sind. Meistens zumindest. Er hat aus seinen Auffassungen nie einen Hehl gemacht und sich nicht gescheut, dafür einzutreten. Das ist dann wohl der Preis, den man dafür zahlen muss…”
“Haben Sie in letzter Zeit irgendwelche Beobachtungen gemacht, die vielleicht darauf hindeuten könnten, dass Sie beobachtet wurden?”, fragte ich.
Frau Moldenburg hob den Kopf. Sie sah mich einige Augenblicke lang nachdenklich an und schüttelte dann entschieden den Kopf. “Nein, nicht, dass ich mich entsinnen könnte.”
“Wir suchen gegenwärtig diesen Mann hier”, erklärte ich ihr dann und zeigte ihr auf dem Smartphone ein Standbild aus den Video-Aufzeichnungen, das den Mann mit dem verkürzten kleinen Finger zeigte.
“Man sieht nicht sehr viel von seinem Gesicht.”
“Leider, da haben Sie recht. Er könnte Ihnen durch einen verkürzten oder verkrüppelten kleinen Finger aufgefallen sein.”
“Vielleicht jemand, der etwas vorbeigebracht hat”, sagte Rudi. “Ein Paketbote, ein Gärtner oder jemand, den Sie vielleicht für einen Reporter gehalten haben.”
“Sie meinen jemanden, der einen Grund gehabt hätte, in unserer Nähe zu sein?”, begriff Frau Moldenburg sofort. “Ich kann jetzt nicht unbedingt behaupten, dass ich bei jedem Menschen in meiner Umgebung darauf achte, ob seine Finger vollzählig sind, aber ich denke eigentlich, dass mir das aufgefallen wäre.” Sie schluckte. “Ich hoffe nur, dass er wieder aufwacht.”
“Das hoffen wir auch”, sagte ich.
“Der Arzt, der so beherzt eingegriffen hat, nachdem mein Mann getroffen wurde …”
“Dr. Wildenbacher.”
“Er soll ein Kollege von Ihnen sein. Wenn Sie Ihn treffen, dann grüßen Sie ihn bitte von mir.”
23
Dr. Gerold Wildenbacher war nach Quardenburg zurückgekehrt. Dass er sich ein paar Tage frei nehmen sollte, empfand er nicht unbedingt als beglückende Aussicht. Anstatt nach Hause zu fahren, ging er erstmal in ein bayerisches Steak-House mit dem Namen “Riendviecherl”.
Nachdem er gegessen hatte, verließ er das Lokal. Den Wagen hatte er in einer Seitenstraße geparkt. Sein Smartphone klingelte.
“Ja?”
“Hier ist Veronika”, sagte eine Stimme an seinem Ohr.
Seine Schwester Veronika war die einzige Person in seiner Familie, zu der er noch Kontakt hatte. Sie telefonierten ab und zu miteinander. Ansonsten war Wildenbacher eher ein Einzelgänger. Die Arbeit bedeutete ihm alles. Er lebte allein.
“Was gibt es, Veronika?”
“Das fragst du mich? Gerold, du hättest dich ruhig mal melden können seit…”
“Seit was?”
“Seit der Sache mit dem MdB. Ich meine, das geht ja durch alle Medien und was glaubst du, wessen Gesicht ich da auf der ersten Zeitungsseite auf einem großformatigen Foto gesehen habe!”
“Veronika, es ist bei mir alles in Ordnung.”
“Ja, das habe ich auch gelesen. Aber um ein Haar hätte es dich erwischen können! Ich meine, du hast doch praktisch ganz in der Nähe einer Person gesessen, die offenbar die Zielscheibe eines irren Killers war.”
“Du irrst dich, Veronika. Das größte Risiko war für mich ein Hygienisches. Nichts, was mit Kugeln und Waffen zu tun hatte.”
“Wie bitte?”
“Wegen dem Blut des MdBs, das ja in Strömen geflossen ist. Ich hatte keine Latexhandschuhe dabei. HIV, Gelbsucht und ein paar andere unerfreuliche Dinge kann man sich über den ungeschützten Kontakt mit Blut holen. Zumindest, wenn man irgendwo eine offene Wunde hat oder über die Schleimhäute von Augen, Nase und Mund, wenn es einem ins Gesicht spritzt.”
