beruhige dich bitte, Jackie! Ich bin dein Agent und will wie immer nur dein Bestes.« Mark Konrad stand vor dem hohen französischen Fenster in seinem Schöneberger Loft und starrte in den trostlosen, vom langen Winter gezeichneten Innenhof, während er beschwichtigend ins Telefon sprach. Wieder einmal versuchte er, das beste und nervöseste Pferd in seinem Stall zu beruhigen. Doch Jackie Benz hatte sich fix in den Kopf gesetzt, ihre Biografie schreiben zu lassen. Und nichts und niemand konnte sie davon abbringen. Nicht einmal der geduldige, souveräne Mark, der seit mehr als drei Jahren der Agent der wohl bekanntesten deutschsprachigen Schauspielerin war. So lange wie er hatte es noch keiner mit der launischen Diva ausgehalten. Es war zum Verzweifeln. Aus irgendeinem unerfindlichen Grund bildete sich die Primadonna des deutschen Spielfilms ein, dass es just an ihrem 45. Geburtstag, der in fünf Monaten anstand, mit ihrer Karriere vorbei sein würde. Die zahlreichen Rollenangebote, die sie in den letzten 22 Jahren mehr oder weniger auf dem Silbertablett serviert bekommen hatte, würden schlagartig ausbleiben. Davon war sie felsenfest überzeugt.
Was auch immer Mark Konrad an Argumenten vorbrachte, die Benz rückte keinen Millimeter von ihrem Vorhaben ab. Sie wollte dem angeblich bevorstehenden Karrieretief unbedingt mit ein paar skandalträchtigen Enthüllungen entgegenwirken.
»Jackie, bitte! Das hast du doch gar nicht nötig«, flehte Mark, der bereits eine gute halbe Stunde mit Engelszungen auf sie einredete.
»Was ich nötig habe und was nicht, bestimme ich immer noch selbst. Schließlich geht es hier um meine Karriere, von der auch du ganz gut lebst«, erwiderte Jackie scharf.
»Wie du meinst. Aber vergiss bitte nicht, dass ich dich davor gewarnt habe. Du machst dir jede Menge Feinde mit diesem Buch.«
»Na und? Das halte ich aus. Ich weiß schon, mit wem ich mich anlegen kann und mit wem nicht. Schließlich bin ich lange genug in diesem verdammten Business. Und ich gedenke es auch weiterhin zu bleiben. Bis zum letzten Atemzug, wenn du es genau wissen möchtest. Also, sieh zu, dass du Clara Bodenstein überzeugst. Ich will, dass sie meine Biografie schreibt«, forderte sie lautstark.
Mark seufzte. »Okay«, gab er sich geschlagen. »Ich versuche es.«
»Das reicht mir aber nicht. Ich will sie. Und nur sie. Hast du mich verstanden?«
»Ach, Jackie«, sagte Mark. »Wenn du schon in ein Wespennest stichst, dann aber gleich mitten hinein. Deine Promi-Geschichten und Clara Bodensteins gnadenlose Schreibe … Ich hoffe nur, dass ich in diesem Teufelswerk nicht erwähnt werde.«
»Teufelinnenwerk, mein Lieber, Teufelinnen. Mal sehen. Wenn du artig bist und mir die Bodenstein als Autorin verschaffst, könnte ich eventuell auf eine Erwähnung deiner ohnehin etwas farblosen Person verzichten.«
»Danke.« Mark schluckte.
»Ich meine es ernst.«
»Das war mir klar. Ich kenne dich schon länger.«
»Sobald die Bodenstein unterschrieben hat, soll die neue PR-Tante die Öffentlichkeit informieren, dass ich mit der Chefredakteurin der UP an meiner Biografie arbeite. Also hopp, hopp, mein Lieber! An die Arbeit! Und halte mich gefälligst auf dem Laufenden.«
»Du ziehst das also wirklich durch?«
»Volles Programm, Mark. Und ich werde es genießen, mit anzusehen, wie gewisse Leute zittern. Aus Angst vor der Wahrheit.« Die Vorstellung schien Jackie prächtig zu amüsieren.
Mark hingegen jagte ihr boshaftes, kehliges Lachen unbehagliche Schauer über den Rücken. Vielleicht war es an der Zeit, Jackie loszuwerden, überlegte er, nachdem das Telefongespräch beendet war. Mittlerweile vertrat er mit seiner Agentur etliche bekannte Namen, die alle gutes Geld im Film- und Fernsehgeschäft verdienten. Darunter auch ein paar vielversprechende Nachwuchstalente, die ihm besonders am Herzen lagen. Schließlich waren es die Stars von morgen, die mit ihren künftigen Gagen dafür sorgen würden, dass er von seinem Zehn-Prozent-Anteil auch später ein angenehmes Leben führen konnte. Ob er es riskieren konnte, sein bisheriges Zugpferd Jackie Benz zu verlieren? Oder war es dafür zu früh?
