Hermann Bauer

Rachemokka


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für die Umgestaltung des Bisambergs zu einem Vergnügungspark missbrauchen will, ist eine traurige Gestalt, die ihre vier Wände noch nie für ein Liebesabenteuer verlassen hat.«

      »Ich fürchte, du wirst umdenken müssen. Deine Platzerl sind dadurch doch in höchster Gefahr, oder?«, reizte Leopold ihn.

      »Man weiß noch nichts Genaues«, relativierte Demmer. »Aber wenn es dort auf einmal Kiosks, beschriebene Wege, allerlei Attraktionen und jede Menge Leute gibt, ist es mit der Romantik vorbei. Dann wird ein natürlicher Paarungsraum vernichtet. Das muss auf jeden Fall verhindert werden. Aber wie?« Seine Hände verkrampften sich bei dieser Frage um das Bierglas.

      »Ich sag dir jetzt was, aber das hast du nicht von mir«, wurde Leopold vertraulich. »Übermorgen am Abend treffen sich bei uns einige Geschäftsleute und besprechen, wie sie den neuen Hotspot für sich ausnutzen können. Da erfährt man vielleicht, wie die Sache steht.«

      »Interessant«, nickte Demmer. »Andererseits muss ich natürlich meinen Gefühlen freien Lauf lassen, solange es noch geht. Wenn das ein lauschiger Frühsommerabend wird …« Er schaute fragend hinaus in die Dunkelheit.

      »Immerhin geht es um deine Liebesnester«, gab Leopold zu bedenken.

      Demmer kniff vertraulich ein Auge zu. »Kannst du nicht ein bisserl für mich aufpassen, was da geredet wird?«, drang er in Leopold.

      »Ich muss arbeiten«, wehrte Leopold ab. »Wenn es dir wichtig ist, solltest du selber da sein. Ich könnte dir einen Platz freihalten, wo du mithören kannst. Deine Gefühle hast du nach der Unterredung auch noch.«

      »Na gut, ich überleg’s mir«, zwinkerte Demmer ihm zu. Nachdem er gegangen war, erinnerte sich Leopold daran, dass seine Erika auch an der Versammlung teilnahm. Sie brauchte das Projekt für ihr neues Geschäft. Ihre Beziehung stand also wieder einmal vor einer großen Herausforderung.

      Kapitel 3

      Mittwoch, 24. Juni

      Thomas Korber erwachte mit einem heftigen Brummen im Schädel. Mit halb geöffneten Augen riskierte er einen Blick auf die Uhr. Es war bereits nach 7 Uhr. Er musste den Wecker überhört haben. Jetzt hieß es flott auf die Beine kommen, damit er es bis 8 Uhr in die Schule schaffte.

      Gott sei Dank hatte er in der ersten Stunde nur eine zweite Klasse, wo ihn der Unterricht nicht so anstrengen würde. Aber pünktlich sein musste er, um keine Abmahnung durch Direktor Marksteiner zu riskieren. Zu Unterrichtsbeginn wieselte dessen Sekretärin, Frau Pohanka, immer am Gang vor der Eingangstür auf und ab, um zu spät kommende Lehrer und Schüler zu ertappen.

      Korber tastete sich ins Bad, hoffend, dass der kalte Strahl der Dusche seine Geister wiederbeleben würde. So ganz klappte es nicht, aber er fühlte sich allmählich frischer. Was war gestern bloß noch gewesen? Er war am Nachmittag aus dem Heller nach Hause gegangen, hatte dort seine Tasche mit den Schulsachen abgestellt und war wieder los, erst zum Heurigenlokal Fuhrmann gleich ums Eck, und dann …

      Er war in die Innenstadt gefahren, in sein Lieblingslokal Botafogo, wo eine Mischung aus räumlicher Enge, Livemusik und Alkohol bei ihm meist zu jener unseligen Stimmung führte, in welcher er sich zu unkontrollierten Handlungen hinreißen ließ, an die er sich nachher kaum erinnern konnte. Häufig war dabei eine Vertreterin des weiblichen Geschlechts im Spiel, deren Gestalt und Gesicht im Dämmerlicht appetitlicher wirkten, als sie es tatsächlich waren.

      Vielleicht fand sich in seiner Jacke etwas, das als Hinweis dienen konnte. Korber kramte in den Taschen, wobei ihm immer noch scharfer Schweißgeruch entgegenschlug, den das Kleidungsstück als Gedächtnisstütze aufbewahrt hatte. Tatsächlich fand er einen zerknitterten Zettel, auf dem mit Lippenstift »Auf bald, Schmusekönig« geschrieben stand. Mehr wollte er gar nicht wissen. Wahrscheinlich hatte ihn sein ramponierter Zustand davor gerettet, neben dem Faltengesicht einer überholten Lady aufzuwachen, die sich so in ihn verliebt hatte, dass er sie nur unter großen Anstrengungen wieder loswerden würde. Es hatte den Anschein, als sei er mit einer überhöhten Taxirechnung davongekommen.

