Hermann Bauer

Rachemokka


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dass, wenn überhaupt, nur ganz geringfügig in die Landschaft eingegriffen wird. Die große Wiese, die zum Festgelände werden soll, gibt’s ja bereits, auch Parkmöglichkeiten in der näheren Umgebung. Man wird die Senderstraße verbreitern und noch einen zentralen Parkplatz schaffen. Angeblich muss dabei kein einziger Baum dran glauben. Und das Feriendorf entsteht sowieso außerhalb der sensiblen Zone. Also wird es gemacht, weil es für alle ein Riesengeschäft ist.«

      »Dann wird’s da oben laut und ungemütlich«, dämmerte es Leopold. »Und man kann wegen des Lärms und der vielen Leute nicht mehr in Ruhe spazieren gehen. Ich befürchte das Schlimmste! Überall trifft man nur mehr auf Piefke, Schlitzaugen, Katzelmacher …«

      »Schön sprechen, Leopold«, wurde er da unsanft von Frau Heller unterbrochen, die durch ihre kleine Küche das Lokal betreten und den letzten Teil der Unterhaltung mitverfolgt hatte. »Das ist ja furchtbar, was Sie da von sich geben! Da verschlägt es sogar einer gestandenen Floridsdorferin wie mir die Sprache. Ihre Phobie gegenüber allem, was nicht unserem Bezirk entstammt, nimmt beängstigende Formen an. Ich bitte mir ein bisschen mehr Unvoreingenommenheit aus!«

      »Aber Frau Sidonie«, bemühte sich der überraschte Leopold um Schadensbegrenzung, »es geht mir um unsere schöne Natur am Bisamberg und den Umweltschutz im Allgemeinen. Das ist heutzutage ein wichtiges Thema! Da habe ich nicht umhin können, auf die Gefahren hinzuweisen, die durch einen überzogenen Tourismus entstehen können.«

      »Sie haben das auf eine sehr unflätige Art getan. Das müssen Sie sich schleunigst abgewöhnen!«

      »Dann gewöhn ich mir’s halt ab«, bemerkte Leopold leichthin. »Eigentlich spielt sich alles ohnehin dort oben ab und kann uns egal sein.«

      »Es kann uns nicht egal sein«, beeilte Frau Heller sich zu sagen. »Wenn es tatsächlich, wie ich hoffe, zu den geplanten Maßnahmen am Bisamberg kommt, bedeutet das auch für das Zentrum Floridsdorfs ein gesteigertes Interesse aus aller Welt. Schließlich kommen die Leute auf ihrem Weg dorthin direkt bei uns vorbei. Wir müssen nur darauf achten, dass sie uns nicht links liegen lassen. Ich werde die neue Situation demnächst mit anderen Geschäftsleuten des Bezirkes diskutieren, damit wir die geeigneten Akzente setzen. Da ist übrigens auch Ihre Freundin Erika dabei.«

      Erika Haller hatte vor Kurzem den Standort ihrer Papeterie im neunten Bezirk aufgegeben und war in ein Floridsdorfer Geschäftslokal in der Nähe des Bahnhofs und des Café Heller gezogen. »So habe ich mir das vorgestellt«, stöhnte Leopold. »Wenn sie diese Invasion unterstützt, sehe ich schöne Zeiten auf unsere Beziehung zukommen.«

      »Stellen Sie sich nicht so an«, munterte ihn Frau Heller auf. »Es ist höchste Zeit, dass Floridsdorf aus seinem Dornröschenschlaf erwacht. Endlich tut sich etwas, das dem Bezirk jene Bedeutung verleiht, die er auch verdient. Auch wir werden uns ein wenig herausputzen müssen. Unser Schanigarten wird in neuem Glanz erstrahlen. Außerdem schwebt mir ein neues Schild über dem Eingang vor: ›Café Heller – Das romantische Wiener Traditionscafé mit dem internationalen Flair‹. Na, wie klingt das?«

      »Furchtbar«, war das Einzige, was Leopold dazu einfiel. »Was ist an unserem Kaffeehaus denn romantisch?«

      »Fragen Sie nicht, passen Sie lieber auf, dass Ihnen in nächster Zeit keine fremdenfeindlichen Äußerungen mehr herausrutschen«, nahm ihn Frau Heller ins Gebet. »Wer zahlt, schafft an! Der Kunde ist König, egal, woher er kommt! Merken Sie sich das!«

      »Ich bin immer höflich, wenn der Gast einigermaßen in der Lage ist zu sagen, was er will«, merkte Leopold an.

      »Dann haben wir uns ja verstanden. Ich möchte in dieser Hinsicht in nächster Zeit keine Beschwerden hören, sonst lernen Sie mich von einer anderen Seite kennen.« Mit diesen mahnenden Worten verschwand Frau Heller wieder durch die kleine Küche.

