Ulrike A. Kaunzner

Die Stimme als Zeitzeugin – Werberhetorik im Hörfunk


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sie einzuladen, sich mit ihr und der sie verkörpernden Person zu identifizieren. Schon in den 1930er Jahren soll es Anweisungen für das Sprechen am Mikrofon gegeben haben (das sogenannte „MikrophonierenMikrophonieren“). Auch die ersten Ausgaben des AussprachewörterbuchsAussprachewörterbuch von Theodor Siebs, das sich bekanntlich an der Bühnensprache orientierte, erschienen in den ersten Jahrzehnten des 20. Jahrhunderts.3

      Aus- und Weiterbildungsangebote für das Sprechen im Hörfunk beinhalten heute neben Richtlinien zum „Schreiben fürs Hören“ (Geißner & Wachtel, 2003; Wachtel, 2013) spezifische Trainings für sinnvermittelndes VorlesenVorlesen, sinnvermittelndes, freies Formulieren etc. Dabei kommt sprecherzieherischen MaßnahmenMaßnahme, sprecherzieherische in Bezug auf StimmbildungStimmbildung und Aussprache besondere Bedeutung zu: Atemtechnik, Stimmsitz (Bruststimme, Indifferenzlage), Artikulationsschärfe, Melodieführung und Pausensetzung etc. Was das Sprechen am Mikrofon besonders herausfordert, ist das Einnehmen der bereits erwähnten AnsprechhaltungAnsprechhaltung; die virtuellen Gesprächspartner vor dem inneren Auge behaltend, versucht man den Eindruck zu vermitteln, in einen Dialog einzutreten.4 Fehlen diese Ansprechhaltung und die damit verbundenen Verständlichkeitskriterien, haben Sprecherin und Sprecher keinen Erfolg und verlieren ihr Publikum, das sich durch einfaches Betätigen des Abschaltknopfes oder durch Umschalten auf einen anderen Sender verabschiedet.

      Der Sprechstil im Hörfunk soll für die Hörer attraktiv und verständlich sein, außerdem alltagsnah. Das gilt auch für die Hörfunkwerbung, die außerdem überzeugen will (vgl. Gutenberg, 2005). So hängt die RhetorizitätRhetorizität der Stimme von einer Reihe an Faktoren ab. Phonetische Parameter im Hinblick auf Verständlichkeit und ÜberzeugungskraftVerständlichkeit sind neben der ArtikulationsschärfeArtikulationsschärfe eine Reihe prosodischerProsodie Phänomene (Sprechgeschwindigkeit, Sprechstimmlage bzw. Grundfrequenz, Lautstärke, Stimmfülle, Klangfarbe, Akzentuierung, Rhythmik und Pausierung).

      Was speziell die Persuasionswirkung der Sprechstimme betrifft, so findet man, basierend auf Forschungen der letzten Jahrzehnte, eine Reihe an zum Teil widersprüchlichen Aussagen, beispielsweise in Bezug auf die Sprechgeschwindigkeit.5 Über das Zusammenwirken von PersuasionPersuasion und ProsodieProsodie hat Beate Redecker für den deutschsprachigen Raum einen wichtigen Forschungsbeitrag geleistet und diverse sprecherische Ausdrucksformen diskutiert. In ihrer Untersuchung zur Perzeption prosodischer Stimuli in der Werbung hat sie u.a. die ideale Sprechweise bei Männerstimmen in Bezug auf die Persuasion beschrieben und kommt zu der Erkenntnis, dass diese „[… ] sich durch eine ruhige Sprechweise, durch eine tiefe und sonore Bassstimme, durch eine hohe Stimmhaftigkeit ohne Hauch und Knarren und durch dezente Melodiebewegungen auszeichnet […]” (Redecker, 2008, S. 157). Die Ergebnisse der Untersuchung bei Hörfunk-Werbespots (Kap. 5) können die von ihr genannten stimmlich-sprecherischen Eigenschaften in diesem Punkt bestätigen.

      2.3.3 Formate der Radiowerbung des 20. Jahrhunderts

      Wie haben sich Werbeprofile (Sendeform und -dauer) im 20. Jahrhundert verändert? Während Werbung in den 1920er und zu Beginn der 1930er Jahre in erster Linie in Form von kurzen Sendungen (Werbevorträgen oder -konzerten) übertragen worden war, kam es 1935 zur gänzlichen Einstellung der Rundfunkwerbung. Diese wurde in Westdeutschland erst 1948 wieder aufgenommen, und zwar zu festen Zeitfenstern und in eigenen WerbesendungenWerbesendungen, die sich allerdings geringer Beliebtheit erfreuten: „Die Hörer aber blieben reserviert: 1951 schalteten 10 Prozent den WerbefunkWerbefunk ab, 1953 schon 20 Prozent“ (Krug, 2010, S. 92). Die Form der kompakten Werbesendungen blieb bis in die 1960er Jahre erhalten, bis sie von der sogenannten Streuwerbung abgelöst wurde, die kurze Werbespots über den Tag verteilte und damit mehr Hörer erreichte.

