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Nationalsozialismus und Holocaust – Materialien, Zeitzeugen und Orte der Erinnerung in der schulischen Bildung


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es gibt, die das Unterrichten dieser Themen erleichtern. Ein wichtiger Aspekt der Workshopreihe „Haltung zeigen!?“ sind auch die Unsicherheiten, mit denen sich Lehrkräfte beim Unterrichten über Nationalsozialismus und Holocaust konfrontiert sehen. Diese Fragen, die etwa den Umgang mit Störungen oder problematischen, weil menschenrechtsfeindlichen Haltungen der Lernenden betreffen, fließen in die ständige Weiterentwicklung des Workshops ein. Im Folgenden möchte ich anhand einiger der Erfahrungen und Zwischenergebnisse aus diesen Workshops umreißen, welche Fragen und Herausforderungen sich beim historisch-politischen Lernen an Berufsschulen stellen.

       A. „Warum sollte man über Nationalsozialismus und Holocaust überhaupt unterrichten?“

      Die Frage ist durchaus berechtigt: geringe Zeitressourcen, unklare Verwertbarkeit historisch-politischen Wissens, keine eindeutige Verortung im Lehrplan und die generelle Unsicherheit mit dem Thema machen eine Auseinandersetzung mit dem Nationalsozialismus in der Berufsschule nicht einfach. Zudem wird oft angenommen, die Schülerinnen und Schüler hätten von dem Thema ohnehin genug. Tatsächlich ist man als Lehrperson oft mit einem unwilligen kollektiven Seufzen konfrontiert, wenn man eine Unterrichtseinheit zum Nationalsozialismus ankündigt: „Schon wieder? Das kennen wir schon!“

      In einer Studie unter der Leitung von Philipp Mittnik vom Zentrum für Politische Bildung an der PH Wien wird dem klar widersprochen (vgl. Mittnik, 2021): So können unter 20 Prozent der 15-Jährigen an Berufsbildenden mittleren Schulen eine Kurzdefinition von Antisemitismus angeben. Nur 20 Prozent der Schülerinnen und Schüler an Allgemein Bildenden Höheren Schulen (AHS) und nur 4,7 Prozent an Berufsbildenden Mittleren Schulen (BMS) können erklären, was unter dem Begriff „Novemberpogrom“ zu verstehen ist. Grundsätzlich attestieren die Studienautorinnen und -autoren dem unter 15-jährigen Jugendlichen vorherrschenden Geschichtsbild eine ausgeprägte Form der Personalisierung: Die Verantwortung für die Verbrechen des Nationalsozialismus wird vor allem bei Hitler als „personifiziertem Bösen“ gesucht. Es ist also nicht das Wissen über den Nationalsozialismus, wovon die Jugendlichen genug haben. Vielmehr könnte es eine hohe moralische Erwartungshaltung der Lehrerinnen und Lehrer sein, die Jugendlichen die Auseinandersetzung erschwert. Viele wohlmeinende Kolleginnen und Kollegen vermitteln das Thema Nationalsozialismus im Unterricht in enger Verbindung mit den eigenen Wertvorstellungen, selbst gezogenen Lehren aus der Geschichte und normativen Vorstellungen einer angemessenen Haltung zu diesem Thema, die allesamt von den Jugendlichen übernommen werden sollten. Dieses Unterfangen verspricht kaum Erfolg im Sinne eines Erwerbs von historischen Kompetenzen und eines Gewinns an politischer Mündigkeit und führt meist zu Frustrationen bei Lernenden und Lehrenden.

      Laut einer Handreichung der International Holocaust Remembrance Alliance (IHRA) für Lehrende liegt die Notwendigkeit, über den Holocaust zu unterrichten, zuerst in seiner Beispiellosigkeit als Versuch, unter aktiver Mitwirkung weiter Teile der Gesellschaft eine Gruppe völlig auszulöschen. Die Beschäftigung mit dem Nationalsozialismus solle die Folgen des Verfalls demokratischer Werte verdeutlichen und zu einem Verständnis von Prozessen führen, die einem Völkermord vorausgehen. Die Schülerinnen und Schüler sollen dazu befähigt werden, über ihre eigene Rolle und Verantwortung beim Schutz von Demokratie, Rechtsstaatlichkeit und Menschenrechten nachzudenken (IRAH, 2020, S. 14). Diese Ziele sind hoch gesteckt – der Weg dorthin sollte mehr von der Lebensrealität und den Fragen der Lernenden als von den Ansprüchen der Lehrperson geleitet sein: „Nicht vorgegebene Ziele, Inhalte und Kompetenzen, sondern das Wissen und die Einstellungen der Schüler[-innen] muss Ausgangspunkt des Lernens sein. Nicht Erziehung, sondern die Selbstbestimmung der Schüler[-innen] muss im Zentrum des Lernprozesses stehen“ (Rosa, 2010, S. 157). Ausgangspunkte in der Lebensrealität der Lernenden können in ihrer regionalen Herkunft, in der Familiengeschichte, der beruflichen Beschäftigung oder in örtlichen Bezügen gefunden werden. Vor allem aber in den historischen Vorstellungen der Lernenden und ihren Fragen zu Geschichte, Geschichtspolitik und Erinnerungskulturen.

