die vielleicht zur Zeit der Ausstrahlung der Werbespots der 1950er bis 1970er Jahre gar nicht das primäre Ziel war. Dass es die Sympathiewirkung weniger nachteilig, vielleicht sogar positiv beeinflusst, zeigen auch die Ergebnisse der Online-Befragung (Kapitel 5.5.4.1). Ab der Digitalisierung in den Hörfunkstudios (seit den 1980er Jahren) nahm diese Form der WerbekommunikationWerbekommunikation drastisch ab.
Einen großen Einfluss auf Stimm- und Sprechstile im Hörfunk in der Mitte des vorigen Jahrhunderts hatte auch die Übertragungstechnik (siehe 2.1.1). Vor und während des Zweiten WeltkriegsWeltkrieg, Zweiter war über Amplitudenmodulation (AM) auf Mittelwelle übertragen worden, was Einschränkungen im Frequenzspektrum bedeutete und die Tradition des „rufenden Sprechgestus“ mitbedingte, der in Spuren erhalten blieb, auch als ab Ende der 1940er Jahre und bis in die 1960er die UKW-Sender implementiert wurden. Es war „ein Gestus […], der auf Deutlichkeit, eher langsamem Tempo, eher hoher Stimmfrequenz und hoher Sprechspannung basiert[e]“ (Falk, 2019, S. 43).
Mit der UKWUKW-Übertragung wurden Frequenzmodulationen auch in den höheren Tonfrequenzen6 möglich und gingen mit einer Reduzierung der Grund- und Hintergrundgeräusche einher. Allein in Bezug auf die VerständlichkeitVerständlichkeit des Gesprochenen waren überdeutliche Artikulation und Sprechspannung nicht mehr nötig. Diese Voraussetzungen erklären die Tatsache, dass Stimme und SprechweiseStimmeund Sprechweise im Hörfunk ab den 1960er Jahren eine Art Modernisierung nicht nur technischer Art, sondern auch vom Sprechgestus her erfuhren, der in den 1980er Jahren noch deutlicher zutage trat.
Auch der Wandel in den Hörgewohnheiten der Menschen (vgl. 2.1.2) wirkte sich auf den Sprechstil aus: Radiohören wurde immer mehr zum „Nebenbei-Hören“ während anderer Tätigkeiten und forderte mehr Alltagsnähe in der Sprache der Moderation und der Werbung. Neue Technologien (wie Verkehrsrundfunk und Satellitenrundfunk) trugen schließlich seit den 1970er Jahren dazu bei, dass das Repertoire um weitere Sprechprofile ergänzt wurde; sie führten schließlich auch zu neuen Programmangeboten, die
[…] neue Texttypen in den Hörfunk brachten (z.B. Staubericht, Ratgebersendungen, Verbraucherhinweise), teilweise aber auch durch den Trend zu Aktualisierung, Typisierung, Personalisierung und Spezialisierung zu einer immer wieder kritisierten „Entwortung“ und Oberflächlichkeit des Mediums führten. (Fluck, 2002, S. 2074)
Die Veränderung zum heute eher „natürlich“ anmutenden Sprechstil7 auch im Rundfunk wird also zu einem Großteil der moderneren Studiosituation und der technischen Entwicklung zugeschrieben (z.B. der verbesserten Möglichkeiten der KlangmanipulationKlang-manipulation), die einen veränderten Gebrauch der Stimme ermöglicht. Das war mit Sicherheit ab der Digitaltechnik Ende der 1980er bzw. Mitte der 1990er Jahre der Fall.
Ein wirklich ‚alltagsnahes‘ Sprechen mit verhältnismäßig niedriger ArtikulationspräzisionArtikulationspräzision, höherer SprechgeschwindigkeitSprechgeschwindigkeit und durch Nachbearbeitung größerer subjektiver Lautheit, ohne dass diese vom Sprecher durch höhere SprechspannungSprechspannung hervorgerufen werden muss, könnte im Radio also erst mit Etablierung der Digitaltechnik möglich geworden sein. (Gutenberg, 2005)
Wie die Stimme und Sprechweise in den Spots aus den 1950er, 1960er und 1970er Jahren auf die heutigen Hörer wirkt (vor allem im Hinblick auf die wahrgenommene Sprechstimmlage, die Akzentuierung und Artikulationsschärfe), wird in der empirischen Studie eruiert und diskutiert (Kap. 5).
3.2.2 Stimm- und Sprechmoden
Die Stimmqualität (vor allem Stimmlage und KlangfarbeKlang-farbe) ist eine wichtige Komponente des SprechausdrucksSprechausdruck, der zu einer stereotypen HörwahrnehmungHörwahrnehmung führt, die wiederum Hörmuster und stereotype Hörerwartungen mit sich bringt. Ein Blick auf StimmmodenStimmmoden in unserem Kulturkreis zeigt uns, dass die Stimmen in Filmen in den 1920er Jahren und ebenso in den Nachkriegsjahrzehnten sehr hoch waren, unabhängig von der MikrofonMikrofontechnik- und Aufnahmetechnik; auf Hörer heute hat das eine eher neurotische oder unnatürliche Wirkung.
