G. S. Friebel

Tränen einer Braut: 3 Romane


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      Albert saß nur daneben und schwieg. Ihm war gar nicht wohl unter den stechenden Augen des Richters. Dieser verabscheute ihn, das spürte er ganz deutlich. Große Töne hatte er spucken wollen, ihnen sagen, welch ein Flittchen ihre Tochter sei, aber er brachte es nicht über die Lippen.

      Nachdem der Vater gesprochen hatte, stand die Mutter auf und deckte den Tisch. Wie reglose Holzpuppen saßen sie sich gegenüber und sprachen kein Wort. Man nahm den Kuchen zu sich und trank den Kaffee.

      »Wo wollt ihr heiraten?«, fragte der Vater höflich.

      »In Hamburg«, sagte Albert. Das war sein erstes Wort.

      »Wahrscheinlich nur standesamtlich, wie ich mir denken kann?«

      «Ja«, würgte Elvira hervor.

      Die Mutter sagte leise: »Ich habe noch Großmutters Schleier. Ich habe ihn auch getragen. Aber den brauchst du ja jetzt wohl nicht.«

      Jedes Wort war wie ein Keulenschlag. Elvira musste daran denken, mit wieviel Aufregung und Lustigkeit die Hochzeiten von Freunden und Bekannten verbunden waren. Wie festlich wurde der große Tag begangen, wie stolz waren die Eltern. Mit wie viel Liebe suchte das Brautpaar die Möbel aus. So viele schöne Erinnerungen waren damit verbunden. Und jetzt würde sie selbst heiraten. Kalt und fremd würde alles sein.

      »Ich werde alles regeln«, hörte sie den Vater sagen. »Schickt mir die Formulare zu, und ich werde sie unterzeichnen. Aber wegen Mutters Gesundheitszustand können wir nicht zur Hochzeit kommen. Das könnt ihr doch verstehen.«

      Und Albert dachte: Ein Richter geht nicht auf die Hochzeit eines Zuhälters. Aber er sagte es natürlich nicht. Wenig später brachen sie auf.

      Sie standen an der Tür, gaben sich die Hand. Kein Lächeln war in den Gesichtern. Nur in den Augen der Mutter schimmerten Tränen. Schließlich war es ja ihr einziges Kind. Aber sie wollte es ja doch.

      Erst als sie wieder im Auto saßen und ein ganzes Stück fort waren, brach sie in Tränen aus. Albert sagte mit kalter Stimme: »Du bist ein dummes Luder. Damals hättest du auf Knien liegen sollen und dankbar sein müssen für all das hier. Und was hast du blöde Gans getan? Und jetzt hast du mich auch noch reingerissen, du verdammte Schlampe!«

      »O Albert, sei nicht so hart zu mir. Es bricht mir fast das Herz.«

      »Soll es doch!«, sagte er wütend. »Dann brauch ich dich nicht zu heiraten. Aber das schwöre ich dir: Wenn du dich je bei deinem Alten über mich beschwerst, dann kriegst du eine Tracht Prügel, dass du acht Tage nicht mehr sitzen noch stehen kannst. Wenn wir verheiratet sind, dann können sie mir nämlich nichts mehr antun. Dann gehörst du mir, und dann mach ich mit dir, was ich will. Aber ich will deinen Alten nie bei mir sehen, hast du mich verstanden?«

      Elvira legte die Hände vor das Gesicht und stöhnte auf. Sie dachte: Wäre es nicht für mich besser, ich wäre gleich tot? Dann brauchten sich meine Eltern nicht mehr zu schämen, und alles Schreckliche hätte dann auch ein Ende für mich. Aber da ist das Kind, das in mir wächst. Es hat ein Recht auf sein Leben. Ich muss durchhalten. Ich muss es einfach.

      An die Heirat mochte sie nie mehr zurückdenken. Der Tag war so qualvoll für sie gewesen, Hastig, nervös, schlecht gelaunt und immer noch furchtbar wütend, so waren sie zum Standesamt gefahren. Zwei zufällig anwesende Gäste wurden gegen Entgelt zu Trauzeugen. Sie machten wirklich keinen vertrauenerweckenden Eindruck. Schon allein die Straße, in der sie wohnten, sagte dem Beamten alles, wenn er sich auch nichts anmerken ließ. Nur, als er vorlas, woher sie kam und wer ihre Eltern waren, da sah er überrascht auf und sagte: »Ihren Herrn Vater kenne ich sehr gut.« Sie wäre vor Scham fast in den Boden versunken. Albert zeigte nur seine Zähne und machte eine höhnische Grimasse.

      Dann war alles vorbei, und sie hieß Elvira Lanner. Nun hatte sie die letzten Brücken hinter sich abgebrochen. Wie der Vater gesagt hatte, war sie mit der Heirat auch volljährig geworden.

