brummte Clive. Der Italo-Amerikaner fuhr sich mit einer schnellen Bewegung über das Gesicht. Die Hitze und der Geruch setzten uns allen zu.
"Wie konnten Sie Dolores Montalban so schnell identifizieren?", fragte ich.
"Die Tote hat eine Tätowierung zwischen den Schulterblättern, die ziemlich ungewöhnlich ist", antwortete der Captain. "Ein umgedrehtes Kreuz. In der aktuellen Vermisstenliste für New York City gibt es niemanden sonst, der dieses Merkmal aufweist."
"Verstehe."
"Außerdem ist Dolores Montalban vorbestraft. Kirchenschändung, Schändung von Grabstätten und dergleichen mehr. Ein Verfahren ist übrigens noch nicht abgeschlossen. Zusammen mit ein paar Mittätern soll sie nachts in die methodistische Kirche St. Andrew an der Delaware Road in Paterson, New Jersey eingedrungen sein und dort die Wände mit Schweineblut bemalt haben."
Riley führte uns zu der Stelle, wo die Tote aufgefunden worden war. Der Gerichtsmediziner beugte sich über das Plastikpaket, das von einem Mitarbeiter der Scientific Research Division teilweise aufgeschnitten worden war. Die Tote war vollkommen nackt. Eigenartige Zeichen waren auf ihren Körper gemalt worden. Kreise, Pentagramme, Sechsecke. Vermutlich hatten sie irgendeine okkulte Bedeutung.
"Was ist die Todesursache?", wandte sich Clive Caravaggio an den Gerichtsmediziner, einen etwa vierzigjährigen Mann mit hoher Stirn. Ich kannte ihn flüchtig. Sein Name war Sounders. Er machte ein ziemlich ratloses Gesicht, zuckte die Achseln. "Akuter Herzstillstand", sagte er. "Viel genauer kann ich dazu noch nicht Stellung nehmen."
"Mir hat Dr. Sounders auch noch nicht mehr verraten", erklärte Riley. "Aber bei einer Toten, die so verpackt auf einer Müllkippe abgelegt wird, kann man wohl kaum eine natürliche Todesursache annehmen."
Dr. Sounders bückte sich und klappte die Plastikplane ein ganzes Stück zur Seite, sodass der Rumpf der Toten vollständig sichtbar wurde. Der Arzt deutete auf einen winzigen roten Punkt in der Nähe des Bauchnabels. "Das könnte die Folge einer Injektion sein."
"Sie meinen, Dolores Montalban wurde vergiftet?", fragte Clive.
"Alles noch Spekulation. Ich habe den Verdacht, dass Miss Montalban ein muskellähmendes Mittel verabreicht bekam. Genaues kann ich Ihnen natürlich erst nach einer eingehenden Obduktion sagen." Sounders deutete zu den Achselhöhlen. "Sie sehen hier die Hämatome. Unter den Knien sind ähnliche Stellen zu finden. Die Tote wurde von zwei Personen getragen, als sie noch lebte. Aber sie war vermutlich vollkommen gelähmt und konnte keinerlei Muskelspannung aufbieten. Sonst wären diese Hämatome nicht in der vorliegenden Form entstanden."
Sounders deckte die Plastikplane wieder über die Tote.
Mehr konnten wir vom Coroner im Moment nicht erfahren.
"Diese Zeichen - das sieht mir nach irgendwelchen satanistischen Ritualen aus", meinte Milo. "Passt zu der Tätowierung auf dem Rücken und ihren Vorstrafen."
Riley nickte. "Das umgedrehte Kreuz ist ein Satanistenzeichen."
"Weiß Mister Montalban schon vom Tod seiner Tochter?", erkundigte sich Clive.
Captain Riley schüttelte den Kopf. "Nein, wir dachten, dass ihr vom FBI diesen unangenehmen Job übernehmen würdet!"
Clive nickte. "Verstehe." Er wandte sich an mich. "Montalban und ich sind vor Jahren mal böse zusammengerasselt. Er wird sich an mich erinnern..."
"...und jetzt hast du wenig Lust, ihm gegenüber zu treten!", schloss ich.
Clive nickte. "Es geht darum, so viel wie möglich an Informationen aus dem Kerl herauszubekommen. Wenn ich dabei bin, trägt das wahrscheinlich nicht gerade zu einer guten Gesprächsatmosphäre bei."
"Wir machen das schon", mischte sich Milo ein. "Das war's doch, was du hören wolltest, oder?"
"Ihr habt was bei mir gut", sagte Clive.
"Wir kommen darauf zurück", erwiderte ich.
