Eva Apfel

Die Waldi-Philosophie


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Theodoras Frau stand Gastfreundschaft an erster Stelle, schließlich war sie durch und durch Russin, geboren in St. Petersburg.

      Marina und Fredi verliebten sich in Sibirien, er arbeitete als Montagearbeiter. Es war dort bitterkalt, und sie wärmten sich gegenseitig Körper und Herz. Marina folgte Fredi nach Deutschland, niemals wollten sie sich voneinander trennen.

      „Mit Zucker, Frau Doktor?“, rief es herzlich aus der Küche.

      Aufgeregt antwortete Cordula: „Ja mit Zucker. Ich glaube, ich brauche Nervenfutter!“

      Theodora hatte sie in der Zwischenzeit in das Kinderzimmer geführt und ihr einen Platz angeboten. Dort schlägt Cordula gedimmtes Licht entgegen: beleuchtete Kugeln mit Farbwechsler, flatternde, zugezogene Vorhänge – das volle Programm.

      Fallend lässt sie sich auf dem Sitzkissen von Ikea nieder, Stille im Raum.

      Fredi, oder besser gesagt, Theodoras Blicke wurden geheimnisvoll durchdringend: „Was wollen sie wissen? Die Karten lügen nicht.“

      Cordula schluckte geräuschvoll und atmete tief durch. ‚Ob ich mir das so richtig überlegt habe?’, sie wurde nachdenklich und fing an, ihre Hände zu massieren.

      „Wie sieht es mit meiner Ehe aus?“, stammelte die Unwissende weinerlich, sie spürte, dass kaum etwas Gutes dabei herauskommen würde.

      Theodora nahm die Karten aus der Schublade und begann sie sorgfältig durchzumischen. Endlich legte sie die Karten auf dem Tisch aus.

      „Sie sind seit ein paar Jahren verheiratet. Ich sehe etwas, was ihnen missfallen wird!“, räusperte sich die Wahrsagerin.

      Kurz und schmerzvoll musste es ans Tageslicht: „Ich sehe eine blonde Frau in den Armen ihres Mannes! Nicht erst seit heute! Das geht bereits ein dreiviertel Jahr! Sie haben nichts bemerkt?“

      Zitternd und mit Tränen in den Augen suchte Cordula nach Worten, sie war fassungslos: „Das, kann nicht sein! Eine Frechheit, allein dieser Gedanke, ihre lausige Behauptung, sie sind ein Scharlatan im Boxerbademantel! Von mir kriegen sie keinen Cent!“

      Die Betrogene sprang genauso sportlich von den Kissen hoch, wie sie die Treppe hinaufgerannt war. Die Teetasse fiel in Zeitlupe zu Boden. Zersprang in tausend Stücke; zersprang in dieser Sekunde ihr Glück in tausend Stücke, irreparabel? Tränen drückten sich mit aller Macht in ihre Augen, unaufhaltsam drängten sie nach draußen. Wie soll sie das rückgängig machen, alles wieder in Ordnung bringen?

      Tränen der Wahrheit mussten die Lüge wegspülen. Die Lebenslüge, die früher eine romantische Wahrheit war, wann wurde sie zur Lüge? Unbemerkte, gegenseitige zarte Verletzungen, die riesengroß erschienen. Kaum mehr zu kitten, unbedachte Abweisungen, die sich tief in Seele und Herz schnitten. Alltagsfrust, Kinderstress, gegenseitiges Unverständnis, stille, verzweifelte, ungehörte Schreie nach Liebe und Zärtlichkeit.

      Dieser ständige Schlafentzug war eine Folter, wenn aus Zwei, Drei und dann Vier wurden. Unangebrachte Ratschläge von allen Seiten, was die Kindererziehung betraf.

      Ja, diese Ratschläge, Schläge direkt ins Gesicht. Nun war die Flamme der Leidenschaft, der Zweisamkeit dahin. Sie hatten sich ewige Treue geschworen, immer zueinanderstehen!

      Hoffnungslosigkeit, Cordula konnte und wollte es nicht wahrhaben: ‚Warum habe ich mir diesen Blödsinn angetan! Alles erstunken und erlogen! Dafür soll ich noch Geld bezahlen! Der kann mich mal kreuzweise und Tschüss!’

      Ohne Umweg lief sie schluchzend aus der Wohnung die Treppen herunter. Bevor sie auf die Straße trat, musste sie sich auf jeden Fall beruhigen.

      Draußen ging das Leben weiter, keiner drehte sich um. Die Welt blieb nicht stehen und wegen einer Ehekrise schon gar nicht! Das kommt häufiger vor als man denkt, Scheidungen gab es genug! Warum sollte sie einem dahergelaufenen Boxertypen glauben? Diese Unterstellung, darüber musste sie eine Nacht schlafen.

      Sie war wütend auf sich selbst: ‚Wie konnte ich leichtgläubig dort hingehen! Niemand darf es erfahren und auf gar keinen Fall mein Göttergatte!’

