Bestand konkreter Stücke oder Instrumente als Teil des göttlichen Schöpfungswerks. Und den Zehn Geboten ist auch kein musikalisches Regelwerk angehängt. Es ist die Fähigkeit zur Musik, die wir Gott verdanken, die uns aber auch dazu verpflichtet, kreativ mit ihr umzugehen. Die Musik ist nach biblischem Verständnis eine Zivilisationsleistung des Menschen, an der Gott Freude hat (»Er, der den Menschen Ohren gab, sollte selbst nicht hören?«, Psalm 94,9), die er in seinen Besitz nimmt und in den Dienst der Liturgie stellt.
Musik erscheint in unterschiedlichen Zusammenhängen: in ganz weltlichen, aber eben immer auch in religiösen. In diesem Sinne ist Musik nicht per se gut. Entscheidend ist die Haltung, aus der heraus musiziert wird, der Zweck, zu dem sie eingesetzt wird. Auch die Gottlosen haben Musik – da macht uns die Bibel nichts vor. An rein musikalischen Fakten jedoch lässt sich deren Musik nicht erkennen. Jede Musik, jeder Stil kann dem Bösen dienen – aber eben auch dem Guten. Die Idee eines »Kirchenstils« ist der Bibel fremd. Viel wichtiger ist, wie man Musik macht, aus welchem inneren Antrieb. Sämtliche Versuche, einzelne Musikrichtungen als grundsätzlich unchristlich zu brandmarken, sind vor dem Hintergrund der biblischen Offenheit der Musik gegenüber zum Scheitern verurteilt. Wer aus der richtigen Haltung heraus – was auch immer – musiziert, der kann nichts falsch machen. Und er kann auch keine falsche Musik spielen: »Denn durch das Wort Gottes und durch unser Dankgebet wird [alles] rein und heilig«, schreibt Paulus (1Timotheus 4,5). Das gilt ganz bestimmt auch für die Musik.
Musik im Himmel und auf Erden
Einmal im Jahr werden sie herausgeholt: kleine Engelsfiguren aus Holz, fein geschnitzt, viele von ihnen haben ein Musikinstrument in der Hand. Mit ganzen Engelsorchestern können manche Haushalte aufwarten und nehmen damit die Vorstellung auf, dass zumindest einem Teil der himmlischen Heerscharen vornehmlich musikalische Aufgaben zukommt. In Literatur und Malerei begegnen uns immer wieder musizierende Engel. Dass Engel singen – und zwar schön –, steht außer Frage. Sie verstehen ihr Handwerk. Und ihr Geschmack ist erlesen. Ob sie wirklich – wie der Theologe Karl Barth in Wolfgang Amadeus Mozart meinte – Mozarts Musik bevorzugen? Oder – »eia, eia« (EG 70,5) – lallen sie vielleicht eher? Vielleicht klingt ihre Musik ja auch für jeden anders, gerade so, wie man es braucht?
So weit unsere Vorstellung von himmlischer Musik. Ein Blick in die Bibel zeigt aber noch eine andere Seite. Das wenige, was wir dort über die Musik der Engel konkret erfahren, ist keineswegs nur gefällig. Richtig harmonisch wird der Posaunenschall, mit dem die Engel zum Jüngsten Gericht rufen, wohl nicht sein. Und auch bei Ezechiël stellt sich die himmlische Klangkulisse nicht so dar, wie wir uns musikalischen Wohlklang vorstellen: Sie ist beherrscht vom »Rauschen der Flügel«, das »wie die Brandung des Meeres, wie ein Heerlager, wie die Donnerstimme des allmächtigen Gottes« dröhnt (Ezechiël 1,24). Das muss nicht unbedingt Missklang bedeuten, aber man merkt doch: Engelsmusik ist nicht nur Harfenglissando und Gesäusel.
Entsprechend vielfältig sind die Versuche, Engelsmusik nachzuahmen. So unklar ihre konkrete klangliche Gestalt, so inspirierend ist offenbar die Vorstellung, dass Engel musizieren und wir als Menschen es ihnen darin gleichtun können. Wer Musik auf Erden macht, der orientiert sich vielleicht auch an himmlischen Vorbildern. Eduard Mörike dichtete: »Wer sich die Musik erkiest, / hat ein himmlisch Gut bekommen. / Denn ihr erster Ursprung ist / von dem Himmel selbst genommen, / weil die Engel insgemein / selbsten Musikanten sein.« (Altes Verslein, vertont in Hugo Distlers Mörike-Chorliederbuch)
Das Singen auf Erden als Abbild, Aufnahme und Weiterführung der himmlischen Kantorei ist ein wesentlicher Impuls für jedes kirchenmusikalische Tun. Weit verbreitet ist die Idee einer gemeinsamen himmlischen und irdischen Liturgie: Menschen und Engel musizieren gemeinsam und preisen auf diese Weise ihren Schöpfer – im Himmel und auf Erden.