      »Das klingt überhaupt nicht gut«, maulte Leopold in Richtung Korber. »Du kennst ja unsere Chefin, wenn sie sich für eine Idee begeistert. Ich fürchte, wir werden demnächst von lauter Fremden überrannt. Ich rechne mit dem Schlimmsten!«

      »Du darfst das nicht so dramatisch sehen«, versuchte Korber, ihn zu beruhigen. »Dir fehlt eine gewisse Weltoffenheit. Das kommt daher, dass du nirgendwo hinfährst. Würdest du etwa einmal nach Deutschland reisen, könntest du feststellen, wie freundlich die Menschen dort sind.«

      »Ich war noch nie in Deutschland und ich werde dort auch nie hinfahren, das kann ich dir jetzt schon versprechen«, brummte Leopold.

      »Ich habe zwei Semester in Heidelberg studiert«, geriet Korber ins Schwärmen. »Es waren einige der schönsten Monate meines Lebens.«

      »Und warum bist du dann nicht dortgeblieben?«

      »Wenn es einem wo gefällt, heißt das noch lange nicht, dass man niemals mehr von dort zurückmöchte«, beeilte Korber sich zu sagen. »Im Gegenteil, zu Hause ist es ja dann auch wieder schön. Aber man hat eine Abwechslung gehabt und neue Menschen kennengelernt. So etwas kannst du nicht verstehen.«

      Leopold murrte nur etwas Unverständliches. Danach war es eine Zeit lang still zwischen den beiden. Korber widmete sich seinem Bier und Leopold seiner Arbeit. Schließlich fragte Leopold seinen Freund doch noch: »Findest du das, was für den Bisamberg geplant ist, wirklich in Ordnung?«

      »Man muss abwarten, was letzten Endes herauskommt«, gab sich Korber bedeckt. »Aber eines ist klar: Es wird, fürchte ich, diesbezüglich in naher Zukunft einiges an Unruhe geben. Es gefällt nicht jedem, dass es Veränderungen an diesem schönen Fleckchen Erde geben soll.«

      »Einer, dem das sicher nicht gefällt, wird, wenn ich mich nicht sehr täusche, heute noch im Kaffeehaus vorbeischauen«, kündigte Leopold an. »Da bin ich schon sehr gespannt darauf, was er sagt.«

      *

      Thomas Korber hatte sich auf einen Platz beim Fenster zurückgezogen, um kurz vor Notenschluss noch ein paar Deutschhefte durchzusehen. Er hatte bei Leopold ein weiteres Krügel Bier bestellt. In letzter Zeit verspürte er wieder mehr Verlangen nach Alkohol. Es schmerzte ihn, dass Leopolds uneheliche Tochter Sabine Patzak nicht mehr bei ihm wohnte.

      Korber und Sabine waren einander ohne Leopolds Wissen nähergekommen. Als die Burgenländerin ein Studium in Wien beginnen wollte, hatte Korber ihr deshalb eine Wohngemeinschaft mit ihm angeboten, bis sie eine eigene Bleibe hatte. Das Zusammenleben hatte gut funktioniert. Obwohl ihm Sabine klargemacht hatte, dass es sich dabei um ein Arrangement auf Zeit handelte, hatte Korber bis zum Schluss gehofft, dass sich daraus etwas Dauerhaftes entwickeln würde. Deshalb war nun die Enttäuschung groß, weil sie, wie angekündigt, ausgezogen war.

      Er suchte die Schuld bei sich, fragte sich, welche Fehler er gemacht hatte. Er grübelte, ob er, jenseits der 40, zu alt für die Beziehung mit einer 22-Jährigen war. Aber so sehr er auch nachdachte, es nützte nichts. Derzeit waren ihm die Hände gebunden. Das Semester neigte sich, ebenso wie das Schuljahr, dem Ende zu. Sabine würde zu ihrer Mutter nach Halbturn fahren und dort den Großteil des Sommers verbringen. Zwischendurch würde sie sicher noch die eine oder andere Reise unternehmen. Es würde Wochen, vielleicht Monate dauern, bis er sie wieder zu Gesicht bekam. Ob er dann wieder den geeigneten Draht zu ihr finden würde, stand in den Sternen.

      Korber trank während des Verbesserns schneller. Wie es aussah, würde er sich in der nächsten Zeit und in den Sommerferien treiben lassen, und das war gefährlich. Nicht erst einmal hatte ihn das Trinken in unliebsame Situationen gebracht. Zunächst jedoch dachte er nicht darüber nach und übte sich in Selbstmitleid.

      Seine Arbeit erforderte keine allzu große Konzentration. Deshalb blickte Korber ab und zu auf und schaute, wer zur Tür hereinkam. Gerade bemerkte er eine Frau seines Alters, die ihr dunkelblondes schulterlanges Haar aus der Stirn streifte und einen hilfesuchenden Eindruck machte. Er vermeinte, ihr Gesicht bereits einmal irgendwo gesehen zu haben. Aber wo? Daran konnte er sich nicht erinnern. Sie kam ihm jedenfalls bekannt vor. Da rief sie schon: »Thomas? Was machst du denn hier?«

      Jetzt dämmerte ihm, wen er vor sich hatte. »Marion! Was für eine Überraschung«, grüßte er sie. »Eigentlich sollte ich dich fragen, was du hier tust. Wien ist meine Heimat, und du kommst immerhin aus Deutschland.