an ihre Kinder weitergeben.
In unserer Kultur ist die Brille zwar nicht blau wie im obigen Beispiel (zumindest meistens nicht), sondern sie besteht aus zentralen Elementen, die unsere Sicht der Wirklichkeit prägen und die einen nie hinterfragten Grundrahmen für alles Wahrnehmen bieten. Die Wissenschaft hat beim Erforschen unseres Wahrnehmungsprozesses wirklich so eine Art Brille entdecken können, die vor allem aus bewussten oder unbewussten Überzeugungen besteht und die bestimmt, wie wir die Dinge sehen, was wir für möglich halten, wer wir zu sein glauben, wie wir Ereignisse interpretieren, ja, allgemein, welche Realität wir erleben. Diese Brille wird in unserer Kultur, wie wir schon gesehen haben, über Erziehung, Sozialisierung, Bildung und Medien weitergegeben. Weil wir uns sehr mit unserer Sicht der Dinge identifizieren und unsere Identität auf diesem Wissen aufbaut, ist es für uns schon fast existenziell wichtig, unsere Kinder und deren Identität durch dieses Wissen genauso einzugrenzen und zu definieren, wie wir es sind. Die Kinder müssten ihr „brillenloses“, ursprüngliches, noch nicht durch Wissen getrübtes Sehen mit einem gelernten Sehen überschreiben, um die Welt möglichst mit den gleichen Augen wahrzunehmen wie das Kollektiv. So lernen Kinder im Verlauf ihrer Schulzeit und durch Erziehung, den Kontakt zu ihrer ursprünglichen Einheitsrealität mit einer erlernten Trennungsrealität zu ersetzen.
Obwohl oder vielmehr weil wir Erwachsenen die Realität größtenteils durch diese erlernte Brille sehen, glauben wir zu wissen, was richtig und falsch, was wichtig und unwichtig ist. Wir vertrauen oft blind auf unsere Bewertungssysteme und unsere Wahrnehmung der Realität – aber all das ist selbst auch gelernt und hat somit immer nur eine sehr relative und sicher nie eine absolute Wahrheit. Wir aber glauben oft, dass unsere Art, die Welt, uns selber und andere wahrzunehmen, absolut wahr ist – wir können oft nicht erkennen, dass „meine“ Realität auch nur eine Folge von Lernprozessen ist – hätten wir andere Dinge gelernt, würde sich eine andere Realität zeigen.
So könnte man das Gehirn eines Babys als eine Art Festplatte sehen, die noch weitgehend leer ist. Auf diese Festplatte werden fortlaufend diverse Programme von den Eltern, Bezugspersonen, Lehrern und von den Medien kopiert. Diese Programme bestehen auf der mentalen Ebene vor allem aus Überzeugungen und auf der körperlichen Ebene aus unterdrückten Emotionen und Blockaden. Die meisten dieser Programme werden implizit, das heißt unbewusst kopiert und auf der Festplatte installiert. Wir programmieren also unsere Kinder weitgehend unbewusst mit den gleichen inneren Begrenzungen, in denen wir gefangen sind. Und aufgrund dieser Programme erschaffen wir uns die in weiten Teilen gleiche leidvolle Realität wie die Generation vor uns und geben diese selbstverständlich und voller positiver Absichten an unsere Kinder weiter. In einem späteren Kapitel wird noch detaillierter auf diese leidvollen Realitäten eingegangen, zunächst aber soll der Wahrnehmungsprozess selbst noch genauer erforscht werden.
Wie entsteht unsere Realität?
„Nichts im Universum existiert als tatsächliches ‚Ding‘ unabhängig von unserer Wahrnehmung. Wir erschaffen unsere Welt in jeder Minute eines jeden Tages.“
Lynne McTaggart
Wir Menschen unternehmen riesige Bemühungen, um glücklich zu sein. Wir versuchen unsere Realität mit aller Kraft so hinzubekommen, wie wir sie gerne hätten, im Großen und Ganzen aber nur mit sehr mäßigem Erfolg.
In der Folge soll gezeigt werden, dass wir den Hebel am völlig falschen Ort ansetzen. Denn es ist nicht in erster Linie die äußere Welt, die unser Innenleben beeinflusst, sondern unsere „innere“ Welt; unsere Emotionen, Widerstände, Vorstellungen, Erwartungen und Überzeugungen bilden die Grundlage dafür, was wir erleben und wie wir die Dinge wahrnehmen. Die Grundlagen für eine Glücksschule und Glücksrealität liegen also in unserem Inneren und dem bewussten Kontakt damit.
Ein Bereich der Wissenschaft, der sich mit den Fragen unserer Realitätsgestaltung auseinandersetzt und wirklich unsere ganze Sicht auf die Wirklichkeit komplett verändern kann, ist die Wahrnehmungspsychologie. Weil in der Wahrnehmung der Schlüssel für alles liegt, was wir erleben, soll der Prozess der Wahrnehmung hier vereinfacht dargestellt werden.
