übermorgen auch dabei, Erika?«
»Wobei?«, erkundigte sich Erika gut gelaunt. Der Alkohol hatte sie rasch in Stimmung gebracht.
»Bei unserer Versammlung«, erklärte Frau Heller. »Wir besprechen, wie wir als Unternehmer das Maximum aus der sich anbahnenden Entwicklung herausholen können. Ich habe dazu eingeladen. Das Ganze findet am Donnerstagabend in aller Ruhe statt. Wir sind sozusagen unter uns.«
Leopold spitzte seine Ohren. »Was, hier im Kaffeehaus?«, rutschte es ihm heraus.
»Natürlich«, beeilte Frau Heller sich zu sagen. »Wo denn, glauben Sie? Auf der Straße? Die überlassen wir den Demonstranten. Es soll ja auch Menschen geben, die gegen das Projekt sind. Die sollen dort von mir aus einen Wirbel machen. Wir hingegen werden uns hier gemütlich zusammensetzen und konstruktiv Ideen sammeln, wie wir diese einmalige Chance nutzen können. Ich denke, dass dieses Treffen auf reges Interesse stoßen wird.«
»Hoffentlich geht sich das aus«, gab Leopold zu bedenken. »Es gibt für übermorgen bereits eine Reservierung für zehn Personen bei den Kartentischen. Die möchten auch ungestört sein.«
»In meinem eigenen Haus werde ich hoffentlich noch tun und lassen können, was ich will, ohne auf andere Rücksicht zu nehmen«, reagierte Frau Heller unwirsch. »Wenn es jemandem nicht passt, soll er woanders hingehen. Wer hat denn reserviert?«
»Unser Thomas Korber«, informierte Leopold seine Chefin.
»Korber? Komisch! Der kommt doch sonst immer allein«, grummelte Frau Heller.
»Den Thomas dürfen wir nicht vergrämen«, meldete sich Erika Haller zu Wort. »Er steht mir jetzt ständig mit seinen guten Ratschlägen zur Seite.«
»Das wird überhaupt kein Problem«, lenkte Frau Heller beschwichtigend ein. »Es ist genug Platz da, um uns ein wenig auseinander zu setzen. Herr Korber kommt mit seiner Gruppe in die Ecke hinter den Billardtischen, wir nehmen schräg gegenüber Platz. So hat jeder ein bisschen Luft, und auf den Tischen dazwischen kann man sogar noch Karten spielen. Den vorderen Teil überlassen wir den anderen Gästen. Mein Heinrich wird Sie mit vollen Kräften unterstützen, und alles ist in bester Ordnung!«
Leopold glaubte nicht so recht daran. Er sah schwere Zeiten auf sich zukommen. Zwei Gesellschaften, und als Hilfe nur der Chef höchstpersönlich, der die Anstrengung mied wie der Teufel das Weihwasser. Zudem saßen auf der einen Seite Erika und Frau Heller, auf der anderen sein Freund Thomas, von dem er noch dazu gar nicht wusste, mit welcher Gruppe er plötzlich angetanzt kommen würde. Bei seiner derzeitigen Stimmungslage war alles möglich. Also beschloss Leopold, nicht viel nachzudenken und diesen Abend einfach auf sich zukommen zu lassen.
*
Nach ihrem Glas Prosecco hatte Erika noch ein zweites getrunken und war dann in blendender Stimmung nach Hause gegangen. Draußen regnete es mittlerweile intensiv und anhaltend. Das Heller leerte sich rasch, was eine zeitige Sperrstunde vermuten ließ. Es war nicht anzunehmen, dass jetzt noch jemand bei der Tür hereinschneien würde. Leopold begann mit dem Abkassieren. Aber wie so oft, wenn man nicht damit rechnete, kam noch ein später Gast daher.
»Othmar! Welche Überraschung«, rief Leopold aus.
Ein großer, durchtrainierter Mann mit Dreitagesbart, Regenjacke und Filzhut stellte sich an die Theke. »Es ist zum Heulen! Nichts lässt sich anfangen bei dem Sauwetter«, klagte er. »Aber irgendwo muss der Mensch ja hin! Hast du für mich noch ein Bier auf die Schnelle?«
Leopold nickte. Mit einem Besucher wie Othmar Demmer blieb er gern noch ein wenig stehen, um über dieses oder jenes zu plaudern. Wobei man mit Othmar nur über ein Thema reden konnte: die erotisierende Wirkung der Natur auf Mann und Frau. Wollte man ihm glauben, so funktionierten seine Verführungskünste im Freien am besten. Böse Zungen behaupteten, dass er in einem geschlossenen Raum nichts zusammenbrachte. Er brauchte den Himmel über sich und einen angenehmen lauen Wind, der seine Lenden streichelte. Dann konnte ihn keiner bremsen. Bei einer solch regnerischen Witterung aber waren seine Libido und damit auch seine Laune beim Teufel.
