trommelnde Finger. Fries zuckte mit dem Kopf nach rechts, dann nach links. Ein Überbleibsel aus der Zeit, als sie lange Haare getragen hatte. Die Haarpracht war mittlerweile verschwunden, die Phantombewegung geblieben. »Bilden Sie sich nur nicht zu viel auf sich ein, Humboldt. Natürlich habe ich die Schelbert vorgeschlagen, allerdings hat von Werdenberg abgelehnt.«
Philipp wurde hellhörig. »Was hat meine Kollegin dazu gesagt?«
»Was meinen Sie denn?«, fragte die Rektorin gereizt zurück. »Sie hat sich natürlich teuflisch aufgeregt, dass ›der Krieger‹ den Auftrag bekommen hat.«
»Der Krieger?«
Fries verdrehte die Augen. »Ja, Sie – der Krieger. Professor Humboldt, der immer alles kriegt.«
Philipp lächelte böse in sich hinein. Sein Bauchgefühl hatte ihn also nicht getäuscht. Die Schelbert intrigierte gegen ihn. Er würde sie in Zukunft genauer im Auge behalten.
Fries fuhr fort. »Es geht natürlich nicht um eine profane Firmengeschichte. Es steckt mehr dahinter. Viel mehr.« Die Rektorin machte eine bedeutungsschwangere Kunstpause und drehte sich wieder zu Philipp. »Alexander von Werdenberg will seine Bank verkaufen. Und zwar an die Zürcher Investment Bank, die Sie als ehemaliger CEO bestens kennen. Der Gewinn aus dem Verkauf soll in eine Stiftung fließen, die von seiner Tochter geführt wird. Ich muss Sie nicht darauf hinweisen, dass diese Informationen nicht an die Öffentlichkeit gelangen dürfen. Es wird der Deal des Jahres an der Schweizer Börse. Die Privatbank von Werdenberg wird für immer verschwinden. Alexander von Werdenberg will, dass Sie sein Vermächtnis verfassen und ihm für Fragen zur Verfügung stehen.«
Philipp pfiff leise durch die Zähne. Das war wirklich eine große Sache. Die spektakulärste Übernahme seit Langem auf dem Finanzplatz, dazu von dieser diskreten, ja geheimnisvollen Bank.
Fries blieb die Veränderung in Philipps Körpersprache nicht verborgen und sie setzte nach. »Sie werden einmal unser Starprofessor, Humboldt. Darum will von Werdenberg Sie. Nur Sie und niemand anderen. Das passt wie die Faust aufs Auge. Sie beide sprechen dieselbe Sprache, zwei Experten auf Augenhöhe. Für die Detailarbeit bekommen Sie einen Journalisten oder was immer Sie brauchen.«
»Ich dachte, die Ressourcen der Universität seien knapp bemessen? Woher stammt auf einmal das Budget dafür?«
Fries zeigte ihr breitestes Lachen und die kräftigen weißen Zähne kamen zum Vorschein. Ein Raubtier, das jederzeit zubeißen und seine Beute in tausend Stücke reißen konnte. »Dafür ist gesorgt. Von Werdenberg wird alle Zusatzkosten übernehmen. Und nicht nur das: Wenn wir das Projekt nach seinen Wünschen ausführen, wird er uns – und damit auch Ihr Institut – mit einem großzügigen Legat unterstützen. Wir können die Universität voranbringen und unseren Kollegen von der ETH endlich wieder einmal so richtig vors Schienbein treten.«
Daher wehte also der Wind.
Es war der Rektorin ernst. Todernst. Philipp rutschte auf seinem Stuhl hin und her, fand aber keine passende Position. Das Knirschen des Leders, sonst ein Zeichen von Gemütlichkeit, war nun laut und unangenehm. Der angesprochene Deal war interessant, keine Frage. Andererseits war eine prominente Rückkehr in die Bankenwelt genau das, was Philipp unbedingt vermeiden wollte. Keine Steine umdrehen, die Vergangenheit ruhen lassen, und die Toten …
»Wenn es nur ums Geld geht, bezahle ich den Unterhalt meines Institutes aus eigener Tasche.« Philipp hoffte, dass er so von der Aufgabe verschont bliebe. Vergeblich.
»Professor Humboldt. Wir sprechen hier von Zahlen, die sogar Ihr Konto sprengen würden. Es dreht sich hier nicht um einige 10.000 Franken.« Fries kostete den Moment aus und machte sich keine Mühe, ihre Genugtuung zu verbergen.
»Sechsstellig?«
Die Rektorin schüttelte genüsslich den Kopf.
»Siebenstellig?«
Fries blickte zur Decke und ihre Daumen zeigten nach oben. Sie wippte dabei mit den Unterarmen, als würde sie einen Düsenjet auf die richtige Position lotsen. »Achtstellig, Humboldt. Und die erste Zahl ist keine Eins, so viel kann ich Ihnen sagen.«
Jetzt verstand Philipp die Anspannung der Rektorin. Alexander von Werdenberg gehörte zu den reichsten Einwohnern der Schweiz, wobei ein großer Teil seines Vermögens in der Bank steckte. Der Bankier schaffte es in der jährlichen Rangliste der Bilanz jeweils ganz nach oben. Lediglich einige Oligarchen und alteingesessene Industrielle hatten noch mehr auf der hohen Kante.