      Ab den 1970er Jahren schließlich wurden die neuen ServiceSenderPop- und PopsenderSenderService- mehr oder weniger durch Werbung finanziert.1 Diese regionalen Servicewellen gaben dem Hörfunk ein neues Profil, die Werbespots gliederten sich besser in die Sendungen ein, bekamen ein „Alltags-Profil“ und einen umgangssprachlichen Ton. Vor allem in den Privatsendern der 1980er Jahre wurde das zum Erkennungszeichen. Werbung will jetzt die Hörer abholen, will sie direkt ansprechen; das geht am besten, wenn sie sich nahtlos ins Programm einfügt und wenn die Sprache des Publikums verwendet wird.

      WerbesendungenWerbesendungen im Hörfunk sind bis auf wenige Ausnahmen bis heute Teil des nichtregionalen Programmbereichs, werden i.d.R. überregional produzieren und vermarktet. Wenn auch die übliche Dauer der klassischen HörfunkspotsHörfunkspot von 20 bis 30 Sekunden beibehalten wurde, findet man jetzt innovativere Spot-Profile. Krug (2010) skizziert die aktuelle Werbelandschaft im Hörfunk wie folgt:

      Die normale Werbeform ist der 20- bis 30-sekündige, alleinstehende „klassische Spot“. Daneben ist der „Tandemspot“ aus zwei – durch eine andere Werbung unterbrochenen – Spots populär. Der erste ist der „Hauptspot“, der durch einen „Reminder“ ergänzt wird. Dazu gibt es zweiteilige „Contentspots“; hier wird ein redaktioneller Teil von zwei Werbebotschaften umrahmt. Populär wird in der Werbung zunehmend der „MediamixMediamix“: WerbekampagneWerbekampagnen werden hier auf verschiedene Medien wie Zeitung, Radio, Fernsehen oder Internet verteilt […] Der Radioanteil am Werbekuchen liegt bei unter zehn Prozent. (Krug, 2010, S. 94)

      2.4 Persuasionsstrategien in der Hörfunkwerbung

      Bei jedem zu bewerbendem Produkt wird die Frage aufgeworfen, wie die Kunden angesprochen werden sollen, um ihre Aufmerksamkeit zu erlangen, um sie zu überzeugen, um sie zu binden. Dieser persuasive Akt legt die Frage nach rhetorischen Kategorien nahe, die auf eine lange Tradition zurückblicken. Spang (1987, S. 63) definiert Werbung vom informationswissenschaftlichen Standpunkt als „eine persuasive Information, die zum Erwerb einer Ware oder einer Dienstleistung verleiten soll“ und grenzt die informative Persuasion in der Werbung von der PropagandaPropaganda ab.

      Die eingesetzen persuasiven Strategien im Fall von akustischer Werbung (Hörfunkwerbung) bieten ein breites Spektrum an Analysekriterien an, so auch Argumentationsstrukturen und -figuren, die Themenwahl (lexikalische Besonderheiten, außersprachliche Merkmale und Musikeinsatz) und stimmlich-sprecherische (paraverbale) Mittel. In ihrer Summe machen diverse Elemente das AlleinstellungsmerkmalAlleinstellungsmerkmal aus und kommunizieren damit den jeweiligen USPUSP (unique selling proposition).

      Man könnte die Werbespots im Hörfunk ebenso in einem semantischen Ansatz nach BühlersBühler drei Funktionen der Sprache untersuchen: der AusdrucksfunktionAusdrucksfunktion (Sprecher: Was wird über die Stimme und Sprechweise ausgesagt?), der Darstellungsfunktion (Thema: Wie wird das Produkt präsentiert?) und der Appellfunktion (Radiohörer, Konsument: Welche Emotionen und USP werden angesprochen?) (Spang, 1987, S. 64–68; Sowinski, 1998, S. 23–29).

      Es ist die Form der Darstellung, die uns hier fragen lässt: Mit welchen Themen, Topoi, Personen (z.B. TestimonialsTestimonials) werden die Verbraucher in den unterschiedlichen Dekaden angesprochen, um auf das Produkt aufmerksam zu werden? Welchen Stellenwert haben harte Informationen (z.B. die chemische Zusammensetzung eines Waschmittels) im Gegensatz zu suggestiven ZusatznutzenZusatznutzen (z.B. das Glück der Hausfrau, wenn ihr Mann sie lobt; ein typisches Bild aus den 1950er Jahren)? Mit welchen Szenen, Situationen und Emotionen wird an geheime Wünsche appelliert und der Kauf des Produkts ausgelöst? Ohne tiefer in die WerbepsychologieWerbepsychologie einzusteigen, werden diese Fragen im vierten Abschnitt in Bezug auf das hier im Mittelpunkt stehende Thema nach der Stimme als Zeitzeugin noch weiterverfolgt: Welche Themen und Wünsche sind für die untersuchten Jahrzehnte kennzeichnend? Welche gesellschaftlichen Normen liegen ihnen zugrunde? Wird das durch die StimmeStimme und SprechweiseSprechweise reflektiert? Wenn ja, wie?

      2.4.1 Exkurs: Von der antiken Rhetorik zur Werberhetorik

      Die Lehrmeister der antiken RhetorikRhetorikantike haben bis heute an Aktualität nichts eingebüßt und man kann gerade im Zusammenhang mit der WerberhetorikRhetorikWerbe- interessante Parallelen aufzeigen.1 Von den drei Grundfunktionen bzw. Zielen der Rede, docereDocere (informieren, belehren), movereMovere (überzeugen, bewegen) und delectareDelectare (unterhalten, erfreuen), ist in den meisten Hörfunk-Werbespots ein Mix zu finden, dessen Schwerpunkt auf movere