Laura Malina Seiler

Mögest Du glücklich sein


Скачать книгу

anstatt diesen Sack Steine endlich einfach mal abzusetzen. Wenn wir die Verletzungen nicht heilen, beginnt eine endlose Kette an weiteren Verletzungen, die wir anderen Menschen und auch uns selbst zufügen, da wir nicht mehr in Liebe durch die Welt gehen, sondern ständig im Selbstverteidigungsmodus und im Misstrauen sind.

      Die Wahrheit ist, niemand kann uns verletzen außer wir uns selbst. Wir verletzen uns selbst, indem wir glauben, wir seien voneinander getrennt und dass das Leben gegen uns ist. Wir sehen uns als getrennt von der kraftvollen göttlichen Energie an, die uns alle in Wirklichkeit in jedem Moment durchströmt. Wir haben Angst davor, verlassen zu werden, während wir noch nicht mal zu uns selbst stehen. Wir haben Angst davor, verletzt zu werden, während wir durch diese Angst immer wieder Menschen um uns herum verletzen, weil wir keine wirklichen Beziehungen zulassen können. Diese Ängste führen dazu, dass wir eine Maske tragen und so tun, als wären wir jemand, der wir in Wirklichkeit gar nicht sind, aus Sorge, wir könnten abgelehnt oder nicht geliebt werden. Wir hören auf, aus vollem Herzen zu lieben, und sehen die Welt nicht mehr als einen friedlichen Ort an, an dem wir uns mit Freude und Begeisterung in unserer Einzigartigkeit zum Ausdruck bringen können, sondern als einen Ort, an dem wir nicht mehr vertrauen können und uns schützen müssen.

      Nur wenn wir lernen, unsere Herzen wieder zu öffnen und die Vergangenheit als das zu sehen, was sie ist – nämlich vergangen und nur noch eine Geschichte in unserem Kopf –, durchbrechen wir den Teufelskreis und erlauben uns selbst, in der Gegenwart wahre Erfüllung zu finden.

      Im Higher Self zu sein, bedeutet, sich selbst auf den inneren Standpunkt zu stellen, dass wir uns unser Leben mitsamt aller Erfahrungen selbst ausgesucht haben und wir in diesem Leben etwas Bestimmtes über uns lernen und erfahren möchten. Das Leben schenkt uns somit eine Vielzahl von Erfahrungen, die es uns immer wieder ermöglichen zu wählen, wer wir wirklich sein möchten, und uns mit der inneren Wahrheit zu verbinden.

      Auf den nächsten Seiten zeige ich dir, wie du deine alten Verletzungen heilen kannst. Wir werden uns im ersten Teil des Higher-Self-Dreiecks auf die Vergangenheit konzentrieren und die Vorwürfe, Schuldgefühle und Ängste auflösen, die dich bis heute davon abgehalten haben, in deine ganze Kraft zu kommen. Am Ende des ersten Teils wirst du deine tiefsten Ängste aufgelöst, Vorwürfe losgelassen und einen ganz neuen, Kraft gebenden Blick auf deine eigene Geschichte gefunden haben.

      The wound is the place where the light enters you. — Rumi

       Wie ich dank Buddhameine größte Angstloslassen konnte

      Kurz bevor ich Anfang des Jahres nach Südafrika geflogen bin, meldete ich mich für Vipassana an, einen zehntägigen Meditationskurs in der Nähe von Kapstadt. Ein Freund hatte mir vor einiger Zeit davon erzählt, und während er von dem Kurs sprach, war meine Intuition so stark, dass ich dort unbedingt auch hingehen sollte. Ich dachte mir, dass es vielleicht die perfekte Vorbereitung für das Buch sein könnte, um meine Gedanken zu sammeln und um Klarheit zu finden. Ich informierte mich nicht wirklich, worum es genau bei dem Kurs gehen würde, alles, was ich wusste, war, dass wir zehn Tage meditieren und schweigen würden und dass es höchstwahrscheinlich nur Reis zu essen geben würde.

      Nach der ersten Woche in Kapstadt war es dann so weit. Mein Freund fuhr mich zum Meditationscenter, das ungefähr anderthalb Stunden entfernt von Kapstadt liegt. Ich stieg voller Elan und Vorfreude ins Auto und dachte, es würden mich zehn Tage voller innerer Ruhe, Frieden und Harmonie erwarten. Ich malte mir aus, wie ich glücklich auf meinem kleinen Meditationskissen sitzen und nach zehn Tagen erfrischt wieder nach Hause fahren würde.

      Das Meditationszentrum liegt wunderschön von Bergen umgeben und ist völlig abgeschnitten von der Außenwelt. Als wir dort ankamen, verabschiedete ich mich von meinem Freund und spazierte in die Registrationshalle, um mich anzumelden.

      Nach der Registrierung wurde ich in den Teil des Meditationszentrums geführt, den wir während der nächsten zehn Tage nicht mehr verlassen durften. Ich bekam ein kleines Zimmerchen mit der Nummer 16D zugewiesen und setzte mich aufs Bett. Mir gegenüber hing an der Wand ein Zettel, auf dem der Zeitplan stand sowie der »Code of Honor«.

