A. F. Morland

Extra Krimi Paket Sommer 2021


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gut! Pertz rieb sich die Augen. Die Liga existierte, aber sie hatten den Kontakt verloren. Wiederum zwei mögliche Erklärungen: Der Laden hatte sich so gut getarnt, dass nach dem Ausfall des V-Mannes die Abschottung perfekt funktionierte. Oder die Gruppe hatte sich aufgelöst, weil sie nach dem ersten Einbruch in ihren inneren Kreis misstrauisch, übervorsichtig geworden war.

      Nebenan hatte die Frau sich an den Flügel gesetzt und Pertz ließ sich eine halbe Minute ablenken. Schubert, ein Impromptu. Warum sie bei ihrem Talent die Ausbildung abgebrochen hatte, verstand er bis heute nicht. Eine Verschwendung von Begabung und Mühe, diese Überlegung bedrückte ihn immer wieder.

      Viele der Entscheidungen, die Pertz treffen musste, fielen nach Aktenlage und manchmal fühlte er sich dabei wie ein Mann in einem großen, völlig finsteren Saal mit vielen Ausgängen. Hatte der andere bereits lautlos den Raum verlassen? Oder lehnte er immer noch irgendwo an der Wand und wartete mit endloser Geduld ab, was geschehen würde? Selbst Erfahrung führte da nicht viel weiter, es blieb immer eine Mischung aus wenigen Fakten, Intuition und Erinnerung an viele Niederlagen und einige wenige Erfolge. Das Trio Ellwein, Gönter und Weinert hatte sich, jeder einzeln, strikt geweigert, ihm bei dieser Entscheidung zu helfen. Seine Intuition sagte Pertz, dass sich der Kreis aufgelöst hatte. Entweder waren alle Spuren bereits verwischt — oder die letzte gemeinsame Aktivität bestand zurzeit darin, gefährliche Zeugen auszuschalten und mögliche Beweise zu vernichten. So oder so - es lohnte keine Mühe mehr.

      Sorgfältig räumte er die Akten in den kleinen Tresor. Wie immer litt er unter dem Zwiespalt von Erleichterung darüber, dass er sich durchgerungen hatte, und nagendem Zweifel, er könnte etwas übersehen haben.

      Petra hörte auf, als er ins Zimmer kam und vor dem Flügel stehen blieb.

      »Du siehst unglücklich aus, Jockel«, flüsterte sie zärtlich.

      »Unglücklich? - Nein. Unglücklich bin ich nicht. Unruhig.«

      »Warum? Meinetwegen?«

      Er lächelte trübe, während sie aufstand und die Träger ihres Hängerkleids über die Schultern streifte. Zwei Jahre hatte er sich gegen sie gewehrt, weil er nicht begriff, was sie an ihm fand, und sich zugleich trotz des beruflichen Misstrauens mit allen Fasern nach ihr sehnte.

      Sie hakte den BH auf und er zog sie an sich. Weil er ein zärtlicher Liebhaber war, schlief sie gerne mit ihm und schämte sich manchmal, dass sie ihn ausspionierte. Aber dafür wurde sie gut bezahlt, und wozu ihre Informationen dienten, wollte sie gar nicht wissen.

      Samstag, 30. September

      Das Telefon riss Rogge aus dem tiefsten Schlaf, wütend grabbelte er nach dem Wecker: Viertel nach drei. Welcher Idiot im Präsidium hatte da wieder nicht auf die Liste geschaut?

      »Ja?«, grollte er los.

      »Herr Rogge? Hier ist Inge Weber. Oder Charlotte Zinneck.«

      Zuerst verstand er gar nichts, und das nicht nur, weil die heisere Stimme flüsterte. Noch benommen vom Schlafdusel traute er seinen Ohren nicht. »Wer?«

      »Charlotte Zinneck.«

      Das war nicht wahr! Das konnte nicht sein!

      »Hören Sie mich?«

      »Ja«, krächzte er, die Stimme dick belegt.

      »Ich brauche Hilfe.«

      »Was?«

      »Bitte! Die sind hinter mir her.«

      »Wer ist ... wo sind Sie?«

      »In einem Motel. Am Bellhorner See.«

      »Das kenne ich.«

      »In einem fremden Zimmer, die Nummer weiß ich nicht, ganz außen. Da habe ich mich versteckt.«

      Seine Schlafgeister verflogen.

      »Ich weiß nicht mehr, was ich machen soll.« Die Stimme zitterte, gleich würde sie zu weinen beginnen. Das hatte ihm gerade noch gefehlt. »Ich habe Angst.«

      Wenn sie schauspielerte, verdiente sie einen Preis.