Demmer steckte seine Lippen beim ersten Schluck andächtig in den Bierschaum. »Der Sommer beginnt schlecht«, sinnierte er. »Kühl und feucht. Wie soll ich da in Form kommen?«
»Vielleicht beschränkst du dich vorläufig auf das herkömmliche Umfeld: ein Bett in einem Zimmer«, schlug Leopold vor.
»Unmöglich«, wehrte Demmer gleich ab und umarmte dabei sein Bierglas wie einen zarten Frauenkörper. »Wo bleibt da die Sinnlichkeit? Freie Liebe, freie Natur. Glaube mir, ich könnte mir überall eine Frau aufreißen, sogar in eurem Kaffeehaus, und sie dann in meine Wohnung abschleppen. Aber ein wirklicher Hochgenuss ist es nur, in weinseliger Stimmung bei einem Heurigen in der Stammersdorfer Kellergasse eine Frau kennenzulernen, mit ihr ein Glas Wein zu trinken und sie dann bei einem abendlichen Spaziergang am Bisamberg zu verführen. Gerade hat man noch den Sonnenuntergang bewundert, jetzt geht man fest aneinandergedrückt durch die einbrechende Dunkelheit auf den Wald zu. Du spürst die Unsicherheit deiner charmanten Begleiterin, wohin sie ihre Schritte setzen soll, und gleichzeitig ihr Bedürfnis nach Zweisamkeit. Du tust so, als ob alles Schicksal oder Zufall wäre, während du genau auf den Platz zusteuerst, den du für den prickelnden Abschluss des Abends auserkoren hast. Und rein zufällig hast du in einer umweltfreundlichen Tasche über der Schulter eine Decke mit, die du sonst immer unterlegst, wenn du des Nachts von einem Bankerl zur Donau hinunterschaust – sagst du ihr zumindest …«
Leopold hatte amüsiert zugehört. »Und dass in der Nacht alle Katzen grau sind, stört dich dabei gar nicht?«, wollte er wissen.
»Was bist du nur für ein fantasieloser Mensch«, rügte Othmar Demmer ihn. »Wichtig sind nicht die Details der weiblichen Rundungen, obwohl die natürlich auch sehr schön sind. Aber an so etwas sieht man sich heutzutage im Internet satt. Wichtig ist der ehrfürchtige Schauer, der einen inmitten der Natur ergreift und die urtümlichen Triebe in dir auslöst. Du fühlst dich frei und bereit zu genießen, was früher nur der Fortpflanzung diente.«
»Redest du aber heute geschwollenes Zeug daher, Othmar«, befand Leopold.
»Es hat mit Inspiration zu tun, und der Bisamberg inspiriert mich eben«, erklärte Demmer. »Der Bisamberg und natürlich auch sein bekanntester Bewohner, Florian Berndl: Pionier der Naturheilkunde und Naturbursch, Begründer des berühmten Gänsehäufels und schon um die Wende zum 20. Jahrhundert entschiedener Befürworter des gemeinsamen Badens von Mann und Frau. Später spärlich bekleideter Sonderling, der einsam am Bisamberg hauste, und dessen Anblick wohl manches keusche Mädchenauge erschreckte. Sein Geist schwebt immer noch über diesen Höhen.«
»Er ist aber schon eine ganze Weile tot«, erinnerte Leopold seinen späten Gast.
»1934 gestorben. Tot, aber nicht vergessen«, beeilte Demmer sich zu erwähnen. »Immerhin gibt es ein schönes nach ihm benanntes Bad am Fuß des Berges.«
»Ein anderer, der noch länger tot ist, macht ihm derzeit gehörig Konkurrenz«, machte Leopold ihn aufmerksam. »Joseph von Eichendorff. Der ist am Bisamberg nur ein paarmal auf und ab gewandert. Nichtsdestotrotz hat man ihm vor etlichen Jahren ein Denkmal gesetzt und möchte es jetzt zum Zentrum eines Tourismusprojektes machen.«
»Eichendorff war ein großer Dichter, der wohl ähnlich wie ich empfand«, geriet Demmer ins Schwelgen. »Kennst du sein Gedicht Mondnacht?
Es war, als hätt’ der Himmel
die Erde still geküsst,
dass sie im Blütenschimmer
von ihm nun träumen müsst.
Die Luft ging durch die Felder,
die Ähren wogten sacht,
es rauschten leis’ die Wälder,
so sternklar war die Nacht.
Und meine Seele spannte
weit ihre Flügel aus,
flog durch die stillen Lande,
als flöge sie nach Haus.
Kaum