      Der »Code of Honor« von Vipassana besagt, dass jeder Teilnehmer während der zehn Tage die folgenden Regeln befolgen sollte:

      1. »Noble Silence« bedeutet, man schweigt und hat auch keinen Körper- oder Blickkontakt mit den anderen Teilnehmern – während der gesamten Zeit.

      2. Man gibt alles ab außer der Kleidung (alle Bücher, das Handy, den Laptop etc.).

      3. Man bricht die zehn Tage nicht ab und meditiert zu den vorgegeben Zeiten.

      Vielleicht war es gut, dass ich mich vorher nicht wirklich informiert hatte, was mich erwarten würde. Mein kleines Zimmerchen war ausgestattet mit einem Bett und einem kleinen Nachttisch. Jeder Tag lief gleich ab:

      4:00 Uhr aufstehen, 4:30–6:00 Uhr meditieren, Frühstück, 8:00–9:00 Uhr meditieren, kurze Pause, 9:00–11:00 Uhr meditieren, Mittagessen, 13:00–14:30 Uhr meditieren, kurze Pause, 14:30–15:30 Uhr meditieren, kurze Pause, 16:00–17:00 Uhr meditieren, Abendessen, 16:00–19:00 Uhr meditieren, 19:00–20:00 Uhr Diskurs, 20:00–21:00 Uhr meditieren und ab 21:00 Uhr schlafen.

      Langsam dämmerte es mir, dass das vielleicht doch ziemlich lange zehn Tage werden würden, aber ich war immer noch voller Vorfreude auf die Zeit und dachte mir, dass ich ja jetzt schon seit mehreren Jahren täglich meditierte und es mit Sicherheit eine wunderbar entspannte Zeit werden würde.

      Der erste Tag lief super. Ich saß hoch motiviert morgens um 4:30 Uhr in der Meditationshalle und war bereit, das Beste aus den zehn Tagen herauszuholen. Es war anfangs merkwürdig, mit niemandem sprechen zu dürfen, und ich spürte, wie mein Geist im Laufe des Tages anfing, sich selbst mit den merkwürdigsten Gedanken zu beschäftigen. Wenn man plötzlich nur noch mit sich selbst zu tun hat, beginnt der Geist, sich zu verselbstständigen, und plötzlich scheint alles wesentlich dramatischer, als es in Wirklichkeit ist. Ein bisschen so, wie wenn einem nachts plötzlich einfällt, dass man am nächsten Tag noch eine wichtige E-Mail schreiben muss, und diese E-Mail auf einmal die Wichtigkeit einer Präsidentschaftswahl bekommt.

      Am Abend des ersten Tages, während des Diskurses, bei dem die Teilnehmer die Theorie von Vipassana erklärt bekamen, erfuhr ich, dass Vipassana die von Buddha entwickelte Technik ist, durch die er erleuchtet wurde. Das Wissen über Vipassana war fast 2500 Jahre in Birma von buddhistischen Mönchen in seiner ursprünglichen Form erhalten worden, während es überall sonst auf der Welt verloren gegangen war. Erst Mitte des 20. Jahrhunderts fing die Lehre von Vipassana an, sich durch den Lehrer S. N. Goenka wieder in der westlichen Welt zu verbreiten.

      Buddha gelang es damals, durch Vipassana all sein Leid aufzulösen und frei zu sein von menschlichen Ängsten und Sorgen. Erleuchtung klingt super, dachte ich mir. Frei zu sein von allem Leid wäre auch fein. Natürlich hatte die Sache einen klitzekleinen Haken. Wäre Erleuchtung so einfach zu erlangen, hätten wir sie wahrscheinlich alle bereits. Denn um erleuchtet zu werden, muss erst mal alles an die Oberfläche kommen, was den Menschen von seiner Erleuchtung abhält. Der Weg zur Erleuchtung läuft quasi einmal quer durch die Dunkelheit.

      Vipassana lehrt, mit einem ausgeglichenen, ruhigen Geist achtsam die aufkommenden Empfindungen im Körper zu beobachten und wahrzunehmen, wie diese im Körper entstehen, aufkommen und wieder gehen. Buddha hatte erkannt, dass unser Körper uns dazu dient, die Vielzahl aller Gefühle empfinden zu können, und dass unser Unterbewusstsein rund um die Uhr damit beschäftigt ist, alle Reize, die von außen kommen, in Form von körperlichen Empfindungen zu verarbeiten. Die Grundlage von Vipassana ist das universelle Gesetz der Unbeständigkeit. Alles im Universum unterliegt diesem Gesetz. Alles verändert sich ununterbrochen. Während du gerade diese Worte liest, bist du älter geworden, dein Körper hat sich verändert, deine Gedanken haben sich verändert, die Erde hat sich weitergedreht, und nichts ist mehr so, wie es noch vor einem Moment gewesen ist.

      Durch das bewusste und objektive Beobachten der eigenen körperlichen Empfindungen erfahren wir dieses universelle Gesetz an uns selbst. Gefühle kommen, drücken sich auf die ein oder andere Art aus und vergehen wieder. Diese Erkenntnis führte Buddha zu der Feststellung, dass der Schlüssel zur Erleuchtung darin liegt,