A. F. Morland

Die besten 12 Strand Krimis Juni 2021


Скачать книгу

an die Decke. Er brauchte eine Weile, bis er sich die Ereignisse ins Gedächtnis zurückgerufen hatte. Mühsam kam er auf die Füße, suchte an der Wand nach einem Halt und schleppte sich keuchend in die Loge. Sein Kopf schmerzte. Er setzte sich auf den Stuhl. Seine zitternde Hand griff zum Telefon. Er nahm den Hörer ab und wählte die Nummer der Polizei.

      „Hilfe – Überfall!“, stammelte er, als sich am anderen Ende jemand meldete. Stockend gab er die Adresse durch. Als Nächstes informierte er seinen Chef

      Die Polizei kam zehn Minuten später mit der üblichen Begleitmusik. Zuerst traf ein Streifenwagen ein. Kurz darauf erschienen zwei Männer des Einbruchdezernats. Sie sahen nicht aus wie Kriminalbeamte. Sie trugen keine Trenchcoats oder Hüte mit tief in die Stirn gezogenen Krempen. Sie stellten sich selbst vor. Kriminaloberkommissar Ludwig Trepte hatte dunkles, schon etwas gelichtetes Haar und ein freundliches, rundes Gesicht. Sein Anzug war durchschnittliche Kaufhausqualität.

      Der zweite Beamte war jünger, höchstens Ende zwanzig. Kriminalhauptmeister Werner Meiost, ein smarter Typ, blond, schlank, in eleganten Jeans, weißem Hemd und einer hellbraunen Lederjacke. Sie hörten sich die Geschichte des Nachtwächters an. Die Beschreibung, die er von den beiden Einbrechern geben konnte, war sehr vage.

      Eine halbe Stunde später tauchte auch der Chef des Kopierwerkes auf. Kurt Brankov, ein Mann von knapp vierzig Jahren, hatte sich in aller Hast angekleidet. Der Saum eines blauen Pyjamas schaute unter den Hosenbeinen hervor. Anstelle einer Krawatte hatte er sich einen schwarzen Schal um den Hals gewickelt.

      „Hat man den Safe geknackt?“, war seine erste Frage.

      „Das sollten Sie selbst feststellen“, meinte Kommissar Meiost. „Bringen Sie uns in Ihr Büro.“

      Brankov nickte und ging mit schnellen Schritten den Gang entlang. Vor einer Tür blieb er stehen und wollte die Klinke herunterdrücken.

      „Stopp!“, sagte Meiost. Er winkte einen seiner Leute von der Spurensicherung heran, der die Klinke nach Fingerabdrücken untersuchte und sie mit einer Plastikfolie sicherte. Dann gab er den Weg frei. Brankov öffnete die Tür, schaltete das Licht an und sah sich in seinem Büro um. Als er keine Veränderung feststellen konnte, atmete er erleichtert auf. Der Geldschrank stand unversehrt in seiner Ecke.

      „Scheint alles in Ordnung zu sein“, meinte er.

      Meiost zuckte mit den Schultern. „Man kann einen Safe auch ohne Schweißbrenner öffnen“, sagte er.

      „Wie meinen Sie das?“

      „Wenn die Einbrecher die Zahlenkombination kannten, brauchten sie keine Gewalt anzuwenden.“

      „Ausgeschlossen!“, rief Brankov. „Für den Geldschrank gibt es nur einen einzigen Schlüssel, und den habe ich bei mir.“

      „Machen Sie den Safe auf, und schauen Sie nach“, schlug Meiost vor.

      Brankov sah den Kommissar unschlüssig an, dann ging er zu dem Safe hinüber. Meiost stand da, wippte auf den Absätzen hin und her und betrachtete das Büro. Seit einigen Monaten, seit man die Jonca-Bande gefasst und hinter Gitter gebracht hatte, war Berlin von aufgebrochenen Safes bemerkenswert verschont geblieben. Ein Einbruch wie der vorliegende bedeutete einen gewissen Schock.

      Er war viel zu fachmännisch ausgeführt worden, um das Werk von Amateuren zu sein. Und das bedeutete, dass eine neue Bande bei der Arbeit war, eine, die über alle notwendigen Erfahrungen und Kenntnisse verfügte. In Gedanken ging er die Liste der polizeibekannten Einbrecher durch und schüttelte dann bedauernd den Kopf. Entweder saßen sie alle fest oder wurden gründlich überwacht. Brankov öffnete die schwere Tür und blickte in das Innere des Geldschranks.

