Eine solche Chance kannst du dir doch nicht entgehen lassen«, meinte Katrin aufgeregt. Ihre schlechte Laune von vorhin war verflogen.
»Gib mir ein paar Tage Zeit, um darüber nachzudenken. Außerdem muss ich erst mit Jan abklären, ob sich dieses Projekt mit meiner Position im Verlag vereinbaren lässt. Ich müsste mir dann wohl ein paar Wochen Urlaub nehmen«, überlegte Clara laut.
»Lass dir bitte nicht zu lange Zeit. Jackie scheint es eilig zu haben. Ich muss Mark deine Entscheidung spätestens in einer Woche mitteilen. Oder eine andere Autorin vorschlagen.«
Clara zog eine Augenbraue hoch. Sie hasste Ultimaten. Zumindest, wenn sie ihr gestellt wurden.
Das wusste Katrin ganz genau. »Jackie bietet dir 50 Prozent ihrer Tantiemen an. Das ist mehr als fair von ihr. Du könntest dir mit diesem Buch ein hübsches Sümmchen verdienen«, beeilte sie sich fortzufahren. »Dein Anteil am Vorschuss beträgt 20.000 Euro.«
Claras Augenbraue wanderte erneut kurz nach oben. »Ich sagte doch: Gib mir das Wochenende Zeit. Sollte ich mich dafür entscheiden, rede ich am Montag mit Decker. Und rufe dich danach gleich an.«
Katrin warf einen Blick auf ihre Armbanduhr und schob ihren leeren Teller beiseite. Vorerst konnte sie nichts mehr tun. »Darf ich dir das Geld für mein Essen dalassen? Ich muss dringend ins Büro zurück.«
»Ich übernehme das schon. Geh nur.«
»Sicher?«
»Ja, klar. Geh ruhig.«
»Danke. Bis bald, Clara. Wie wär’s am Sonntag mit Kino?«
»Daraus wird leider nichts. Ich muss am Wochenende arbeiten.«
»Schade. Aber du denkst über mein Angebot nach, ja?«
»Ja-a«, betonte Clara genervt.
»Prima.« Katrin küsste die Freundin auf die Wangen und eilte zur Garderobe, um wenig später in ihrem alten beigen Wohlfühltrenchcoat aus dem Lokal zu hasten.
Clara bestellte einen Espresso und verlangte nach der Rechnung. Die Quittung steckte sie in ihre schwarze Kelly Bag, für die es jahrelange Wartelisten gab. Das sündhaft teure Stück verdankte sie einer einflussreichen New Yorker Galeristin, für deren Filialeröffnung in Berlin sie einige Promis zusammengetrommelt hatte, um anschließend in der UP über das Event zu berichten. Clara hatte jedoch darauf bestanden, die Handtasche selbst zu bezahlen, damit man ihr ja keine Bestechung vorwerfen konnte und sie nicht erpressbar war.
»Danke schön, Frau Bodenstein. Ich hoffe, es war alles zu Ihrer Zufriedenheit«, meinte die Empfangschefin, die Clara in den Mantel half.
»Es war wie immer großartig. Meine Empfehlung an den Chef.«
Das Carpaccio vom Wagyu-Rind mit jungen Löwenzahnblättern und würzigen Grana-Raspeln an extra jungfräulichem toskanischem Olivenöl hatte, wie fast alles, was aus Darius Schneyders Küche stammte, sterneverdächtig geschmeckt. Clara beschloss, ihn dafür in einer der nächsten UP-Ausgaben lobend zu erwähnen. Der begnadete Koch, der wie sie aus Wien stammte, hatte es redlich verdient.
5
Montag, 4. Juni 2007
Clara saß in der Morgenmaschine der Air-Berlin nach Palma de Mallorca, die den Flughafen Tegel mit über einer Stunde Verspätung verlassen hatte, und nippte an ihrem Tomatensaft. Warum sie ausgerechnet im Flugzeug immer wieder die Lust auf diesen Gemüsedrink überkam, wie so viele andere Passagiere auch, hatte sie erst neulich wo gelesen. Der niedrige Luftdruck in Flughöhe beeinflusste das Geschmacksempfinden. Salz und Zucker wurden weniger stark wahrgenommen. Das fruchtige Aroma von Tomaten blieb hingegen stabiler und schmeckte intensiver. Clara stellte den halb vollen Plastikbecher auf ihrem Klapptischchen ab.
Jan Decker hatte nur kurz gezögert, als sie ihm vor drei Monaten von Jackies verlockendem Angebot erzählt hatte. Schließlich hatte er ihr sogar zugeredet, diese einmalige Chance wahrzunehmen. Sie waren übereingekommen, dass Clara sich für zwei der insgesamt vier Wochen ihres Aufenthalts auf Mallorca Urlaub nehmen würde. Die restlichen Arbeitstage zählten als geschäftlicher Auslandseinsatz. Dafür musste Clara der UP Exklusivberichte von den Dreharbeiten liefern.