       B. „Da weiß ich selbst zu wenig“

      „Warum über Nationalsozialismus und Holocaust unterrichten?“ lautete die Ausgangsfrage bei den zuvor erwähnten Fortbildungs-Workshops für Lehrende an Berufsschulen. Meist folgte darauf auf unterschiedliche Weise ein Eingeständnis, dass das Unterrichten eines so komplexen, vielleicht als heikel empfundenen Themas verunsichern kann. Die Unsicherheit bezog sich dabei auf das eigene historische Wissen, aber auch auf den Umgang mit den Fragen, Überlegungen und Zugängen der Jugendlichen. In diesem Kontext gilt es zu bedenken, dass der Geschichteunterricht der Lehrenden zu einer Zeit stattfand, als von Kompetenzorientierung und Schülerzentrierung in der Geschichtsdidaktik noch keine Rede war. Das trifft im besonderen Maß auf Lehrende in Berufsschulen zu, die meist nach langjähriger Berufserfahrung quer in die Lehrtätigkeit einsteigen.

      Der Geschichtsunterricht, den die meisten von ihnen in den 1980er- oder 1990er-Jahren erfuhren, bestand aus historischen Daten und Fakten und diente der nationalen Identitätsstärkung und Selbstvergewisserung. Wenn der Nationalsozialismus im Geschichtsunterricht dieser Zeit ein Thema war, dann in Verbindung mit dem Appell des „Nie wieder“, der Mahnung, sich zu erinnern und der Pflicht, die richtigen Lehren aus den Schrecken der NS-Herrschaft zu ziehen. Diese Art des mahnenden Erinnerns war getragen von den Erfahrungen der Opfer des Nationalsozialismus, der Überlebenden der Konzentrationslager und jener, die Widerstand geleistet hatten. Die Adressatinnen und Adressaten dieses Unterrichts waren Jugendliche, deren Großeltern (und vielleicht sogar Eltern) die NS-Zeit erlebt hatten. Der Geschichtsunterricht trat dabei in Wechselwirkung mit Erzählungen aus der eigenen Familiengeschichte, war vielleicht ein Korrektiv und auf jeden Fall ein institutioneller Beitrag zu einer sehr präsenten gesellschaftlichen Debatte. Die Appelle, Mahnungen und zu ziehenden Lehren repräsentierten in dieser Debatte jene, die die Verfolgung durch den Nationalsozialismus erlebt und überlebt hatten. Die Erfahrungen der meisten gegenwärtigen (Berufsschul-)Lehrerinnen und -lehrer mit der Vermittlung des Nationalsozialismus stammen aus jener Zeit. Dreißig bis vierzig Jahre später ist die Erinnerung an den Nationalsozialismus weitgehend erkaltet und hat fixierte Formen angenommen. Aus einer kritischen Auseinandersetzung, die in der eigenen Familie begann und sich auf die gesamte Gesellschaft erstreckte, wurde ritualisiertes, staatstragendes Gedenken. Für viele Jugendliche heute ist der Nationalsozialismus so weit weg wie das Habsburgerreich, Napoleon oder der 30-jährige Krieg – vor allem bei jenen, die nur wenig Gelegenheit hatten, sich mit Geschichte zu beschäftigen und entsprechende Kompetenzen zu entwickeln. Die Appelle und moralischen Forderungen der Lehrenden bleiben – ohne das entsprechende Vorwissen und einen Bezug zum eigenen Leben – leere Hüllen und stoßen als solche oft auf Ablehnung. Die gesellschaftliche Auseinandersetzung zu Nationalsozialismus und Erinnerungskultur werde – vor allem aus der Perspektive jener, die sich aus gesellschaftlichen und politischen Diskussionsprozessen als ausgeschlossen wahrnehmen – ohnehin von Expertinnen und Experten geführt. Wird ein „richtiges“ Verständnis vom Nationalsozialismus dann noch als „Schlüssel“ zur Zugehörigkeit zur Mehrheitsgesellschaft vermittelt, ist es wenig verwunderlich, dass Jugendliche diese Auseinandersetzung unter den Voraussetzungen dieser starken Aufladung verweigern (Georgi, 2009).

      Dazu kommt, dass der den Jugendlichen unterstellte Unwillen, sich mit Zeitgeschichte auseinanderzusetzen, oft bei den Lehrenden zu finden ist: Die Abwehr von Auseinandersetzung mit historischer Schuld und Verantwortung des eigenen Wir-Kollektivs ist unter Lehrenden genauso verbreitet wie im gesellschaftlichen Durchschnitt. Hier ist verstärkt die Ausbildung und Fortbildung von Lehrerinnen und Lehrern gefragt. Die Ausbildung von Lehrenden an Berufsschulen unterscheidet sich in einigen wichtigen Punkten von anderen Lehramtsstudien. Stefan Schmid-Heher etwa problematisiert, dass Studierende des Lehramts für Berufsschule am Beginn der Ausbildung bereits eine mindestens einjährige, nicht professionell begleitete Unterrichtserfahrung mitbringen und dass auch nach absolvierter Ausbildung das Unterrichten in Fächern, für welche die Lehrperson eigentlich keine Ausbildung hat, weit verbreitet sei. Dies begünstige ein „handwerklich-praktisches“ Theorie-Praxis-Verständnis und erschwere die Selbstreflexion der Lehrerinnen und Lehrer (Schmid-Heher, 2019, S. 107). Im Bereich der Fortbildung äußert sich dieser Umstand bedauerlicherweise immer wieder darin, dass Seminare zur historisch-politischen Bildung, wenn sie speziell für Lehrende aus dem Berufsschulbereich