»Einem Schuss Sahne«, half ihm da Thomas Korber auf die Sprünge und heimste dafür einen giftigen Blick von seinem Freund Leopold ein. »Ein paar Tropfen ergeben die schöne braune Färbung einer Mönchskutte, daher der Name. Sie kennen ihn wahrscheinlich unter der Bezeichnung Cappuccino.«
»Also doch Sahne«, murmelte der Gast. »Nee, so was kann ich nicht brauchen«, wehrte er ab. »Bin schon längere Zeit aus der Kirche ausgetreten. Dann nehme ich eben das Kännchen.«
»Kännchen gibt’s bei uns nicht«, machte Leopold ihn aufmerksam.
»Also dann meinetwegen diesen Filterkaffe. Mit Milch und Zucker. Mensch, seien Sie doch nicht so stur!«
»Warum bist du denn wirklich so komisch?«, wollte Korber wissen, als sich Leopold anschickte, die Filtermaschine anzuwerfen.
»Wenn einer schon mit ›Hallo‹ bei der Tür hereinkommt, ist das eine denkbar schlechte Basis für eine geschäftliche Beziehung«, raunte Leopold ihm kopfschüttelnd zu. »Außerdem hat er es nicht ein einziges Mal der Mühe wert gefunden, ›Häferl‹ zu sagen!«
Nachdem der Deutsche seinen Kaffee bekommen hatte, trank er ihn langsam und mit Genuss. Dabei schaute er sich interessiert im Lokal um, an dem er offensichtlich Gefallen fand. Das eine oder andere Mal hüstelte er auffällig und rümpfte die Nase. Schließlich rief er Leopold zum Zahlen herbei und gab ihm sogar einen Euro Trinkgeld.
»Verbindlichsten Dank, der Herr«, bemühte sich Leopold trotz seines inneren Widerstandes um Höflichkeit. »Und baldige Besserung!«
»Ist gar nichts, bin kerngesund«, winkte der Gast ab. »Das macht nur die Luft herinnen. Wirkt ziemlich verraucht. Dabei habt ihr in eurem schönen Land doch jetzt auch endlich ein Rauchverbot, oder täusche ich mich?«
In eurem schönen Land. Wieder so ein Satz, der Leopolds Nervenkostüm strapazierte. Gott sei Dank würde der Mann aus dem Nachbarland in wenigen Augenblicken aus seinem Leben verschwunden sein. »Vor dem Verbot ist aber geraucht worden«, ließ er ihn wissen. »Ziemlich viel und stark, wie es sich gehört hat. Der Rauch hängt noch herinnen. So etwas hat eine Halbwertszeit von etlichen Jahren. Sie sind der erste Gast, den das stört. Wenn jemand frische Luft haben möchte, geht er ohnehin nicht ins Kaffeehaus.«
»Ihr Wiener seid schon ein komisches Völkchen«, lachte der deutsche Gast da auf. »Daran werde ich mich gewöhnen müssen. Sonst ist es hier ja sehr gemütlich. Also tschüss und bis zum nächsten Mal!«
Leopold hatte sich offenbar zu früh gefreut. Allem Anschein nach war dieser Mann gekommen, um zu bleiben.
*
»Ich weiß nicht, was du hast«, kritisierte Thomas Korber seinen Freund, während er bedächtig weiter an seinem Bier trank. »Es ist doch heutzutage ganz normal, dass in ein Kaffeehaus Gäste aus einem anderen Land kommen, selbst in unserem Floridsdorf nördlich der Donau. Und bei einem Deutschen gibt es wenigstens keine Verständigungsschwierigkeiten.«
»Grad da«, widersprach Leopold. »Du hast es ja selbst gehört! Kännchen! Dass ich nicht lache!«
»Sei nicht so pitzelig. Das war ein bisschen Schattenboxen, nichts weiter. Jeder von euch hat genau gewusst, was der andere meint.«
»Da bin ich mir nicht so sicher!«
»Die Deutschen bilden jedenfalls die größte Migrantengruppe in Österreich«, stellte Korber fest. »Eigentlich ist es seltsam, dass sie im Heller bisher kaum zu sehen waren. Sie müssten hier öfter auftauchen.«
»Gott bewahre«, verzog Leopold gleich das Gesicht. »Die sollen bei ihresgleichen bleiben. Für solche Touristen gibt’s genügend Lokale im innerstädtischen Bereich. Die brauchen nicht extra zu uns zu kommen!«
»Die leben hier, Leopold! Wie du und ich«, bemerkte Korber amüsiert.
»In Floridsdorf?«, wunderte Leopold sich.
