Ulrich Walter

Im schwarzen Loch ist der Teufel los


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ausgerichtet wird. Im besagten Jahr 2015 hatte der ESA-Astronaut Christer Fuglesang nach Schweden eingeladen. Man traf sich am 20. September für vier Tage im Grand Hotel in Stockholm, wo der komplette sechste Stock für uns reserviert war. Auf dem Programm standen Besuch der Königlich Technischen Universität, KTH, wo wir viel mit den Studenten weltraumfachlich diskutierten, Empfang und Shakehands mit König Carl Gustaf und seiner Tochter Victoria gleich im Schloss gegenüber und dem wichtigsten Teil unserer jährlichen Mission, dem sogenannten Community Day.

      COMMUNITY DAY!

      An diesem Tag schwirren alle Astronauten in Autos oder Fliegern manchmal sogar in die entferntesten Landesteile aus, um Schulen zu besuchen und dort die Schulkinder zu begeistern. In diesem Jahr hatte ich es nicht weit, ich fuhr in meinem Flight Suit, ein Muss für solche Besuche bei Kindern, in die Deutsche Schule am nördlichen Rand des Stadtkerns von Stockholm. Mit mehr als 400 Jahren ist sie eine der ältesten deutschen Schulen weltweit und mit etwa 600 Schülern auch ziemlich groß. In der Aula warteten aufgeregt Schüler im Alter zwischen 12 und 16 Jahren. Ein Video von mir, das einen Flug der ISS über die Erde bei Nacht mit den wunderschön erleuchteten Städten und den magisch flatternden Nordlichtern zeigte, machte den Anfang der Veranstaltung. Danach gab es Wissenschaft im Weltraum light: »Kocht Wasser im Kochtopf im Weltraum? (Antwort: Nein) und »Brennt eine Kerze in der Schwerelosigkeit?« (Antwort: Ja, aber ganz anders). Dazu Bilder der entsprechenden Experimente, was selbst für mich immer wieder verblüffend aussieht.

      FÄK-CHÖ

      Am Donnerstag reisten wir weiter nach Süden zu der Stadt mit dem unaussprechlichen Namen Växjö (ausgesprochen: Fäk-chö, wo bei das »ch« ein für Deutsche kaum aussprechbarer tiefliegender Rachenlaut ist). Dort gab es am Freitag einen weiteren Community Day. Mein Shuttle-Kollege Tom Henricks und ich besuchten eine kleine Grundschule in Timfors. Etwa 80 Kinder in gnadenlos toller Stimmung. Die Eltern hatten im Vorhof eine etwa vier Meter hohe Rakete aus Edelstahl einzementiert, auf der wir uns mit Unterschriften verewigen mussten und daneben, auf einem kleinen Stück Rasen, haben wir unter dem Gejohle aller Kinder einen Apfelbaum gepflanzt. Dafür revanchierten Tom und ich uns mit Bildern der Klassiker: Wie geht man im Weltraum auf die Toilette? Wie isst man? Wie wäscht man sich die Haare? Und wie schläft man in der Schwerelosigkeit des Alls?

      DAS BESTE ZUM SCHLUSS

      Am Freitag mussten die Kinder dann angeblich in einer Schulstunde ihre Erlebnisse des Besuches in kurzen Sätzen zusammenfassen, die uns bei der Abschiedsfeier am vergangenen Sonntag präsentiert wurden. Es machte einfach Spaß, deren aufrichtige Begeisterung zu lesen. Ein kleiner blonder Junge schrieb: »Das war der schönste Tag in meinem Leben!« und Nancy, 9 Jahre, formulierte es kurz und knapp: »Space rocks!«.

      DER URKNALL – WAS WAR DAVOR?

      Begann unser Universum erst mit dem Urknall,

      oder gab es bereits davor etwas?

      Diese Frage ist zurzeit eine der interessantesten in der Kosmologie. So eigenartig es klingt, aber ob es bereits vor dem Urknall etwas gab, hängt davon ab, woran die Kosmologen glauben!

      WAS IST DAS PROBLEM?

      Eins nach dem anderen. Die Kosmologen sind diejenigen Wissenschaftler, die sich offiziell mit dem Ursprung und der Entwicklung unseres Kosmos, also Universums, beschäftigen. Eines wissen wir heute mit ziemlicher Sicherheit: Unser Universum entstand vor 13,80 ± 0,02 Milliarden Jahren. Und alles begann wahrscheinlich an einem winzigen Punkt. Aber hier beginnen bereits die Probleme. Da ist zunächst das Verständnisproblem: Denn eine oft gestellte Frage lautet: »Wo war dieser Punkt in Universum?« Diese Frage ist ein einziges logisches Missverständnis, denn beim Urknall handelt es sich nicht um einen Punkt im Raum, sondern unser dreidimensionales Universum, also der Raum selbst war zu einem Punkt zusammengeschnurrt. Die nächste Frage, die dann gleich darauf gestellt wird, ist: »Was war um diesen kleinen Punkt herum? Also, worin ist unser Universum eingebettet?« Die Antwort lautet: Nirgendworin. Nur weil wir uns etwas nur dann vorstellen können, wenn es in einem größeren, ihn umgebenden Raum ist, muss das nicht auch so sein. Mathematisch ausgedrückt lautet das einfach: Das dreidimensionale, stark gekrümmte, kompakte, punktförmige Universum war einfach da.