Wahrnehmungsprozess
„Wir müssen uns wohl von dem naiven Realismus, nach dem die Welt an sich existiert, ohne unser Zutun und unabhängig von unserer Beobachtung, irgendwann verabschieden.“
Prof. Dr. Anton Zeilinger
Überall auf unserem Körper verteilt besitzen wir unzählige Sinneszellen. Wenn diese durch einen Reiz stimuliert werden, dann gibt es in den betroffenen Sinneszellen einen Impuls. Dieser Impuls wird über die Nervenbahnen weitergeleitet zum Gehirn. Und im Gehirn selbst entsteht in der Folge die eigentliche Wahrnehmung. Es ist das Gehirn, das aus den eintreffenden Reizen automatisch „meine“ Realität konstruiert. Das heißt also nicht: Ich nehme wahr, sondern das Gehirn tut dies ganz ohne ein Ich, das dafür etwas tun muss. Bei der Wahrnehmung geschehen im Gehirn verschiedene Prozesse, alle in Sekundenbruchteilen, teilweise parallel und vollkommen automatisiert. Diese Prozesse im Gehirn könnte man in drei Schritte unterteilen:
1. Filtern
2. Interpretieren/Bewerten/Personifizieren/Konstruieren
3. Speichern
Schritt 1: Filtern
Über die Nervenbahnen gelangen die Impulse aus den Sinneszellen ins Gehirn. Als erster Schritt des Wahrnehmungsprozesses im Gehirn werden vom Thalamus sehr viele der eintreffenden Reizimpulse weggefiltert (der absolut überwiegende Teil aller Reize). Dieser Wahrnehmungsfilter setzt sich zusammen aus Überzeugungen und aus dem aktuellen emotionalen Zustand (Stimmung). Wenn wir am Morgen schon schlecht aufstehen und dann mit mieser Laune das Haus verlassen, dann tragen wir zusätzlich zu unserer Brille der Überzeugungen noch eine Art „graue“ Brille, die fast alles Schöne wegfiltert. Sind wir hingegen frisch verliebt, dann sehen wir alles durch eine „rosarote“ Brille und die ganze Welt scheint uns leicht und freudvoll. Das ist der Einfluss der aktuellen Stimmung auf die Filterung der Wahrnehmung.
Unsere bestehenden Überzeugungen sind der zweite Aspekt, der auf unseren Wahrnehmungsfilter einwirkt. Wir sehen nur das, was wir glauben. Das heißt Informationen, die unsere gegenwärtige Sicht der Dinge angreifen, werden oft überhört oder übersehen. Frauen, die gerne schwanger werden möchten, sehen überall Schwangere. Menschen, die glauben, dass Ausländer krimineller sind als Einheimische, begegnen ständig Informationen, die ihre Sicht bestätigen – alles andere wird weggefiltert. Weil Babys einen solchen erlernten Wahrnehmungsfilter noch nicht haben, sind sie von unserer lauten hektischen und allgemein aus sehr vielen intensiven Reizen bestehenden Welt oft völlig überfordert. Deshalb ist eine der wichtigen Aufgaben von Eltern in der ersten Zeit mit ihren Kindern, diese vor Reizüberflutung zu schützen. Und für uns Erwachsenen stellt sich die Frage, ob es wirklich nötig ist, eine Welt zu erschaffen, die erst mit einem sehr starken Wahrnehmungsfilter einigermaßen auszuhalten ist.
Schritt 2: Interpretieren/Bewerten/ Personifizieren/Konstruieren
„Wir haben nicht Angst vor der Erfahrung selbst,
wir fürchten nur das, was wir ihr an Bedeutung zuordnen.“
Stephen Wolinsky
Interpretieren und Bewerten
Aus den Sinnesdaten, die das Gehirn nicht weggefiltert hat, baut es in der Folge eine Wahrnehmung zusammen. Die verbliebenen Reize werden mit Hilfe von Vorwissen bewertet und interpretiert – und all das vollkommen automatisch, unbewusst und in Sekundenbruchteilen.
Das heißt, welche Bedeutung das Gehirn einem Ereignis beimisst, hängt mit früheren Erfahrungen und dem gesammelten Vorwissen (den Überzeugungen) zusammen. Jedes Ereignis und jede Erfahrung sind im Grunde genommen vollkommen neutral. Erst unser Gehirn schreibt ihnen eine Wertung zu. Wichtig und unwichtig ist für uns also das, was das Gehirn als wichtig oder unwichtig bewertet und interpretiert. Unsere Welt und unsere Identität erscheinen uns deshalb so solid und stabil, weil die ankommenden Reize immer wieder gleich gefiltert, interpretiert und bewertet werden.
Wie eine Situation interpretiert wird, ist von größter Bedeutung für die Gefühle, die in der Folge ausgelöst werden. Je nachdem, ob etwas als großes Problem, als Herausforderung