Die Tatsache, dass die nicht gerade als zimperlich verschriene Chefredakteurin des meistgelesenen Klatschmagazins Jackie Benz’ Biografie schreiben würde, war in den letzten Wochen in den konzerneigenen Medien ausgeschlachtet worden, was die Auflagen erfreulicherweise in die Höhe getrieben hatte. Clara hatte der Öffentlichkeit einen gewagten Blick hinter die Kulissen der Filmbranche angekündigt, gespickt mit persönlichen, amüsanten bis skandalträchtigen Anekdoten der Diva. Und sie plante ihr Versprechen zu halten, auch wenn sie damit den einen oder anderen Prominenten ans Messer liefern würde. Die sensationshungrige Klatsch- und Tratschgemeinde wartete schon begierig darauf, was oder besser wen sie da demnächst verschlingen würde.
Die einzigen Bedenken hatte Clara wegen Jackies berüchtigter Launen. Sie konnte mit Allüren nicht besonders gut umgehen, schon gar nicht, wenn sie diesen über einen längeren Zeitraum hinweg ausgesetzt war. Bisher war die Schauspielerin ihr gegenüber stets freundlich, für einen Star ihres Kalibers beinahe pflegeleicht gewesen. Doch wer wusste schon, wie das bei enger Zusammenarbeit aussehen würde? Hoffentlich packte die Diva nicht ihre gefürchteten Zicken aus. Andererseits war Clara die Chefredakteurin der UP und die Benz lange genug im Geschäft, um zu wissen, dass sie auch in Zukunft auf ihr Wohlwollen angewiesen war. Ohne Medien mochte sie eine gute Schauspielerin sein, doch gewiss keine Celebrity, der ein Millionenpublikum zu Füßen lag. Schlussendlich bestimmte die Öffentlichkeit ihren Marktwert, und Jackie war clever genug, um sich mit der Journaille zu arrangieren. Auch mit der unbestechlichen Clara Bodenstein.
Kurz bevor der Airbus A320 auf der Landepiste aufsetzte, erhaschte Clara von ihrem Gangplatz aus einen Blick aus dem Fenster. Erfreut stellte sie fest, dass die Sonne auch unterhalb der Wolkengrenze vom mallorquinischen Himmel schien. Nach ziemlich ruppiger Landung bremste der Pilot die Maschine herunter. Einige Passagiere klatschten Beifall, was Clara ein genervtes Augenrollen entlockte, das alsbald in ein zauberhaftes Clara-Bodenstein-Lächeln überging. Jetzt, da sie in Palma gelandet war, freute sie sich so richtig auf die neue Herausforderung. Clara liebte ihren Job bei der UP und hatte im Verlag noch einiges vor, aber ein Buch zu schreiben war die Erfüllung eines lang gehegten Traums. Ihre Autorenkarriere hatte sie zwar erst für einen späteren Zeitpunkt geplant, aber wenn es sich jetzt schon ergab, umso besser. Sie brannte darauf, Jackie Benz’ Biografie zu schreiben. Und Mallorca war allemal eine willkommene Abwechslung. Überhaupt, wo es in diesem Jahr in Berlin einfach nicht warm werden wollte.
Jackies Fahrer erwartete Clara am Flughafen, um sie zum geheimen Filmset zu bringen, wo in den nächsten Wochen der 90-Minüter Straße ohne Schatten gedreht werden sollte. Drei Wochen lang hatte die Crew bereits in der Inselhauptstadt Palma de Mallorca gearbeitet. Ab sofort diente eine Finca als Location, die irgendwo im Hinterland in der Nähe von Pollença vor den südlichen Ausläufern der Serra de Tramuntana lag. Mehr wusste Clara nicht.
Conny Krämer, die übervorsichtige Produktionsleiterin der Filmproduktion hatte befürchtet, dass sie den Drehort in der UP verraten und damit schaulustige Touristen anlocken könnte, was Clara reichlich paranoid fand. Immerhin hatte sie sich vertraglich verpflichtet, ihre Exklusivberichte von den Dreharbeiten erst nach Drehschluss zu veröffentlichen, zudem ausschließlich die Bilder des Set-Fotografen zu verwenden. Schon ein merkwürdiges Völkchen, diese Filmleute, dachte Clara, ohne zu wissen, wie recht sie damit hatte.
Während sie im Fond der Mercedes-Limousine Platz nahm, hievte der untersetzte Fahrer namens Pedro ihren riesigen knallroten Koffer unter wildem, katalanischem Fluchen in den Kofferraum. Wieder einmal hatte Clara viel zu viel eingepackt. Wer wusste schon, was man um diese Jahreszeit bei einem Filmdreh im gebirgigen Norden Mallorcas benötigte? Vier Paar High Heels waren vermutlich ein wenig übertrieben, aber es konnte ja keinesfalls schaden, auch outfitmäßig auf alles vorbereitet zu sein.
Im Wagen zückte Pedro ein blassblaues Baumwolltaschentuch. Schnaufend wischte er sich damit den Schweiß von der Stirn und aus dem wulstigen Nacken und startete den Motor.
20