Heilig, heilig, heilig
Jesajas Vision
Nur wenige haben – vom sprichwörtlichen Sinn einmal abgesehen – bisher Engel singen hören. Einer von ihnen war Jesaja. Wohl während eines Gottesdienstes im Jerusalemer Tempel ereilt ihn eine Vision von Gottes Herrlichkeit. Teil der sich ihm eröffnenden Szenerie ist eine Schar Feuerwesen mit jeweils sechs Flügeln – die sogenannten Serafen, keine Engel im landläufigen Sinn, sondern kaum fassbare Mischwesen, denen offenbar die Aufgabe zukommt, Gottes Größe unaufhörlich zu preisen. Im biblischen Text ist dieser Lobpreis zwar als ein »Rufen« beschrieben, doch wie anders als gesungen kann man sich ihr »Heilig, heilig, heilig« vorstellen?
Beeindruckend jedenfalls wird es gewesen sein. Jesaja hat es nicht mehr losgelassen. Sein ganzes prophetisches Tun ist geprägt von dieser Erfahrung. Und seit dem 5. Jahrhundert stimmen wir in diesen Gesang der Engel ein, wenn wir Abendmahl feiern. Im »Sanctus« des Gottesdienstes berühren sich musikalisch Himmel und Erde. Engelsgesang und Menschengesang werden eins. (Jesaja 6)
Es war in dem Jahr, als König Usija starb. Da sah ich den Herrn; er saß auf einem sehr hohen Thron. Der Saum seines Mantels füllte den ganzen Tempel. Er war umgeben von mächtigen Engeln. Jeder von ihnen hatte sechs Flügel; mit zweien bedeckte er sein Gesicht, mit zweien den Leib, zwei hatte er zum Fliegen.
Die Engel riefen einander zu:
»Heilig, heilig, heilig ist der HERR,
der Herrscher der Welt,
die ganze Erde bezeugt seine Macht!«
Von ihrem Rufen bebten die Fundamente des Tempels und das Haus füllte sich mit Rauch.
Vor Angst schrie ich auf: »Ich bin verloren! Ich bin unwürdig, den HERRN zu preisen, und lebe unter einem Volk, das genauso unwürdig ist. Und ich habe den König gesehen, den Herrscher der Welt!«
Da kam einer der mächtigen Engel zu mir geflogen. Er hatte eine glühende Kohle, die er mit der Zange vom Altar genommen hatte. Damit berührte er meinen Mund und sagte: »Die Glut hat deine Lippen berührt. Jetzt bist du von deiner Schuld befreit, deine Sünde ist dir vergeben.«
Dann hörte ich, wie der Herr sagte: »Wen soll ich senden? Wer ist bereit, unser Bote zu sein?«
Ich antwortete: »Ich bin bereit, sende mich!«
Da sagte er: »Geh und sag zu diesem Volk: ›Hört nur zu, ihr versteht doch nichts; seht hin, so viel ihr wollt, ihr erkennt doch nichts!‹ Rede zu ihnen, damit ihre Herzen verstockt werden, ihre Ohren verschlossen und ihre Augen verklebt, sodass sie mit ihren Augen nicht sehen, mit ihren Ohren nicht hören und mit ihrem Verstand nicht erkennen. Ich will nicht, dass sie zu mir umkehren und geheilt werden.«
»Wie lange soll das dauern, Herr?«, fragte ich.
Der HERR antwortete: »Bis die Städte zerstört sind und die Häuser leer stehen und das ganze Land zur Wüste geworden ist. Ich werde die Menschen fortschaffen und das Land wird leer und verlassen sein. Und ist noch ein Zehntel übrig, so wird es ihnen gehen wie den Trieben, die aus dem Stumpf einer gefällten Eiche oder Terebinthe wachsen: Sie werden abgefressen!«
Der Stumpf aber bleibt und aus dem Stumpf wird neues Leben sprossen zu Gottes Ehre.
Das große Gotteslob
Psalm 148
»Erd und Himmel sollen singen, von dem Herrn der Herrlichkeit«, so heißt es in einem neueren Kirchenlied (EG 499,1).
Gottes Herrlichkeit ruft auf zum Lobpreis. Dieser Gedanke bestimmt auch Psalm 148. Alle Welt soll Gott ein »Halleluja« singen: die himmlischen Mächte ebenso wie die Geschöpfe unten auf der Erde. Durch diesen Gesang werden alle eins: Mensch und Natur, Männer und Frauen, Alt und Jung. Ja sogar vermeintlich destruktive Kräfte werden einbezogen: Ungeheuer im Meer, Blitze, Hagel, Schnee und Stürme.
Lobpreis, wohin man hört! Allumfassend und selbstverständlich und unaufgebbar. Rechter Glaube zeigt sich so auch musikalisch. Alles, was ist, ist zum Singen aufgerufen: Engel, Sonne, Mond, Sterne, Natur, Mensch und Tier. Jeder Einzelne. Immer und immer wieder. (Psalm 148)
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