      Ein weiterer Blick auf die Uhr zeigte Korber, dass er keine Gedanken mehr an die feuchtfröhliche Nacht verschwenden durfte. In Windeseile trank er eine Tasse schwarzen Kaffee und würgte dazu ein halbes Butterbrot hinunter. Dann eilte er aus der Wohnung. Zum Glück erwischte er sofort eine Straßenbahn und war sogar um 7.55 Uhr an seinem Arbeitsplatz. Deshalb wunderte es ihn, dass Frau Pohanka vor dem Lehrerzimmer ungeduldig auf ihn wartete und ihn mit einem nervösen »Da sind Sie endlich« empfing.

      »Rechtzeitig zum Unterricht, wie ich hoffe«, verteidigte sich Korber. Dabei drehte sich ihm vom Hinaufgehen in den ersten Stock leicht der Kopf.

      »Haben Sie vergessen, dass Sie für heute um 7.45 Uhr zu Direktor Marksteiner bestellt waren?«, klang ihm Frau Pohankas Stimme unbarmherzig im Ohr.

      Langsam dämmerte es Korber. Gäste waren da, die er betreuen sollte. Gäste aus Deutschland. Er räusperte sich. »Nein, aber der Verkehr …«, war aber das Einzige, was ihm als Entschuldigung einfiel.

      »Sie sehen ein wenig schlampig aus«, unterbrach ihn Frau Pohanka. »Frisieren Sie sich und spülen Sie bitte hiermit Ihren Mund aus«, raunte sie ihm zu, sodass es niemand hörte, und steckte ihm ein kleines Fläschchen zu. »Frau Aberle und Herr Bader von unserer Partnerschule in Heidelberg warten bereits ungeduldig auf Sie. Ich gehe schon einmal vor und kündige Sie an.«

      »Danke«, murmelte Korber verschämt. Im Spiegel der Toilette sah er dann, dass sich die Exzesse der vorigen Nacht tief in sein Gesicht gekerbt hatten. Er erfrischte sich, so gut es ging, und betrat das Sekretariat, wo die Tür zur Direktion bereits offen stand.

      Direktor Marksteiner wirkte angespannt, bemühte sich jedoch um Souveränität. »Ah, Korber. Sie hatten Probleme mit dem Verkehr, wie ich höre. Nun sind Sie ja, Gott sei Dank, da. Darf ich Ihnen unsere Kollegen vom Eichendorff-Gymnasium in Heidelberg vorstellen, die uns diese Woche besuchen? Das ist der dortige Administrator, Professor Erwin Bader, mit dem ich Möglichkeiten der Kooperation in der Schulorganisation erwägen werde, und hier ist Ihre Kollegin in Deutsch, Frau Professor Monika Aberle, mit der Sie Ideen für ein gemeinsames kulturelles Projekt im Herbst austauschen werden.«

      »Guada Morga«, tönte es Korber aus beiden Kehlen im schwäbischen Akzent entgegen.

      »Einen schönen guten Morgen«, grüßte er zurück und musterte die beiden Gäste, während er ihnen die Hand schüttelte. Bader wirkte wie der typische in Ehren ergraute Lehrer, dem es für einen Schulleiter am nötigen Ehrgeiz gemangelt haben mochte, dem aber die nüchterne Arbeit mit Zahlen und Systemen Freude bereitete. Vorderhand reserviert, vielleicht zugänglicher in den nächsten Tagen. Hohe Stirn, dünne Lippen, das eine oder andere Kilogramm um die Hüften zu viel. Keine Besonderheiten.

      Monika Aberle sah fröhlicher aus, war aber ebenfalls nicht mehr die Jüngste. Blond gelocktes Haar, bereits die eine oder andere Falte im freundlichen Gesicht, sportlich, Kumpeltyp. Sympathisch, aber nicht die Frau, die Korber über die derzeitige Misere in seinem Liebesleben hinweghelfen konnte. Zumindest war das sein erster Eindruck.

      »Nehmen Sie Frau Aberle bitte gleich in Ihren Unterricht mit, damit sie sich ein Bild machen kann, wie es bei uns so zugeht«, hörte Korber Marksteiner in seine Richtung sagen.

      »Natürlich«, bekräftigte Korber und wagte ein Zwinkern in Richtung Monika Aberle. Zu seiner Erleichterung zwinkerte sie zurück.

      Auf dem Weg in die Klasse machte er ihr ein Geständnis. »Ich hatte heute große Mühe, aus dem Bett zu kommen, weil wir gestern eine Feier hatten«, beichtete er. »Ich kann Sie nur bitten, mein spätes Kommen zu entschuldigen.«

      »Deesch nedd schlemm«, beruhigte ihn Monika Aberle. »’s isch bloß bleed, dass ma am näggschdn Daag so frieh ähfanga muass. Ach, verzeihen Sie! Ich plappere Sie da auf Schwäbisch an! Ich meinte, das sei gar nicht schlimm. Es ist halt dumm, dass man am nächsten Tag gleich wieder zeitig mit der Arbeit beginnen muss. Kenne ich von mir selbst.«

      »Scho rächd«, lächelte Korber sie an. »Ich habe ein Jahr in Heidelberg studiert. Ein bisschen was bekomme ich von der Sprache schon