A. F. Morland

Extra Krimi Paket Sommer 2021


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Mai war Eberhard zum ersten Mal zum Doktor gekommen, da hatte sie ihn kennen gelernt, weil er sich ganz brav ins Wartezimmer gesetzt hatte und abwehrte, es handele sich um eine private Sache mit seinem Bruder, und deshalb wolle er nicht stören, kein Patient solle seinetwegen warten. Sie hatten sich sehr nett unterhalten.

      Bei ihrem Tonfall seufzte Kogge heimlich. Bruder Eberhard hatte sie eingewickelt. En passant, weil er gerade nichts Besseres vorhatte. Wer wie er Frauen abschleppte, erkannte ein bequemes Opfer auf den ersten Blick.

      Einen Monat später war Eberhard wieder gekommen und hatte Monika eine große Schachtel Pralinen mit gebracht. Ja, und abends hatten sie sich auf der Feltenwiese - getroffen. Ernsthaft hatte sie gar nicht geglaubt, dass Eberhard so lange in seinem großen Auto auf sie warten würde. Aber er hatte es getan. Weil sie - sie war erst hochgelaufen, als es schon dunkel wurde. Im Juli hatten sie sich wieder - getroffen. Auch im August, mehrmals, da waren der Doktor und seine Frau in Urlaub gefahren, und Hardy meinte, es wäre besser, wenn sein Bruder nichts von ihrer Liebe erführe. Ja, immer auf der Feltenwiese, wenn es dunkel geworden war. Eigentlich ging sie nicht gerne dort hoch, wegen - Sie hielt inne und Rogge lachte leise.

      »Wegen Andrea Wirksen. Ja, ich weiß Bescheid, sie ist eine kleine Hure.«

      Monika Ziegler zuckte zusammen, fuhr aber tapfer fort. Ja, wegen Andrea. Sie hatte immer aufgepasst, Andrea hatte sie nie gesehen. Und im September, als der Doktor aus dem Urlaub zurück war, hatte sie sich zum letzten Mal mit Hardy - getroffen. Wieder in seinem Auto, oben auf der Feltenwiese. Hardy hatte Monika in der Praxis zugeflüstert, er habe ein Geburtstagsgeschenk für sie, das wolle er ihr - nachher überreichen.

      »Wann hast du denn Geburtstag, Monika?«

      »Am 16. September.« Rogge schnappte nach Luft, aber sie hatte nichts bemerkt. Also war sie - sie hatten sich wieder - getroffen. In seinem Auto, auf der Feltenwiese. Hardy schwor ihr, er Würde gern bleiben, sie in der ersten Sekunde ihres Geburtstages küssen, aber er müsse fort, es habe Krach mit seinem Bruder gegeben, ganz scheußlichen Streit, und deswegen bekomme sie ihr Geschenk jetzt schon. Sie hatte trotz seines Protestes das Päckchen ausgepackt, eine goldene Armbanduhr, und dann - und dann - sie kämpfte mit den Tränen. Hardy wollte schon beim ersten Mal mit ihr schlafen, aber sie konnte doch nicht, sie nahm keine Pille und Hardy hatte kein Kondom dabei, sie hatte Angst, aber er wollte so gerne, und wenn sie Angst vor einem Kind hätte, dann könnte sie doch - sie hatte sich ausgezogen und - getan, um was er sie bat.

      Schweigend ging Rogge neben Monika her.

      Ja, sie hatte es getan. Und dann fuhr Hardy fort, er war immer über den Parkplatz auf die Autobahn gefahren, sie schaute dem Auto noch nach, als der - Mann plötzlich neben ihr auftauchte. Und sie zu Boden warf und sie - sie wollte schreien, aber der Mann hatte ihr den Mund zugehalten, sie hatte sich aus Leibeskräften gewehrt, aber er war ja viel kräftiger als sie. Und dann war der Mann auf gestanden und hatte ihr gedroht: Wenn sie nur einen Mucks verraten würde, ginge es ihr schlecht. Außerdem würde er allen Menschen erzählen, was sie in dem Auto getrieben hatte, ihren Eltern, Jo, ihrem Chef.

      Monika machte sich nicht klar, was sie damit preis gab: Sie kannte ihren Vergewaltiger also genau.

      Sie hatte geweint und versprochen, den Mund zu halten, und der - Mann war weggegangen.

      »Wohin, Monika?«, fragte er gleichmütig.

      »Zum Parkplatz.«

      »Und wann ist das alles passiert?«

      »Abends. Im Dunkeln.«

      »Am Tag vor deinem Geburtstag?«

      »Ja.«

      »Weißt du noch, wie spät es war?«

      »Ich bin ins Dorf hinuntergelaufen und da hab ich die Gertrud vor dem Bären getroffen, es war fast Mitternacht.«

      »Und weil es dir so schlecht ging, hast du der Gertrud alles erzählt?«

      »Ja.« Sie musste sich doch - ihr Höschen war zerrissen und das Blut an ihren Beinen ...