      »Können Sie nicht kommen? Bitte!«

      Eine großartige Idee. Mal eben an den Bellhorner See rauschen und den Helden spielen ...

      »Kann Ihnen das Personal nicht helfen?«

      »Ich weiß nicht - es ist dunkel, ich trau mich nicht, Licht zu machen.« Das klang nach beginnender Hysterie, mit ihrer Nervosität steckte sie ihn regelrecht an.

      »Okay, nur ganz ruhig, ich finde Sie. Bleiben Sie jetzt in der Nähe des Telefons. Eine Stunde, okay?«

      »Ja ... ja ... sicher.«

      »Bis gleich!« In fliegender Eile zog Rogge sich an und verwünschte die drei Cognacs, zu denen Dörte ihn verführt hatte. Und fluchte noch einmal, als er feststellte, dass er nur ein gefülltes Magazin für seine Dienstwaffe besaß.

      Bis zum Beilhorner Stausee stellte Rogge einen neuen Rekord auf. Die Dämmerung kündigte sich an, es würde ein grauer Tag werden, die Wolken hingen dicht über dem Wasser, es war windstill und schwülwarm. Weil Rogge keine Zeit verlieren wollte, fuhr er direkt auf den Parkplatz. Der Eingang des Motels war verschlossen, zornig rüttelte er an der Tür, zwecklos, bis er jemanden vom Personal geweckt hatte ... Er rannte nach links, um den einstöckigen Flügel herum. Ganz außen, hatte sie gesagt. An der Ecke musste er über den Zaun klettern, noch war es zu dunkel, sollte sich jemand im Garten verbergen, würde er ihn nicht sehen können - das äußerste Zimmer. Fenster und Verandatür verriegelt, kein Licht, die Vorhänge nicht vorgezogen, er klopfte hastig, zweimal, dreimal, drinnen rührte sich nichts.

      »Charlotte!«, rief er unterdrückt.

      Keine Reaktion. Also das Zimmer auf der anderen Seite der L-förmig gebauten Anlage? Quer durch den dunklen Garten? - Oder ließ er sich von ihr verrückt machen? Warum glaubte er ihr unbesehen? - Wenn er an den Terrassen vorbeischlich, bestand Gefahr, dass Motelgäste ihn zufällig sahen und Alarm schlugen - oder sollte er das herausfordern? Und dann war da niemand, nur ein spinnerter Hauptkommissar ...

      Er spurtete los, raste quer über die Beete, zertrampelte Blumenrabatte, sprang über niedrige Sträucher und hörte plötzlich zweimal ein mattes Plopp. Oder bildete er sich das nur ein? Seine Lungen stachen, die Luft wurde knapp, er sollte weniger rauchen, es konnte aber auch die Furcht sein - noch ein Plopp, in der Stille erschreckend laut, endlich warf er sich auf die Steine der Veranda vor dem Eckzimmer.

      »Charlotte!«, keuchte Rogge. Die schlimmsten Alpträume wurden wahr, aber dann öffnete sich wie von Zauberhand die Tür, er kroch auf allen vieren durch den Spalt, sie drückte die Tür schon zu und schrie unterdrückt auf, als das Glas splitterte und knirschte. Ohne zu überlegen griff Rogge nach ihren Beinen und riss sie um, sie schrie vor Schreck oder Schmerz, als sie auf ihn stürzte, keine Zehntelsekunde später hörten sie zwei dumpfe Aufschläge, der Schütze hatte das Holz getroffen.

      »Nicht bewegen!«, zischte Rogge und das unangenehm hohe Jammern brach ab.

      »Ruhe!«

      Zehn Sekunden, zwanzig, dreißig. Absolute Stille. Eine Minute. Im Motel rührte sich nichts. Wie viel Zeit hatten die Männer draußen noch? Eine halbe Stunde, bis es zu hell geworden war? Langsam schob er die Frau zur Seite.

      »Nicht aufrichten! Kriechen Sie zwischen Bett und Wand! Und halten Sie den Kopf unten, was immer passiert!«

      »Ja«, flüsterte sie.

      Seine Augen hatten sich an die Dunkelheit gewöhnt, trotzdem erkannte er sie nur schemenhaft. So leise sie sich auch bewegte, das Kratzgeräusch übertönte alles. »Psst!«

      Wieder Stille. Er holte die Waffe aus dem Halfter, entsicherte, lud durch, das Schnappen dröhnte erschreckend laut. In seinen Ohren rauschte das Blut - und dann ein kaum vernehmbares Knacken. Als ob jemand auf einen verdorrten Ast getreten war, gar nicht weit entfernt.

      Millimeterweise