      Verstohlen schaute Cordula auf die Straße hinaus.

      ‚Hoffentlich hat mich niemand gesehen! Ich gehe zu einem Boxer im Orientlook, wie blöd ist das denn? Mein Mann hat sicher recht, der ganze Stress, nichts kriege ich auf die Reihe, kein Organisationstalent. Was ist indes aus der sexy Frau geworden, rassig dunkle Locken, die alle begehrten. Wenn er das erfahren würde, nicht auszudenken!“

      Ein Wunder wäre es sicherlich keinesfalls, Cordula sieht bereits die Schlagzeilen: „Frau des Chefchirurgen Herold Callipo lässt sich in Ehesachen von einer Wahrsagerin beraten, Scheidung!“

      Das Getuschel der Leute, unter keinen Umständen würde sie sich in die Klinik trauen. Diese mitleidigen und schadenfrohen Blicke der Nachbarn und Freunde, Freunde? Höchstwahrscheinlich gab es die längst nicht mehr, rasch würden sie sich um ihren Mann scharen! Er hatte das Geld und die Macht in der Klinik.

      „Wie konntest du diese Frau schalten und walten lassen. Deine Kariere, dein Leben! Herold du hast etwas Besseres verdient!“, freundlich aufmunternd würden sie ihm auf die Schulter klopfen.

      Prompt würden die Honigbienen ausschwärmen, und sich um Callipos Honigtopf sammeln. Das weibliche Personal leistete sich das jetzt schon, wie selbstverständlich würden sie zur Tagesordnung übergehen. Schöne Bescherung, und es war noch nicht einmal Weihnachten!

      Ich roch, es war Gefahr in Verzug. Doreen und ich schritten unsere alltägliche Gassitour ab. Wir liefen auf der anderen Straßenseite und sahen die verstörte Doktorgattin: „Komisch, was macht den Frau Callipo in dem Wohnhaus von meinem Kumpel Wladi? Verdächtig!“

      Sofort registrierte Doreen die Situation, verheulte Ehefrau vor dem Haus von Theodora. Ihr Gehirn begann unverzüglich zu rattern, eins und eins wurde zusammengezählt.

      „Auch das noch!“, Pudelpeggy mit ihrem rosa Pudel stolzierte geradewegs um die Ecke.

      Sie schwenkte vergnügt die Arme und rief: „Meene Gutzte, lange nicht gesehen!“

      Aus Sachsen ausgereist, reiste Pudelpeggy direkt in unsere Stadt ein. Diesen Dialekt konnte man kaum überhören.

      „Guten Morgen, Frau Müller, ich habe es sehr eilig“, versuchte Frauchen zu flüchten.

      Keine Chance, ihre Entschuldigung auszusprechen.

      „Ach, Doreen, haben sie das Neuste von Frau Berger gehört!“, plapperte sie munter weiter, entrinnen unmöglich.

      Ich knurrte, meine Schlappohren rollten sich zu Rouladen auf. Oh, wie mir diese Pudelpeggy auf die Nerven ging, meine Nerven hatte ich noch! Diese schrille Stimme, es folgte eine Tirade sämtlicher Nichtigkeiten der Stadt. Angeleint konnte ich leider kaum entfliehen.

      Wieso färbte sie ihren Hund rosa? Haben wir keine Rechte? Das Recht auf Natürlichkeit oder die freie Genentwicklung unserer Art? Pudelrosa – ist das etwa eine Modeerscheinung? Walt Disney färbte seine Mäuse auch rosa aber einen Hund?

      Mausi ist der Spitzname und Rufname von Mausi, eine haarsträubende Situation. Dieses ungeheuerliche Verhalten gegenüber unserer Naturverbundenheit ist keinesfalls gerechtfertigt. Die Pudeldame Mausi schlichtweg in rosarot?

      Wenn ich bedenke, wir stammen vom Wolf ab! Seht euch den Wolf an, unseren Urahnen „Der mit dem Wolf tanzt“. Poetisch, heldenhaft, solche kühnen Helden zu verkörpern, ist uns in dieser Zeit keinesfalls erlaubt. Wollen wir diese Rolle überhaupt noch spielen?

      Verwöhnt vom pünktlichen Fressen erscheint mir das heutzutage zu anstrengend. Natürlich Trocken- oder Nassfutter frisch aus der Dose, hergestellt in der Tiernahrungsfabrik. Bequemlichkeit sorgte dafür, dass ich keine Lust mehr hatte, mit den anderen Wölfen zu tanzen. In der Zeit gönne ich mir ein Mittagsschläfchen!

      Diese Kraft, diese Stärke, gepaart mit Durchhaltevermögen, Schnelligkeit und diese fletschenden, furchteinflößenden, ungeputzten Zähne. Was zu entschuldigen war, damals gab es keinen Tiernahrungsdiscounter mit Hygieneartikel für Haustiere.