      „Alles in Ordnung“, sagte er. „Fehlt kein Pfennig.“

      „Gratuliere“, erwiderte Meiost. „Aber irgendetwas müssen die Einbrecher doch gesucht haben.“

      „Ich wüsste nicht, was. Die Filme, die wir in unseren Räumen lagern, kann jeder im Kino ansehen. Hier liegen keine Wertsachen herum.“

      „Vielleicht wurden die Einbrecher durch ein Geräusch aufgeschreckt und sind vorzeitig getürmt.“

      Meiost und Trepte verließen das Büro. Brankov folgten ihnen.

      „Sie sind also der Ansicht, das nichts verschwunden ist?“, fragte Trepte.

      Brankov nickte. „Ja, es lohnt nicht, sich die ganze Nacht um die Ohren zu schlagen.“

      „Na gut. Ich lasse den Nachtwächter ins Krankenhaus bringen und einen meiner Männer als Posten hier.“

      „Einverstanden.“

      Sie gingen den Gang entlang und erreichten die Loge, wo sich zwei Sanitäter um den verletzten Mann kümmerten. Er winkte Meiost heran.

      „Der Eingang war versperrt“, sagte er mit leiser Stimme. „Ich habe die Tür selbst abgeschlossen.“

      „Sind Sie sicher?“, fragte Meiost.

      „Ja, natürlich. Deshalb war ich ja auch so erschrocken, als die beiden plötzlich vor mir standen.“

      Meiost wandte sich an den Mann von der Spurensicherung. „Haben Sie das Schloss untersucht?“

      „Ja. Es weist keinerlei Beschädigungen auf. Offenbar hatten die Männer einen Schlüssel.“

      „So?“ Meiost blickte Brankov durchdringend an. „Und wie viele Personen besitzen einen Schlüssel für diese Tür?“

      „Mindestens ein Dutzend. Alle leitenden Mitarbeiter haben einen.“

      „In Ordnung“, sagte Meiost gähnend. „Das wär‘s dann für den Augenblick. Falls Sie doch noch etwas vermissen sollten, rufen Sie uns an.“ Er gab dem Mann seine Visitenkarte und verabschiedete sich.

      3

      Am nächsten Tag betrat Mario Bredereck, der Cheflaborant des Kopierwerks, den Raum im ersten Stock, ging an den Regalreihen entlang und blieb plötzlich wie versteinert stehen. Statt der acht Filmdosen, die er vor zwei Tagen selbst hierher gebracht hatte, lagen dort nur noch fünf. Seine Lippen bewegten sich kaum, als er die Aufschrift vor sich hinmurmelte. „Blutige Meute, Produktion der Joswig-Filmkunst, Rollen vier bis acht.“

      Und wo sind die anderen drei Dosen?, fragte er sich. Vielleicht hatte sie jemand verlegt. Er suchte das gesamte Regal ab, doch die Dosen waren unauffindbar. Bredereck hatte zwar von dem nächtlichen Zwischenfall gehört, aber er brachte das Verschwinden der Filmdosen nicht damit in Verbindung.

      Noch nicht.

      Mit raschen Schritten ging er zu dem Telefon, das an der Wand hing, und wählte die Nummer des Labors.

      „Sagt mal, habt ihr schon einen Teil der Blutigen Meute in Arbeit?“

      Die Antwort, die er bekam, fiel so aus, dass er sich genötigt sah, sofort in Kurt Brankovs Büro zu stürmen.

      „Verschwunden?“ Er runzelte die Stirn. „Wie soll ich das verstehen? Bei uns kommt doch nichts weg. Sind die Filme nicht drüben in der Entwicklung?“

      „Nein“, antwortete Bredereck. „Die Entwicklung war erst für heute Nachmittag vorgesehen. Drei Filmdosen sind nicht auffindbar. Ich habe alles abgesucht.“

      Ein Verdacht, den er noch nicht auszusprechen wagte, stieg in Brankov empor. Er richtete sich auf und ging um den Schreibtisch herum. „Suchen wir noch einmal gründlich alles ab. Und wenn wir das ganze Haus auf den Kopf stellen müssen.“

      Obwohl sich die gesamte Belegschaft an der Suche beteiligte, blieb sie ergebnislos. Mit einem unguten Gefühl in der Magengegend kehrte Brankov in sein Büro zurück und ließ sich in den schweren Ledersessel sinken. Wie bringe ich das dem Produzenten bei?, fragte er sich immer wieder. Falls die Rollen nicht wieder auftauchten, war Eckard Joswig gezwungen, die erste Filmhälfte neu drehen zu lassen. Brankov wusste, dass die Werbung für den