      Nur Lie-San versuchte, den Tag ein wenig hübscher zu gestalten. Er hatte einen besonders hübschen Tischschmuck gewählt, ein ausgezeichnetes Essen zubereitet. Albert betrank sich und brauste wenig später mit seinem Wagen davon. Er hatte eine Verabredung mit dem Mann, der ihm das Haus für seine erste Nachtbar überlassen wollte. Natürlich musste er noch einige Umbauten vornehmen.

      Inzwischen saß seine junge Frau in der Küche und musste sich die Anzüglichkeiten der Dirnen anhören. Später, als Albert endlich wieder auftauchte und sie dort sitzen sah, schnauzte er sie an: »Bilde dir bloß nicht ein, du könntest jetzt eine ruhige Kugel schieben! Das schlag dir gleich aus dem Kopf! Du hast jetzt noch mehr zu arbeiten, denn für den Balg wirst du ja in Zukunft auch sorgen müssen. Ich kümmere mich um nichts, kapiert!«

      »Wo werde ich denn jetzt wohnen?«, fragte sie leise.

      Er sah sie an.

      »Natürlich in deiner Bude, wo denn sonst?«

      Albert hatte den ersten Stock für sich allein. Einmal war sie schon in seiner Wohnung gewesen. Er hatte vier große Zimmer, Bad und auch eine Küche, die aber nie benutzt wurde. Sie aber sollte in dem schäbigen Dachzimmer wohnen bleiben. Er nahm es einfach nicht zur Kenntnis, dass sie nun  auch auf dem Papier  zusammengehörten.

      Und seit jenem Tage, an dem sie ihm gesagt hatte, sie erwarte ein Kind von ihm, rührte er sie nie mehr an.

      Das war wohl die tiefste Demütigung. Wie konnte sie ihm näherkommen, ihn umstimmen, wenn sie nicht zusammenlebten? Und sie hatte schon mit ein klein wenig Freude darüber nachgedacht, wie hübsch es sein musste, jetzt selbst einem Haushalt vorzustehen. Aber er dachte gar nicht daran, sein Leben zu ändern. Sie hatte bekommen worum sie gebeten hatte  mit Zwang, wohlverstanden , und jetzt sollte sie ihn in Ruhe lassen.

      Die Dirnen im Hintergrund begannen zu kichern. »Kannst ja mit uns auf den Strich gehen. Dann Verdienste ein paar Flöhe und kannst auch mal zum Friseur gehen und dir einen neuen Fetzen kaufen.«

      Elvira biss die Zähne zusammen.

      Lola kicherte: »Bald hat sie einen dicken Bauch, und dann kippt sie vornüber, wenn einer sie von hinten ...«

      Wieherndes Gelächter. Elvira aber biss die Zähne zusammen. Sie wusste ganz genau: Wenn sie jetzt weinte, würde man sich noch mehr über sie lustig machen. Und sie konnte nirgendwo hingehen. Sie war hier angekettet. Wenn der Koch nicht gewesen wäre, vielleicht hätte sie sich dann das Leben genommen. Aber er versuchte, sie in Schutz zu nehmen, wo er nur konnte.

      Als sie wieder allein waren, machte sie sich an die Arbeit. Noch sah man ja nicht, dass sie schwanger war. Aber mit der Zeit würde ihr Leib schwerer werden, und wie sollte sie dann alles bewältigen?

      Zwei Tage später sprach sie mit Albert und verlangte ihren Lohn.

      »Bist du verrückt!«, höhnte er. »Du bist meine Frau, du kriegst nicht einen Heller.«

      »Wie soll ich für das Kind sorgen, wenn ich kein Geld von dir bekomme? Ich arbeite für zwei, das weißt du ganz genau.«

      »Sie braucht wirklich Geld«, mischte sich der Koch ein.

      »Steckst du mit ihr unter einer Decke?«

      »Ich bin nur für Gerechtigkeit«, sagte er ruhig. »Hier gibt es keine Sklaven mehr.«

      Er warf ihr verächtlich einen Schein zu. »Fürs Erste genügt das«, sagte er wütend.

      Elvira hob den Hundertmarkschein auf.

      Dieses Leben war die Hölle, und sie konnte nicht einmal ihrer Mutter schreiben. Niemanden konnte sie ihr Herz ausschütten, und so fraß sie alles in sich hinein. Und sie war noch keine achtzehn Jahre alt.

      14

      Und dann wurde das Kind geboren. Elvira hatte fast bis zum letzten Augenblick in der Kneipenküche arbeiten müssen. Von den wenigen Almosen, die Albert ihr stets verächtlich zugeworfen hatte, erstand sie ein Bettchen und all die Dinge, die man für einen Säugling braucht. Manchmal zerbrach sie sich den Kopf und fragte sich, wie es weitergehen