      WAS IST EIN PUNKT?

      Jetzt das andere Problem. Wie groß war anfänglich der zusammengeschnurrte Punkt? Genau daran scheiden sich die Geister der Wissenschaftler. Bis vor wenigen Jahren herrschte die Meinung vor, es sei wirklich ein mathematischer Punkt, eine sogenannte Singularität mit Dimension Null, gewesen. Der Grund dafür waren die Einstein’schen Gleichungen der Allgemeinen Relativitätstheorie. Sie beschreiben zuverlässig alles was kosmologisch ist und insbesondere bei großen Massendichten passiert. Wenn man diese auf unser Universum anwendet, erhält man ein mit der Zeit expandierendes Universum, das, wenn man es zurückverfolgt, in einer Singularität vor 13,80 Milliarden Jahren beginnt. Obwohl Einsteins Allgemeine Relativitätstheorie bis heute vielfach so exakt bestätigt wurde, dass es keinen Zweifel mehr gibt, dass sie zutrifft, hat sie dennoch ein bekanntes Problem, das man bis vor Kurzem außer Acht gelassen hat. Sie ist eine klassische Feldtheorie im Makrokosmos, das heißt, sie beschreibt Wechselwirkungen, wie etwa elektrische Ladungswechselwirkung, durch Felder (elektrisches Feld). Im Mikrokosmos, also auf Elementarteilchenebene, gelten quantenmechanische Verhältnisse, und da braucht man Quantenfeldtheorien. Die kennen wir für alle bekannten vier Wechselwirkungskräfte, mit einer Ausnahme: Die Quantengravitationstheorie.

      Aber genau die bräuchte man, um die Verhältnisse am Urknall zu beschreiben. Es gibt zwar erste Ansätze für eine Quantenfeldtheorie, die die Quantengravitation beinhaltet, etwa die 10+1-dimensionale Stringtheorie (10 Raumdimensionen, eine Zeitdimension) oder die Theorie der Schleifenquantengravitation, aber von beiden wissen wir nicht, ob sie richtig sind. Aber eines haben alle Quantenfeldtheorien gemeinsam, ihre kleinste Einheit ist ein Quant, also ein ausgedehntes Etwas – in der Stringtheorie ist es ein String von der Plancklänge 10-32 cm, was verdammt klein ist – und keine Singularität.

      WAS ALSO WAR VOR DEM URKNALL?

      Aber genau das macht den entscheidenden Unterschied. Wenn nämlich der Urknall nicht in einem Punkt, sondern mit einem ganz kleinen Raumgebiet entstand, dann bleiben beim Rückwärtsrechnen die grundlegenden Eigenschaften des Universums – zum Beispiel Anzahl der String-Raumdimensionen = 10 – in diesem Raumgebiet erhalten. Dies ermöglicht einem aber im Prinzip auch, noch weiter zurückzurechnen, also vor den Urknall. Das geht nicht, wenn man nur eine Singularität mit Dimension Null hat, denn die Informationsmenge eines strukturlosen Punktes beträgt nur 1 Bit – entweder er ist da oder nicht da. Daraus kann man nicht ablesen, ob und was es davor gegeben hat. Genau das ist das Problem einer Singularität. Während also die klassischen Kosmologen immer behauptet haben, die Welt sei mit dem Urknall entstanden und davor habe es nichts gegeben, behaupten die Quantenfeld-Kosmologen, vor dem Urknall könnte es etwas gegeben haben, muss es aber nicht. Was genau es davor gegeben haben könnte, werden uns aber auch die Quantenkosmologen nie genau sagen können. Denn viel mehr Informationen als über den grundlegenden Auf bau eines Universums sind in einem Quantum nicht Platz. Selbst wenn es also vor unserem Universum ein anderes gegeben hat, in dem wahrscheinlich dieselben physikalischen Gesetze geherrscht haben wie bei uns, werden wir nie erfahren, wie groß es damals war und ob es dort erdähnliche Planeten gegeben hat oder vielleicht sogar Zivilisationen. Ganz zu schweigen davon, dass wir mit denen nie Kontakt haben werden können.

      VON EWIGKEIT ZU EWIGKEIT

      Eines ist jedoch noch ganz wichtig zu wissen. Während die Allgemeine Relativitätstheorie besagt, dass mit dem Urknall nicht nur unser Raum, sondern auch die Zeit entstand, weswegen es in der Relativitätstheorie keinen Sinn ergibt zu fragen, was vor dem Urknall war, sehen das die Quanten-Kosmologen etwas anders. Die Zeit bleibt als Beschreibungsgröße voll erhalten und lässt sich durch den Urknall rückwärts verlängern. Statt also zu sagen: »Unser Universum hatte vor 13,8 Milliarden Jahren einen Anfang und dehnte sich von da an in alle Ewigkeiten aus«, könnte es sein, dass es bereits seit Ewigkeiten ein Universum gab, das kollabierte, in einem neuen Knall vor 13,8 Milliarden Jahren sich zu unserem neuen Universum aufblähte und sich in alle Ewigkeiten weiter ausdehnen wird