Rudi Kost

Dillinger tritt ab


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hätte man wenigstens hier, entlang der Felder, die in winterlicher Ruhe dösten, einen Blick auf den Nachthimmel werfen können. Aber nichts da, die Beleuchtung neben dem Fußweg unterband das erbarmungslos.

      Na ja, egal, war sowieso nichts mit dem sternefunkelnden Himmel, es hatte leicht zu schneien begonnen.

      Eine seltsame Geschichte.

      Eine seltsame Frau.

      Sie hatte Geld investiert in eine Firma, um die sie sich nicht kümmerte. Das zeugte von Gottvertrauen, himmelschreiender Verliebtheit oder gnadenloser Dummheit. Vielleicht alles zusammen. Vielleicht ein Potemkin’sches Dorf, um mich – was? Zu verwirren? Auf eine falsche Spur zu lenken?

      Es war noch keine drei Wochen her, dass ihr Mann tödlich abgestürzt war. Was hatte sie zu ihrer Ehe gesagt? Soweit okay.

      Ein dehnbarer Begriff offenbar. Sie machte nicht den Eindruck einer trauernden Witwe. Sie hätte mich ohne Zögern ins Bett gezogen, wenn ich nur gewollt hätte. Und ehrlich gesagt, es hatte mich ziemlich viel Selbstdisziplin gekostet, es nicht zu wollen. Oder vielmehr, es abzulehnen. Die alten Reflexe. Dillinger, der keiner schönen Frau widerstehen kann. Hatte sie das gewusst? Darauf spekuliert?

      An der Bausparkasse vorbei ging ich weiter die Crailsheimer Straße hinab. Ich war der Einzige, der zu Fuß unterwegs war, nur ab und zu rauschte ein Auto an mir vorbei.

      Ich passierte das Langenfelder Tor, einen Torturm der ehemaligen Stadtbefestigung, und kam an der Kirche Sankt Michael vorbei zum Markplatz.

      Ein Duft von Glühwein und schlechtem Fett hing noch über den Buden des Weihnachtsmarktes, dem man jetzt, da der Schneefall stärker wurde, eine gewisse Romantik nicht absprechen konnte. Der weiße Flaum auf den Dächern der Holzhütten und der imposanten alten Häuser, die den Marktplatz umgaben, dahinter die Kirche Sankt Michael mit der mächtigen Treppe, auf der sommers die Schauspieler der Freilichtspiele herumturnten – ja, doch, das hatte was. Ich konnte mich glücklich schätzen, hier leben zu dürfen.

      Ich stand einfach nur da, streckte mein Gesicht gen Himmel, ließ mich von den Schneeflocken streicheln und drehte mich langsam um mich selbst.

      Eine eigenartige Stimmung lag über dem Marktplatz. Der Schnee dämpfte die wenigen Geräusche, die zu dieser nachtschlafenden Zeit noch zu hören waren. Die Welt war unwirklich geworden. Ein eigenartig fluoreszierendes Licht machte sich breit, und zwischen den Schneeflocken, die dicht an dicht auf mich herabfielen, meinte ich, eine seltsame Gestalt wahrzunehmen. Das Gespenst, das mich im Freilichtmuseum gefoppt hatte?

      Quatsch. Zu viel Wein. Zu viel Ungeklärtes.

      Diese Frau benutzte mich, das stand für mich außer Zweifel. Nur war noch nicht klar, wozu.

      Wenn ich mich selbstkritisch betrachtete, und dazu neigte ich nach meinem kleinen Unfall in Wackershofen gelegentlich, dann waren rätselhafte Frauen schon immer mein Unglück gewesen. Schnell verliebt, schnell enttäuscht.

      In der Gelbinger Gasse, in der sich mein Haus befand, lag der Schnee noch jungfräulich, ich war der Erste, der ihn entweihte. Wenn ich hinter mich sah, erblickte ich meine Fußspuren. Kerzengerade war etwas anderes. Morgen früh würde jeder sehen können, dass Dillinger wieder mal reichlich angeheitert nach Hause gegangen war.

      Da war einiges faul, so viel stand fest. Wenn es ihre Absicht gewesen war, mich noch neugierig zu machen, dann hatte sie das mühelos geschafft. Na ja, nicht ganz mühelos. Sie hatte in ein wunderbares Abendessen investiert, für das sie den ganzen Tag in der Küche gestanden haben musste.

      Ich hatte noch viele Fragen. An sie. An mich selbst.

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