Claudia Rossbacher

Drehschluss


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sich die Insel noch recht grün, fand Clara, die Mallorca bislang nur im brütend heißen, trockenen Hochsommer kannte. Eine halbe Stunde später fuhr Pedro von der Autobahn ab. Sie passierten die drittgrößte mallorquinische Stadt Inca, die auf riesigen Schildern für ihre Lederwaren warb. Danach fuhren sie durchs malerische Provinzstädtchen Selva, das am Fuße des majestätischen Tramuntana-Gebirges lag. Nach der nächsten Ortschaft Caimari bog Pedro in die Nebenstraße ein. An deren Ende hielt er vor der Hotel-Finca an. Hier waren der Regisseur Sebastian Reimann, der Kameramann Martin Rosen, die Produktionsleiterin Conny Krämer und die wichtigsten Darsteller einquartiert. Und Clara als Jackie Benz’ persönlicher Gast. Der Rest der rund 50-köpfigen deutsch-spanischen Filmcrew verteilte sich auf mehrere kleinere Unterkünfte in der Umgebung, erklärte ihr Pedro in passablem Deutsch. Die ganze Fahrt über hatte er beleidigt geschwiegen. Jetzt, da sich ein junger Spanier mit Claras schwerem Koffer abmühte, plauderte er munter auf sie ein, während er sie zu ihrem Zimmer im Erdgeschoss begleitete. Um 12 Uhr wollte er sie vor der Finca wiedertreffen, damit er sie zum Mittagessen zum Set fahren konnte.

      Clara steckte dem Kofferträger zwei Euro zu, schloss dann die Tür hinter den Männern. Dem Fahrer wollte sie später ein größeres Trinkgeld geben. Irgendwie war ihr der stolze Pedro sympathisch. Sie blickte auf ihre Armbanduhr. Ihr blieb noch eine knappe Stunde, um sich zu duschen und ihren Koffer auszupacken.

      Danach schlüpfte sie in ihre Designerjeans und die weiße Bluse, legte frisches Make-up auf und steckte ihre schulterlange weizenblonde Lockenmähne locker hoch.

      Es war Punkt 12 Uhr, als sie Pedro im Mercedes aus seiner Siesta riss. Die Zehn-Euro-Note, die sie ihm nach vorne reichte, versöhnte ihn augenblicklich. Lächelnd steckte er das Trinkgeld in die Brusttasche seines Hemds und startete erneut den Motor, um zum ominösen Drehort aufzubrechen.

      Wenig später passierten sie das pittoreske Straßendorf Campanet, das um die Mittagszeit völlig ausgestorben war. Jeden Samstag sei hier Wochenmarkt, erklärte ihr Pedro und fuhr weiter durch Pollença in Richtung Gebirge. Der Mercedes folgte nun den engen, holprigen Straßen, die sich im Naturschutzgebiet bergauf und bergab schlängelten, vorbei an kargen Felsen, malerischen Olivenhainen und Pinienwäldchen, ehe er in einen staubigen Weg einbog, der steil nach oben bis zu einem gut versteckten Landgut führte.

      Dort lag sie also. Die geheimnisvolle Location, auf der die mit Abstand kostspieligste TV-Produktion des Jahres gedreht wurde. Der alte Turm der Finca war Clara schon aus einiger Entfernung aufgefallen. Jetzt erst nahm sie das emsige Treiben vor dem steinernen Gebäude wahr. Pedro hielt den Wagen an und wirbelte dabei eine dicke Staubwolke auf, die langsam, aber unaufhaltsam in Richtung Set zog.

      Clara stieg aus dem Wagen.

      »Psst! Wir drehen«, zischte ihr die junge Frau mit den aschblonden Dreadlocks zu, die plötzlich neben dem Mercedes aufgetaucht war. »Leise, bitte«, flehte sie im Flüsterton und hielt die offene Autotür verzweifelt fest.

      »Guten Tag. Ich bin …«

      »Psst!«, wiederholte die junge Frau, ihren Zeigefinger beschwörend an die Lippen legend. Ihr banger Blick folgte der Staubwolke, die dem Set bedrohlich nahe war.

      »Und Schnitt! Großartig, Jackie! Genau die war es! It’s a wrap!«, meinte Reimann beglückt.

      »Check the gate!«, rief der Regieassistent.

      Der Kameraassistent beugte sich über die Kamera und überprüfte das Bildfenster auf etwaige Fusseln, Abrieb oder Haare, die die Aufnahme unbrauchbar gemacht hätten. »Sauber«, antwortete er. Die Szene war im Kasten.

      »Puh, das ist ja grad noch mal gut gegangen«, meinte die Aschblonde erleichtert zu Clara. »Der Reimann hätte mir den Arsch aufgerissen, wenn ihr ihm den Take vermasselt. Ich sollte den Weg schon weiter unten absperren, damit keiner hoch kann, während wir drehen. Aber ich musste dringend Pipi«, erklärte sie in rasantem Sprechtempo, während sie Clara die Hand schüttelte. »Herzlich willkommen!«, fügte sie hinzu.

