichtiger Aspekt das Zuhören (Kohelet/Prediger 4,17), und nicht nur dort! Jesus selbst hat gesagt: »Wer Ohren hat, soll gut zuhören!« (Markus 4,9)
Christinnen und Christen sind Menschen mit wachen Ohren, Menschen, die gerne hören und gut zuhören (sollten). Bei Jesaja heißt es: »Jeden Morgen lässt er [Gott] mich aufwachen mit dem Verlangen, ihn zu hören. Begierig horche ich auf das, was er mir zu sagen hat. Er hat mir das Ohr geöffnet und mich bereitgemacht, auf ihn zu hören.« (Jesaja 50,4-5) Hören ist ein Grundvollzug des Glaubens: »Hört auf mich, dann werdet ihr leben!« (Jesaja 55,3) Wer Gottes Wort hört, der lässt es durch sich hindurchklingen. Glauben erwächst aus dem Hören. »Sie können nur zum Glauben kommen, wenn sie die Botschaft gehört haben«, schreibt Paulus (Römer 10,14). Und Gott selbst hat sein Volk aufgerufen: »Höre, Israel!« (5Mose/Deuteronomium 6,4).
Die Glaubensgeschichte ist auch eine Hörgeschichte. Immer wieder offenbart sich Gott auf akustischem Wege. Und viele Menschen glauben, ihn gerade in der Musik spüren zu können. »Gott wohnt in der Musik«, sagt ein altes italienisches Sprichwort. Viele werden das bestätigen können.
Während es ausdrücklich verboten ist, sich ein Bild von Gott zu machen (2Mose/Exodus 20,4), so ist es im Gegenteil wichtig, Menschen über das Ohr – durch Worte, aber auch durch eigens gestaltete Klangwelten und Musik – zum Glauben zu bringen. Hierfür sind und waren auch Spezialisten nötig. Einige Musikerpersönlichkeiten aus der Bibel kennen wir, wenn auch nicht deren genaue Lebensläufe: den bereits erwähnten Jubal zum Beispiel, dann natürlich König David, aber auch Asaf, den Anführer des Chores von David, zugleich Verfasser einiger Psalmen und Mitausgangspunkt einer ganzen Tempelmusikerdynastie. Die Bibel überliefert in 1Chronik 25,1-7 die Namen dieser Tempelmusiker, die mit Gesang und dem Spiel von Becken, Harfen und Lauten Gott preisen sollten. Sie alle waren zu ihrer Zeit berühmte Männer, Spezialisten und Könner auf ihrem Gebiet, dem sie sich voll und ganz und ohne Ablenkung widmen konnten: »Die levitischen Sippen, die für den Gesang am Tempel verantwortlich waren, wohnten in den Kammern am Tempel. Sie waren von aller anderen Arbeit befreit, weil sie Tag und Nacht zu ihrem Dienst bereit sein mussten.« (1Chronik 9,33)
288 Sänger werden erwähnt und viele verschiedene Instrumente – das ist eine erhebliche Infrastruktur, die große Vielfalt erlaubt, um auf die unterschiedlichen Befindlichkeiten der Menschen und die verschiedenen Anforderungen des liturgischen Dienstes reagieren zu können.
Vielfalt und Wandel – das sind zwei Begriffe, die programmatisch stehen können für die biblische Musikkultur. Musik in der Bibel ist alles andere als eintönig. Sie erscheint in vielerlei Form, in ganz unterschiedlichen Zusammenhängen. Die immer gleiche Musik für jeden Anlass gibt es in der Bibel nicht. In Psalm 150 wird diese Mannigfaltigkeit deutlich:
Halleluja – Preist den HERRN!
Rühmt Gott in seinem Heiligtum!
Lobt Gott, den Mächtigen im Himmel!
Lobt Gott, denn er tut Wunder,
seine Macht hat keine Grenzen!
Lobt Gott mit Hörnerschall,
lobt ihn mit Harfen und Lauten!