Was die Moden der StimmenModeder Stimmen im Rundfunk ab den 1950er Jahren betrifft, so zeichnet Gutenberg (2000) die Vielfalt von „Macken und Moden“ bis zur Jahrtausendwende nach, mit dem Ergebnis, dass sich auch in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts einige Modewellen deutlich erkennen lassen. Im Rundfunk bzw. Fernsehen seien das zunächst die sonoren MännerstimmenStimmeMännerstimme1 (z.B. von Hans Joachim Friedrichs; Tagesthemen), die später heller wurden und im Hinblick auf die Artikulation als präzise, aber mechanisch wirkend beschrieben werden können (ein Beispiel für die „emotionsfreie Seriosität“ sei Karl-Heinz Köpcke, der mehr als zwei Jahrzehnte – von 1959 bis 1987 – die Personifizierung der Tagesschau war).
In Bezug auf die Akzeptanz von Sprechweise und AusspracheAussprache hat Hollmach (2003) in einer Studie zur zeitkritischen Einschätzung von ModellsprechernModellsprecher im Rundfunk (in Nachrichten, Moderationen und Gesprächen) herausgefunden, dass bei der Sprechweise, dem SprechklangSprechklang und der Stimme ein Einbruch in der Akzeptanz bestünde: Bis zurück in die 1960er Jahre werde die jeweilige Sprechweise von den Befragten akzeptiert, die Sprechweise in den 1950er Jahren wirke hingegen abstoßend.2
Mustergültigkeit erlangt ein Sprecher nicht ausschließlich auf Grund seiner Aussprache, ebenso bedeutsam für die Musterbildung sind die situationskonkrete Sprechweise, der Sprechklang und die Stimme […]. Nach Meinung der Akteure verändert sich der Sprechklang im Laufe der Zeit […], ältere Sprechbeispiele stoßen deshalb auf Ablehnung. (Hollmach, 2003, S. 179–180)
Das singende Auf und Ab der SprechmelodieSprechmelodie der 1920er Jahre wird heute belächelt, Hitlers apikal rollendes R wird unweigerlich mit dem Stil der Zeit in Verbindung gebracht und heute tunlichst vermieden. Was dem eigenen Hör- und Sprechmuster nicht entspricht, wird als „fremd“, „anders“, „komisch“, „unschön“, „unnatürlich“ o.ä. wahrgenommen.
Slembek (1995) gibt einen Überblick über Forschungsergebnisse aus den 1970er Jahren, die klare Zusammenhänge zwischen sozialer Schicht und SprechtonhöheSprechtonhöhe dokumentieren.
Ein wichtiges Merkmal, die eigene soziale Gruppe zu identifizieren, ist die habituell realisierte Grundtonhöhe. Mitglieder der sozialen Oberschicht sprechen im allgemeinen meßbar höher als Mitglieder der sozialen Unterschicht, also sind auch die HörmusterHörmuster für „tief“, für „Autorität“ je nach Schicht verschieden […]. KompetenzKompetenz und DominanzDominanz dürften durch einen gewohnheitsmäßig hohen Grad an Erregung oder organischer Bereitschaft gestützt werden. Die dadurch entstehende Spannung dürfte sich in erhöhter habitueller Muskelspannung auswirken. Höhere Muskelspannung führt wiederum zu einer GrundtonhöheGrundtonhöhe, die vergleichsweise höher liegt […]. (Slembek, 1995, S. 113)
Was ab den 1970er Jahren bei in der Öffentlichkeit stehenden Personen und in den Medien immer häufiger zu beobachten ist, sind NormabweichungenNormabweichungen bis hin zu krankhaften Zügen; ob es sich hier um tatsächliche PathologienPathologien handelt (z.B. Rhinolalie, Dysphonie, Sigmatismus, Rhotazismus oder ähnliches), oder ob diese bewusst kultiviert und quasi als Erkennungszeichen eingesetzt werden, sei dahingestellt. Es zeugt von einer Form von ToleranzToleranz, die sich ab den 1970er Jahren breit macht und nicht nur die Schlagerszene, sondern auch den Rundfunk betrifft (Scherer & Giles, 1979; Eckert & Laver, 1994; Geißner, 2008).
Offensichtlich hat sich ein verändertes StimmidealStimmideal etabliert. Während in früheren Jahren im Radio Sprecher mit ausgebildeten, klangvollen (eher dunklen) Stimmen und StandardausspracheStandard-aussprache bevorzugt wurden, sind jetzt vielfach (scheinbar) unausgebildete Stimmen zu hören, mehr oder weniger stark geräuschhaft bis pathologisch-angestrengt (gepresst, rau), auch mit deutlichen dialektalen Anklängen. (Bose, 2016, S. 167)
In Bezug auf die SprechgeschwindigkeitSprechgeschwindigkeit kann man sagen, dass heute im Rundfunk generell eine höhere Sprechgeschwindigkeit zu verzeichnen ist, was allerdings auch daran liegt, dass mit Hilfe der DigitalisierungDigitalisierung ein Komprimieren und Verkürzen von Pausen leicht möglich ist und dies vor allem bei Werbesendungen aus Kostengründen zum Tragen kommt. Jüngere Studien an Nachrichtensprechern zeigen, dass es so etwas wie ideale Nachrichtensprecher gibt, die unabhängig von der