      »Danke«, erwiderte Clara wenig begeistert und wischte sich die Hand an ihrem Hosenbein ab.

      »Siesta! Mittagspause bis 14 Uhr!«, rief der Regieassistent in die Menge.

      »Du kannst fahren!« Das Rasta-Mädchen wandte sich Pedro zu, der prompt eine neue Staubwolke aufwirbelte, die nun aber niemanden mehr kümmerte.

      »Ich bin Elke. Assistentin der Aufnahmeleitung«, plapperte die Kleine munter weiter auf Clara ein.

      »Ich bin Clara Bodenstein. Chefredakteurin der UP«, stellte sich Clara vor. Dabei stand ihr Name ohnehin fett gedruckt auf der heutigen Dispo. Jeder, der den Zeitplan gelesen hatte, sollte wissen, dass die Journalistin heute am Set erwartet wurde.

      »Wie cool ist das denn? Die UP lese ich jede Woche«, meinte Elke schwer begeistert.

      »Das freut mich. Könnte ich jetzt bitte zu Jackie Benz? Wir sind verabredet.«

      »Ja, klar. Komm mit!« Federnden Schrittes und suchenden Blickes ging Elke voraus. »Lucy! Weißt du, wo Jackie steckt?«, rief sie in das Chaos hinein. Jeder wollte so rasch wie möglich seine sieben Sachen in Sicherheit bringen und zum Catering-Wagen, wo die hungrige Filmmeute abgefüttert wurde.

      »Wahrscheinlich ist sie schon oben in ihrer Suite«, erwiderte die schrille, knallrothaarige Person, die Lucy hieß. In ihrer pinkfarbenen Schürze steckten jede Menge bunte Pinsel und Haarklammern. Naheliegend, dass sie für die Maske zuständig war, dachte Clara. Und schon war Lucy wieder fort, um sich vor dem Wohnmobil, das zur Küche umfunktioniert war, ums Mittagessen anzustellen.

      Clara folgte Elke in den ersten Stock der Finca.

      Vor einer der massiven Holztüren hielt das Rasta-Mädchen an, um anzuklopfen. »Jackie? Bist du da? Clara Bodenstein möchte dich sprechen!«, kiekste sie.

      »Ich komme schon«, hörte Clara die samtige Frauenstimme antworten, die unverkennbar Jackie Benz gehörte.

      »Ich geh dann mal essen. Tschü-üs«, verabschiedete sich Elke und hüpfte eilig die Treppe hinunter.

      »Mahlzeit«, murmelte Clara ihr hinterher. Süß war sie ja, die Kleine, aber doch reichlich überdreht. Als sie sich umdrehte, stand Jackie Benz vor ihr im Türrahmen.

      »Meine Liebe! Wie schön, dass du hier bist«, säuselte sie, als wären sie seit Jahren die allerbesten Freundinnen. Dabei hatten sie sich vor Jackies Abreise nach Mallorca ein einziges Mal in Berlin getroffen, um über ihr gemeinsames Projekt zu sprechen. Jackie kam näher und küsste die Luft neben Claras Wangen, um ihr Make-up nicht zu ruinieren.

      Diese vermeintliche Vertrautheit und die Duzerei von der ersten Sekunde an, die in der Filmbranche üblich waren, fand Clara gewöhnungsbedürftig. »Guten Tag, Frau Benz. Vielen Dank für die Einladung.”

      »Ich bitte dich … Nenn mich Jackie. Schließlich wirst du in den nächsten Wochen meine engste Vertraute sein, nicht wahr, Clara? Komm bitte weiter.« Jackie drehte sich auf dem Absatz ihrer Mules um.

      Clara folgte ihr durch die großzügige Suite, die der Diva als Garderobe und Rückzugsort diente, hinaus auf die Terrasse. Der Panoramablick über das Seitental war schier atemberaubend.

      »Nimm doch bitte Platz! Du bist sicher hungrig nach der Reise.«

      Clara nickte. »Eine Kleinigkeit könnte ich schon vertragen.«

      »Papperlapapp! Ich lasse uns ein anständiges Mittagessen bringen. Hungern kannst du wieder nach dem Drehschlussfest. Du glaubst ja nicht, wie wunderbar hier gekocht wird. Das beste Catering der Welt. Wenn das so weitergeht, platze ich noch aus meinen Kostümen.«

      »Aber wo denn, Jackie? Du bist doch so schlank«, entgegnete Clara und war froh, dass sie sich die Einschränkung »für dein Alter« gerade noch verkniffen hatte.

      »Danke, meine Liebe! Aber ich muss schon sehr aufpassen. Du weißt doch, dass man vor der Kamera mindestens fünf Kilo fetter wirkt, als man tatsächlich ist.« Jackie seufzte und fasste sich mit einer theatralischen Geste an ihr kaum vorhandenes Bäuchlein. »Aber manches Mal muss man einfach sündigen. Heute zum Beispiel. Ich