Aus der strengen Rektorin war nun eine begnadete Verkäuferin geworden und sie wickelte Philipp mit Zuckerwatte ein. »Wir könnten zusammen Ihr Institut auf Vordermann bringen, es mit allen nötigen Ressourcen ausstatten. In den nächsten zehn Jahren würde so der Nukleus der Schweizer Bankforschung hier in Zürich entstehen. Mit Ihnen an der Spitze, Humboldt. Und die Beförderung zum ordentlichen Professor wäre sowieso selbstverständlich – bereits im nächsten Jahr. Ich mag Sie, Philipp. Sie haben eine große akademische Karriere vor sich.«
Philipp war hin- und hergerissen. Was konnte denn schon passieren? Schließlich würde er in von Werdenbergs Vergangenheit stöbern – und nicht umgekehrt. Und über die alten Geschichten musste in der Zwischenzeit nicht nur Gras, sondern längst ein veritabler Wald gewachsen sein. Das Angebot war verlockend. Mit dem Legat könnte er sein eigenes Institut aufbauen. Hatte er das nicht immer gewollt, etwas Sinnvolles leisten, etwas Bleibendes hinterlassen, worauf er dereinst stolz zurückblicken konnte? Dennoch erbat sich Philipp eine kurze Bedenkzeit. Das Projekt höre sich zwar sehr attraktiv an, er müsse aber noch Rücksprache mit seiner Frau halten, da sie schließlich beide für die Erziehung der Kinder verantwortlich seien und mit der Annahme des Projektes ohne Zweifel Arbeitsstunden über das normales Pensum hinaus entstünden.
Die Rektorin gab sich vordergründig verständnisvoll. »Abgemacht. Ich respektiere Ihre Bedenkzeit und werde Herrn von Werdenberg informieren, dass Sie sich morgen für ein erstes Treffen an sein Büro wenden. Die Kontaktnummer werden wir Ihnen zukommen lassen. Jetzt sollten Sie sich aber beeilen, in wenigen Minuten beginnt Ihre Vorlesung.«
Nach einem Blick auf die Uhr blieb Philipp keine Zeit mehr, auf den geschickten Schachzug der Rektorin zu reagieren. Er griff nach seinen Unterlagen und eilte davon.
War er gerade über den Tisch gezogen worden?
Der Vorlesungsraum war zum Bersten voll. Das ganze Ausmaß wurde ersichtlich, als sich Philipp zum Rednerpult durchgekämpft hatte. Der Raum war maßlos überfüllt, vollgestopft wie ein Pendlerzug in Mumbai. Am Eingang hatte sich bereits ein längerer Rückstau gebildet. Die Scheiben waren von innen angelaufen und die Luft war feucht wie in einer Waschküche. Der Sauerstoffpegel lag deutlich unter dem Lärmpegel. Philipp konnte sich ein Schmunzeln nicht verkneifen – die Menschenansammlung war seine Rettung. Unter solchen Umständen war an eine reguläre Durchführung der Vorlesung gar nicht zu denken. Er breitete die Arme aus, wie Jesus bei der Bergpredigt. »Guten Morgen. Ich muss Sie leider enttäuschen. Die Autogrammstunde von George Clooney wurde abgesagt. Hier wird nun stattdessen die Vorlesung ›Geschichte der Schweizer Banken seit 1945‹ abgehalten.«
Schallendes Gelächter.
»Nun gut. Ein Versuch war es wert. Aber ich möchte Sie dennoch warnen. Grundlage meiner Vorlesung ist dieses Buch.« Philipp hob seine soeben veröffentlichte Forschungsarbeit in die Höhe. »500 Seiten. Trocken wie ein alter Zwieback.« Er legte den Schmöker vor sich auf das Pult und fuhr fort. »Ich freue mich natürlich außerordentlich über das rege Interesse an meiner Forschung. Mit diesen prekären Platzverhältnissen können wir heute allerdings keine reguläre Vorlesung abhalten. Ich werde versuchen, bis nächste Woche einen größeren Raum zu organisieren. Lesen Sie bis dahin die ersten beiden Kapitel meines Buches. Sie können es kostenlos auf der Webseite meines Instituts herunterladen.«
Anerkennendes Klopfen. Philipp klemmte sich seine Sachen unter den Arm und blickte dann nochmals ins Plenum. »Die zwei Kapitel beleuchten die Entstehung des Finanzplatzes. Ich lege in meinen Vorlesungen und Seminaren großen Wert auf ein profundes Verständnis der historischen Zusammenhänge. Man lebt das Leben zwar vorwärts, aber verstehen kann man es nur rückwärts. Ich wünsche allen einen guten