Lobt Gott mit Trommeln und Freudentanz,
mit Flöten und mit Saitenspiel!
Lobt Gott mit klingenden Zimbeln,
lobt ihn mit schallenden Becken!
Alles, was atmet,
soll den HERRN rühmen!
Preist den HERRN – Halleluja!
Was kommt da nicht alles zum Einsatz? Es klingt alles, was das antike Instrumentarium hergibt: Hörner, Harfen und Lauten, Trommeln und Flöten, Zimbeln und Becken – und dazu wird getanzt. Vielfältig ist die Klangwelt der Bibel also in jedem Fall, und dennoch soll sie nicht bei sich stehenbleiben. In Psalm 149,1-5 heißt es:
Halleluja – Preist den HERRN!
Singt dem HERRN ein neues Lied,
preist ihn, wenn ihr zusammenkommt,
alle, die ihr zu ihm haltet!
Freu dich, Volk Israel: Er ist dein Schöpfer!
Du Gemeinde auf dem Zionsberg,
juble ihm zu: Er ist dein König!
Rühmt ihn mit festlichem Reigentanz,
singt ihm zum Takt der Tamburine,
ehrt ihn mit eurem Saitenspiel!
Denn der HERR ist freundlich zu seinem Volk,
er erhöht die Erniedrigten durch seine Hilfe.
Alle, die zum HERRN gehören, sollen jubeln,
weil er sie zu Ehren gebracht hat!
Sie sollen vor Freude singen,
auch in der Nacht!
Neu sollen das Lied und die Musik sein. Und immer wieder aufs Neue gesungen werden. Da wird nicht musikalischem Stillstand das Wort geredet, nicht die Pflege eines überkommenen Repertoires, sondern im Gegenteil eine fortlaufende Erneuerung der Musik zum Lobe Gottes gefordert. Nicht unentwegt dasselbe, sondern – je nach Anlass, Zeit, Ort – etwas Anderes, etwas Neues.
Es ist sicher bedauerlich, dass die Musik des alten Israel und der frühen Christenheit heute nicht mehr rekonstruierbar ist. Für unsere (musik-)religiöse Existenz aber ist das letztlich nicht wichtig. Wir müssen nicht wissen, welche Melodien David gesungen hat oder wie genau das vielfältige Instrumentarium dieser Zeit geklungen hat. Musikhistorisch ist das sicher spannend, aber unsere liturgische und außerliturgische Musik dürfte (wenn wir ernst nehmen, was in der Bibel steht) eine solche Einsicht nicht beeinflussen.
Die Wirkung einer bestimmten Musik ist nicht universell, also unabhängig von Ort und Zeit. Und natürlich würden wir, geprägt durch unsere jahrhundertelange Musikkultur und ein vielfältiges Musikleben, auf die Klänge einer »Ugab« – einer antiken Flöte – ganz anders reagieren als die Menschen der letzten vorchristlichen Jahrhunderte. Und ob wir, gewöhnt an die Dynamikskala von Lautsprechern und großen sinfonischen Orchestern, den Klang der Harfe als ebenso »rauschend« wie Jesaja empfinden würden (Jesaja 14,11), ist eher unwahrscheinlich. Was Ijob berührt hat, kann uns moderne Hörerinnen und Hörer kaltlassen. Und so wie wir heute kaum noch verstehen, was eigentlich 1913 der große Skandal bei der Aufführung von Igor Strawinskys Sacre du Printemps war, würden wir vielleicht achselzuckend auf die Musik reagieren, die so beruhigend auf Saul wirkte.
Wie weise ist da doch der biblische Aufruf, nicht zwanghaft an Altem festzuhalten, sich Neuem gegenüber nicht zu versperren und auf diese Weise auch immer wieder zu prüfen, ob die Musik den Anforderungen und Erwartungen der Gegenwart genügt. Aus dem Psalmwort spricht die Aufforderung zur immerwährenden Innovation, zum steten