“Du hast schon eine eigenartige Art und Weise, über diese Dinge zu reden, Gerold.”
“Berufskrankheit. Jedenfalls gehe ich davon aus, dass der MdB nichts Ansteckendes hatte und ich hoffe, dass er durchkommt und mein Eingreifen nicht umsonst war.”
“Gerold, ich…”
Wildenbacher hatte sich unterdessen seinem Wagen bis auf etwa ein Dutzend Meter genähert. Er streckte die Hand aus und betätigte den elektronischen Signalgeber seines Wagenschlüssels.
Die Lampen leuchteten auf.
Der Wagen war entsperrt.
Wildenbacher blieb stehen. “Veronika, es hat in der reißerischen Darstellung in den Medien ein paar Übertreibungen gegeben, die nicht wirklich widerspiegeln, was passiert ist.”
“Trotzdem, Gerold…”
“Ich habe letztlich nur meine Pflicht als Arzt getan. Auch wenn ich mich überwiegend mit Patienten beschäftige, für die leider schon jede Hilfe zu spät kommt und man mir nachsagt, dass jemand mit meinem sensiblen Gemüt sich auch besser ausschließlich auf die Therapierung von Toten beschränken sollte, aber…”
In diesem Moment explodierte der Wagen. Eine Feuersbrunst riss das Fahrzeug förmlich auseinander. Wildenbacher spürte, wie eine Welle aus Hitze und Druck ihn erfasste.
Im nächsten Moment lag er auf dem Boden. Sein Smartphone befand sich gut drei Meter von ihm entfernt.
“Gerold?”, fragte die Stimme seiner Schwester aus dem Gerät heraus. “Gerold, was ist los?”
24
Wir erfuhren von der Explosion in Quardenburg, als wir ins Hauptpräsidium zurückgekehrt waren und Kriminaldirektor Hoch Bericht erstattet hatten.
Wir machten uns natürlich gleich auf den Weg. Von Berlin braucht man eine gute Dreiviertelstunde bis Quardenburg. Und bei ungünstigen Verkehrsverhältnissen muss man noch etwas dazu addieren.
Aber wir hatten Glück und kamen gut durch. Als wir den Ort des Geschehens erreichten, herrschte dort längst Hochbetrieb. Jede Menge Einsatzfahrzeuge der örtlichen Polizei und der Feuerwehr waren vor Ort. Außerdem etliche Kollegen der Dienststelle Reichenberg. Spurensicherer gingen ihrem Job nach. Das ganze Gebiet war großflächig abgesperrt worden. Ich stellte den Dienst-Porsche am Straßenrand ab und hatte Glück, überhaupt noch eine Lücke zu finden.
Die uniformierten Kollegen winkten uns durch, nachdem wir unsere Ausweise gezeigt hatten.
Wir fanden Dr. Wildenbacher im Gespräch mit einem Kollegen, bei dem es sich wohl um einen Kommissar aus Reichenberg handelte.
“Kriminalhauptkommissar Sören Rüttli”, stellte sich der Kollege vor. “Ich habe hier die Einsatzleitung.”
“Kriminalinspektor Rudi Meier”, erwiderte Rudi und deutete auf mich. “Dies ist mein Kollege Kriminalinspektor Harry Kubinke.”
Ich wandte mich unterdessen direkt an Wildenbacher.
“Ich hoffe, Ihnen ist nichts passiert”, sagte ich.
“Abgesehen davon, dass meine Kleidung etwas ramponiert aussieht und ich im ersten Moment dachte, dass der Knall mich für immer taub gemacht hätte, geht es mir gut”, sagte Wildenbacher.
“Ich dachte, Sie wären jetzt zu Hause und würden sich etwas Ruhe gönnen.”
“Dazu ließ sich Dr. Wildenbacher leider nicht überreden”, sagte Kommissar Rüttli. “Genauso wenig, wie ich ihn davon überzeugen konnte, sich einer ärztlichen Untersuchung zu unterziehen.”
“Ich bin selber Arzt und kann sehr wohl beurteilen, ob es mir gut geht”, knurrte Wildenbacher. “Und davon abgesehen werden Sie Verständnis dafür haben, dass es mich brennend interessiert, wer mich da in die Luft fliegen lassen wollte. Also möchte