      Gertrud hatte den Hauptschlüssel für das Gästehaus geholt und einen Slip, und Monika hatte sich in einem der Bäder gewaschen und Gertrud hatte den Riss in dem Kleid genäht. Und Gertrud hatte sie nach Hause gebracht, sie musste doch ihren Eltern erklären, wo sie so lange geblieben war ...

      »Hast du Gertrud den Namen des - Mannes genannt?«

      »Ja, ich war so durcheinander.«

      Eine ganze Weile liefen sie stumm nebeneinander her. Rogge konnte sich nicht vorstellen, dass Gertrud herumgetratscht hatte, was Monika passiert war, das traute er ihr einfach nicht zu. Aber die Krakeeler-Truppe wusste Bescheid, an das höhnische Schweigen, als Monika den Bären betreten hatte, konnte er sich noch gut erinnern. Und an diese halb lüsternen, halb geringschätzigen Blicke, guck mal, die kann man sich nehmen, die lässt sich das gefallen, über die ist schon mal einer rübergerutscht ... Nein, Monika musste den Namen des Mannes nicht aussprechen, Rogge wusste, wer es gewesen war. An Monikas Stelle würde er Benno Brockes auch fürchten, der keine Hemmungen kannte, sie gnadenlos zu verprügeln, sollte sie ihn anzeigen.

      »Wollen wir umkehren, Monika?«

      »Ja.«

      »Es bleibt dabei - von mir erfährt niemand etwas. Auch der - Mann nicht. Aber eines überlege dir bitte: Wenn du den Mann nicht anzeigst, wird er noch andere Frauen überfallen. Ohne eine Aussage seiner Opfer können wir ihn nicht hinter Gitter bringen. Ich weiß, es ist scheußlich und sogar entwürdigend, in einem Prozess auszusagen und nach den intimsten Dingen befragt zu werden, aber ich weiß nicht, ob du das nicht durchstehen solltest. Wenn du dich zu einer Anzeige entschließt, rufe mich an. Ich schicke dir eine Polizistin aus meinem Kommissariat, sie ist ebenfalls vergewaltigt worden und hat den Prozess durchgestanden, sie versteht, wie du dich fühlst.«

      »Ich kann nicht ...«

      »Lass dir Zeit. Du hast mir schon sehr geholfen.«

      Später musste Rogge sich ein Lächeln verkneifen, Jo Thelen eilte ihnen entgegen, und die Mischung aus Empörung und Besorgnis auf seinem Gesicht reizte zum Schmunzeln; Rogge hörte, wie Monika scharf nach Luft rang.

      »Guten Tag, Herr Thelen.«

      »Tach!«, knurrte der junge Mann und konnte sich nicht entscheiden, ob er Rogge an die Kehle springen oder Monika umarmen sollte.

      »Tut mir Leid, dass ich Monika entführen musste. Aber Sie haben doch sicher gehört, was mit Olli geschehen ist?«

      »Ja, sicher ...«, stammelte Jo, aus dem Konzept gebracht.

      »Ich glaube, ich weiß jetzt, wo wir den Täter suchen müssen.« Thelenx verstand die Welt nicht mehr und Rogge stieß Monika an: »Danke, das war ein guter Tipp. Daran hätten wir früher denken sollen.«

      »An Olli?«

      »Den Wirt, Jo«, antwortete Monika schnell und nur Rogge hörte die Mischung von Angst und Erleichterung aus ihrer Stimme heraus. »Der Kommissar hat mich nach Olli und Gertrud ausgefragt.«

      »Olli und Gertrud?«

      »Vielen Dank, und noch einen schönen Sonntag.«

      Die beiden Hunde saßen vor der Tür und schauten Rogge gelangweilt zu, wie er rasch in sein Auto stieg. An Besucher, die nichts im Hofladen erwarben, verschwendeten sie nicht einmal ein kurzes Wuff.

      Auf dem Revier in Herlingen herrschte Hochbetrieb. Zwei junge Kerle in abgerissenen Jeans und geflickten Lederjacken hatten am helllichten Tag einen dreisten Wohnungseinbruch riskiert und nur die Dauer des Gottesdienstes falsch eingeschätzt. So waren sie dem Vater und dem Schwiegersohn in die Hände gelaufen - oder besser: vor die Fäuste, die den Fall erst einmal privat bereinigten, bevor sie die Einbrecher aufs Revier schleppten; jetzt wuselte die ganze Familie einschließlich dreier Kleinkinder hin und her und kaute die Szene immer wieder laut und zunehmend begeistert durch. Ein junger Wachtmeister schimpfte: »Halt doch endlich still, du blöder Hurenbock!«, und mühte