Wieder einmal beschloss Mark, diese schwierige Entscheidung zu vertagen. Stattdessen drückte er die Taste auf der Telefonanlage, die ihn mit seiner Sekretärin im Vorzimmer verband. Wenngleich sie mittlerweile an die 50 sein musste, war Fanny immer noch sein Mädchen für alles. »Bring mir doch bitte einen doppelten Espresso«, sagte er und ließ sich erschöpft auf seinen Lederstuhl fallen.
»Kommt sofort«, antwortete die vertraute Stimme aus dem Vorzimmer, die wie meistens resolut und fürsorglich zugleich klang.
Mark griff erneut zum Telefon, diesmal, um Katrin Schäfer anzurufen. Er kannte die kluge, unscheinbare Katrin von früher, als sie mit seinem ehemaligen Kommilitonen und Mitbewohner liiert gewesen war. Seit ein paar Jahren war sie Cheflektorin im Ettinghaus-Verlag. Jenem Verlag, der die meisten Prominenten-Biografien in Deutschland veröffentlichte. Und deren Geschäftsführerin seit Tagen vermisst wurde.
Vielleicht war Mona Ettinghaus einfach nur untergetaucht? Mit einem neuen Lover. So etwas kam schließlich auch in besseren Kreisen vor. Oder war sie doch entführt worden? Aber warum gab es dann keine Lösegeldforderung? Vielleicht war bei der Entführung irgendetwas schiefgelaufen, sinnierte Mark, während er in der Warteschleife des Verlages hing. Er würde Fanny bitten, ihn mit Katrin zu verbinden, wenn sie ihm den Kaffee brachte. Er wollte schon auflegen, als eine Frauenstimme seine Gedanken unterbrach.
»Sie möchten Frau Schäfer sprechen?«
Mark bejahte.
»Einen kurzen Moment noch, bitte.«
Niemand würde Clara Bodenstein ein Projekt besser verkaufen können als Katrin, die als ihre Busenfreundin galt, kehrte er gedanklich zum Grund für seinen Anruf zurück. Freilich hätte er die attraktive, aber arrogante Chefredakteurin des UP-Magazins selbst kontaktieren können. Er kannte sie ja von diversen Medienevents und Filmpreisverleihungen. Doch Clara Bodenstein löste jedes Mal eine Unsicherheit in ihm aus, wie er sie zuletzt als Halbstarker empfunden hatte.
Wann immer sie sich begegneten, schien sie ihn nicht einmal wahrzunehmen. Als wäre er Luft für sie. Der Umweg über Katrin Schäfer war eindeutig die bessere Strategie, um die Klatschtante der Nation für Jackies Skandalbiografie zu gewinnen, glaubte Mark. Und damit sollte er wie so oft auf das richtige Pferd setzen.
4
Katrin saß im Berliner Promilokal Darius und blätterte in der UP. Das konnte doch nicht wahr sein! Henning Bach ein Vergewaltiger? Oder besser, ein mutmaßlicher Vergewaltiger. »Mutmaßlich«, murmelte sie geringschätzig vor sich hin. Dieses unscheinbare Wort vor der eigentlichen Anschuldigung mochte rechtlich gesehen zwar den großen Unterschied machen, die Leser dieses Klatschblatts würden davon jedoch kaum Notiz nehmen. Unterm Strich wurde lediglich wahrgenommen, dass Bach ein Gewaltverbrechen begangen hatte. Und die Tat würde den bisherigen Publikumsliebling für den Rest seines Lebens verfolgen. Ob er sie nun begangen hatte oder nicht, dachte sie wütend. Ihre beste Freundin hatte wieder einmal zugeschlagen. Und Bach lag womöglich für immer am Boden. Sollte er diese Sandra S. tatsächlich vergewaltigt haben, ging sein K. o. zwar okay, doch Katrin war der Meinung, dass der Mann zuerst einmal gerichtlich verurteilt werden sollte, bevor ihn die Medien fertigmachten. »Im Zweifelsfall für den Angeklagten«, hatte vielleicht früher einmal gegolten, bevor journalistische Arbeit ausschließlich an verkauften Auflagen respektive Quoten gemessen wurde. Es war zum Kotzen. Claras Artikel war zum Kotzen. Und ihr selbst war auch zum Kotzen zumute.
Angewidert steckte Katrin das bunte Klatschblatt in ihren cognacbraunen, auf antik getrimmten Lederbeutel, den sie bei der letzten Shoppingtour mit Clara erstanden hatte. Eigentlich war sie gar nicht der Typ für derlei modische Eskapaden, aber Clara hatte sie zum Kauf des Must-haves dieser Saison überredet. Das trendige Teil war dementsprechend kostspielig gewesen. Viel zu teuer für ihren Geschmack. Katrin hatte noch immer ein schlechtes Gewissen, wenn sie an die hohe dreistellige Summe dachte, die von ihrem Konto für eine einzige dämliche Handtasche abgebucht worden war. Der braune Beutel, der im Laden gegenüber für 69,90 Euro angeboten wurde, hätte es von ihr aus auch getan. Doch Clara war