"Ich hoffe nur, dass das Ganze nicht der Auftakt zu einem Krieg zwischen den Drogenkartellen ist!", meldete sich Agent Fred LaRocca zu Wort. "Schließlich wissen wir nicht, ob der Zusammenhang zum Satanismus nicht vielleicht nur vorgetäuscht ist."
"Dazu hat mir Nat noch etwas Interessantes gesagt, kurz bevor ich das Field Office verließ, um her zu kommen", ergänzte Clive an mich und Milo gerichtet. Nat Norton war ein Kollege aus dem Innendienst, dessen Spezialgebiet die Betriebswirtschaft und das Aufspüren von Geldströmen war. "Nach Nats Angaben hat es auf Montalbans bekannten Konten sehr bemerkenswerte Bewegungen gegeben. Auffällig sind unter anderem mehrere Barabhebungen von jeweils über einer halben Million Dollar."
"Dann wurde Montalban vielleicht erpresst", entfuhr es mir.
"Das war auch mein erster Gedanke, Jesse."
4
Anderthalb Stunden später waren Milo und ich auf dem Weg nach Long Island. Rick Montalban bewohnte eine Villa in den Hamptons, direkt am Meer. Früher hatte er in Spanish Harlem residiert. Offenbar war ihm dieses Pflaster seid einigen Jahren zu heiß geworden.
"Dirty Rick" war er früher wegen seiner rücksichtslosen Vorgehensweise genannt worden. Mehrere Vorstrafen wegen Körperverletzung und Drogendelikten standen auf seinem Konto. Aber "Dirty Rick" war mit den Jahren geschickter geworden. Er hatte begriffen, dass man besser davonkam, wenn man andere die Drecksarbeit verrichten ließ und dafür sorgte, immer eine weiße Weste zu behalten. So war aus "Dirty Rick" schließlich jener Mann geworden, den die Latinos in Spanish Harlem und der Bronx fast ehrfurchtsvoll "El Columbiano" nannten. Eine graue Eminenz, die aus dem Hintergrund heraus einen Großteil des Drogenhandels kontrollierte. Darüber hinaus hielt er auch seine Hand über zahllose Nachtclubs und Wettbüros, mit deren Hilfe das schmutzige Geld weiß gewaschen wurde. Inzwischen hatte Montalban einen Großteil seines Geldes in legale Geschäfte investiert, sodass absehbar war, wann er sich vollkommen vom illegalen Sektor verabschieden würde. Für uns bedeutete dies, dass es immer schwieriger wurde, ihm überhaupt noch irgendwelche Straftatbestände nachzuweisen.
Dutzende von Auftragsmorden gingen wahrscheinlich auf das Konto von "El Columbiano".
Bis jetzt war es uns nicht gelungen, ihn auch nur für einen davon zur Verantwortung zu ziehen.
Er regierte seine Organisation bis heute mit eiserner Hand. Verrat bedeutete den sicheren und oft auch qualvollen Tod.
Montalban duldete weder Widerspruch noch Kooperation mit der Justiz in seinen Reihen. Wer immer sich nicht daran hielt, musste bitter dafür bezahlen.
Seit Jahren waren wir vom FBI Field Office New York diesem Kerl auf den Fersen. Dasselbe galt für die Kollegen der Drogenpolizei DEA und der Steuerfahndung. Aber bislang war bei all diesen Ermittlungen nicht genug herausgekommen, als dass ein District Attorney darauf eine Anklage gründen konnte.
Möglicherweise war "El Columbiano" jetzt selbst Opfer eines Verbrechens geworden.
Mit seiner Unterstützung konnten wir deshalb trotzdem wohl kaum rechnen.
Leute wie Montalban pflegten derartige Probleme auf ihre eigene Art zu lösen. Meistens sehr blutig. Genau das mussten wir verhindern.
"Ich frage mich, wer hinter einer Entführung von Montalbans Tochter stecken könnte", sagte Milo, als wir gerade die letzten Randbezirke von Brooklyn hinter uns gelassen hatten und weiter Richtung Nordosten fuhren. Links war der Atlantik zu sehen. "Auf jeden Fall scheiden irgendwelche Amateure wohl aus. Wer die Tochter von Dirty Rick entführen will, der ist entweder lebensmüde oder sehr, sehr mächtig."
"Du glaubst also, die Konkurrenz des Kolumbianers steckt dahinter. Irgendetwas ging schief, Dolores kam ums Leben und wurde dann auf die Müllkippe gelegt, wo sie mit etwas Glück vielleicht nie gefunden worden wäre!"
"Ergibt doch Sinn, oder?"
"Nach dem alten Mafia-Kodex waren die Familien der Gangster tabu, Milo."
"Du