»Selbstverständlich! Du wirst das akzeptieren müssen. Europa wächst zusammen«, belehrte Korber ihn. »Aber auch bei den Touristen ist es nicht mehr selbstverständlich, dass sie ihre Aktivitäten auf die Innenstadt, den Prater und Schönbrunn beschränken. Die Stadt Wien überlegt im Gegenteil, wie sie des wachsenden Besucherandrangs Herr wird, indem sie die Massen sinnvoll auf das gesamte Stadtgebiet verteilt.«
»Verteilt? So wie Flüchtlinge?«, fragte Leopold skeptisch.
Korber schüttelte den Kopf. »Nein, hier geht es um Anreize«, fuhr er fort. »Die Beliebtheit Wiens als Reiseziel führt dazu, dass immer mehr Menschen kommen, um sich unsere schöne Stadt anzuschauen. Dadurch staut es sich an den neuralgischen Punkten bereits derart, dass Gegenmaßnahmen erforderlich sind. Und eine Möglichkeit wäre, die Touristen zu neuen Plätzen zu locken, die genauso schön, aber noch nicht so bekannt sind.«
»Den Leuten an diesen Plätzen ist es sicher lieber, wenn die Touristen dort aufeinander picken, wo sie unter sich sind, und sie in Ruhe lassen«, gab Leopold zu bedenken.
»Wie auch immer du darüber denkst, ein großer Flächenbezirk wie Floridsdorf mit über 100.000 Einwohnern wird sich hier nicht ausschließen können und wollen«, machte Korber ihn aufmerksam.
»Man hätte doch nicht so viele Brücken über die Donau bauen sollen«, ätzte Leopold. »Andererseits: Was soll sich ein Urlauber, der von was weiß ich wo herkommt, bei uns schon anschauen? Den Wasserpark? Die Donaufelder Kirche?«
»Es gibt bereits Überlegungen den Bisamberg betreffend«, eröffnete Korber seinem Freund. »Die Lage dort ist ideal: die Natur, der herrliche Blick auf Wien, die gemütlichen Heurigen in Stammersdorf und Hagenbrunn. Es fehlt nur noch ein knalliger Aufhänger, um die Leute in Scharen anzulocken.«
»Und was soll das sein?«, wollte Leopold wissen.
»Die Sache klingt interessant, ruft aber genügend Gegner auf den Plan«, antwortete Korber. »Joseph von Eichendorff, einer der berühmtesten Vertreter der deutschen Romantik, ist während seiner Studienzeit in Wien oft am Bisamberg und um ihn herum spazieren gegangen. Er hat eine besondere Affinität zu diesem Ort entwickelt. In Erinnerung daran wurde im Jahr 1957 auf der sogenannten Eichendorff-Höhe ein Denkmal des Dichters errichtet.«
»Die Donau blitzt aus tiefem Grund. Der Stephansdom auch von ganz fern guckt übern Berg und säh mich gern«, deklamierte Leopold. »So steht’s auf dem Stein. Erika und ich sind erst unlängst bei einem Spaziergang dort vorbeigekommen. Hat er nett gedichtet, der Herr von Eichendorff. Aber wie soll dieses schlichte Denkmal, das eher unscheinbar am Wegesrand steht, Touristen anziehen? Da ist doch nichts Knalliges dran.«
»Wenn du mir nicht dreingeredet hättest, wüsstest du’s schon«, ärgerte sich Korber und bedeutete Leopold gleichzeitig, dass er eine erneute Füllung seines Bierglases wünschte.
»Kommt’s mir nur so vor, oder trinkst du wieder mehr?«, fragte Leopold.
»Kann dir egal sein«, entgegnete Korber schnippisch. »Darf ich fortfahren? Das Denkmal wird zu einem entsprechenden Blickfang ausgebaut. Es soll zum Ausgangspunkt für ein touristisches Projekt werden. Man bedient sich der allgemeinen Ansicht, dass Teile von Eichendorffs berühmter Novelle Aus dem Leben eines Taugenichts hier angesiedelt sind. Der Bisamberg wird somit als Landschaft der Romantik präsentiert, und der Name Eichendorff soll vor allem deine deutschen Freunde anlocken.«
»Und du glaubst, die kommen dann alle?« Mit diesen Worten stellte Leopold ein frisch gezapftes Krügel vor Korber hin.
»Dafür muss zwar noch einiges geschehen, aber es gibt bereits intensive Beratungen zwischen Wien und den niederösterreichischen Gemeinden rund um den Bisamberg«, schilderte Korber. »Ich weiß es von einer Kollegin, die in Hagenbrunn wohnt. Der große Spielplatz unterhalb der Eichendorff-Höhe soll zu einem Erlebnisbereich umgestaltet werden. Da wird man wohl auch gastronomisch ein Schäuferl drauflegen. Von einem Eichendorff-Romantik-Feriendorf oberhalb der Stammersdorfer Kellergasse ist ebenfalls die Rede.«
Leopold kratzte sich am Kopf. »Das klingt bedrohlich«, stellte er fest. »Hat man den Bisamberg nicht zum