Reflexionen über VortragsformateVortragsformate und SprechkunstSprechkunst (3.1) geht es um die ästhetische Dimension von Stimme und Sprechstil (3.2), wobei der Ästhetik der FrauenstimmeÄsthetikder Frauenstimme ein eigener Abschnitt gewidmet ist (3.3). Die Aussprache selbst ist ebenfalls Moden und Normierungen unterworfen, was in Abschnitt 3.4 zur Sprache kommt.
Ein historischer Rückblick auf die Zeit ab den 1950er Jahren hat im vierten Kapitel nicht nur zum Ziel, markante politische und gesellschaftliche Ereignisse wachzurufen, sondern auch die jeweiligen Moden und Trends aufzuzeigen, von denen sich die Konsumenten der jeweiligen Zeiträume angesprochen fühlten (4.1). Das so skizzierte Gesellschaftsbild gibt Zeugnis ab über den Bedürfniswandel der Zeit, der sich in den Themen (und damit auch in den mit dem Produkt angebotenen Zusatznutzen) bei Produktwerbungen niederschlägt (4.2).
Im fünften Kapitel werden exemplarisch Hörfunk-Werbespots der 1950er, 1960er und 1970er Jahre für eine Analyse im Rahmen eines triangulären Untersuchungsdesigns herangezogen und einigen Spots aus den 1980er und den 2010er Jahren gegenübergestellt. Es handelt sich um Produktwerbungen aus drei Bereichen: Haushaltshygiene (Waschmittel), Körperhygiene (Zahnpasta) und Genuss (Kaffee). Die Ergebnisse eines Online-Experiments mit einer Expertenumfrage sollen, zusammen mit einer hörphonetischen Deskription und Interpretation und der akustischen Berechnung des Parameters mean pitchMean pitch mit Hilfe der Software PraatPraat Aussagen zu den oben genannten Forschungszielen zulassen. So kann der gesellschaftliche Wandel in der Stimme, im Sprechstil und in der WerberhetorikRhetorikWerbe- exemplarisch aufgezeigt werden. Durch die sprechwissenschaftlich-phonetische Charakterisierung der männlichen und weiblichen Sprechstimmen kann auf die Frage nach der Stimme als Zeitzeugin in der Verkaufsrhetorik geantwortet werden.
Im Anhang befinden sich die analysierten Werbespots in Form von orthographischen TranskriptionenTranskriptorthographisches6 mit jeweiliger GAT 2TranskriptGAT 2-Transkription (mit Hilfe des Editors FOLKER). Das garantiert zum einen die Transparenz der Untersuchung und ermöglicht einen Nachvollzug ihrer Aussagen. Zum anderen sollen die Interpretation und Schlussfolgerungen als Einladung zu weiteren Analysen verstanden werden.
Schließlich soll im Rahmen einer Begriffsdefinition auf die Verwendung der zentralen Termini „Thema“, „Topos“, „Zusatznutzen“ und „USP“ hingewiesen werden:
ThemaThema wird hier auch im Zusammenhang mit GrundnutzenGrundnutzen und Zusatznutzen verwendet (siehe unten), außer die Begriffe werden differenziert gebraucht.7 Statt Thema könnte in vielen Fällen der Terminus „Werbebotschaft“, „Inhalt“, „Gegenstand“ oder „Motiv“ stehen.
In der Alltagskommunikation verhaftet ist der ToposTopos: „Da der T.[opos] auf alltagslogischen Denkmustern oder konventionellem Erfahrungswissen beruht, hat er auch bei routinemäßigem Gebrauch Überzeugungskraft“ (Bußmann, 2008, S. 745). Auf Topoi entwickelt sich Argumentation, beispielsweise in Form von Kausalschlüssen (z.B. Persil 1973: mit der roten Schleife; ein Paket mit Schleife erinnert an ein Geschenk, an etwas Besonderes) oder bei dem in der Werbung beliebten Topos der Autorität, der sog. Testimonialwerbung (beispielsweise die zufriedene Kundin in Lenor 2018: Ich fühle mich wohl in Lenor).8
Der ZusatznutzenZusatznutzen wird ergänzend zum Grundnutzen (dem jeweiligen Gebrauchswert, dem rationalen Grund) eines Produktes verkauft; hiermit bezwecken die Anbieter, weitere Bedürfnisse der Verbraucher zu befriedigen (z.B. emotionale Bedürfnisse in Form eines Glücksgefühls, soziale Bedürfnisse in Form von Anerkennung, Schönheit, Selbstbestätigung). Spang (1987, S. 75) nennt es auch die „produktfremden scheinbaren Sekundärleistungen“.
Mit Hilfe des Zusatznutzens kann ein Alleinstellungsmerkmal bzw. ein herausragendes Leistungsmerkmal erzeugt werden, das das Produkt gegenüber anderen differenziert, unter der Konkurrenz heraushebt und einen veritablen Kundenvorteil darstellt. Man spricht dann auch von USP (unique selling point oder unique selling proposition.USPunique selling point/proposition Zusatznutzen und USP sind sehr eng miteinander verwoben und werden häufig gleich gesetzt:
[der produktspezifische Zusatznutzen] wird von Werbefachleuten USP (unique selling proposition – „einzigartige Verkaufsaussage“) genannt. Über die USP/den Zusatznutzen versucht die Werbung das Problem der zunehmenden Produktähnlichkeit zu umgehen und auf irgendeine Weise das beworbene Produkt gegen Konkurrenzprodukte abzugrenzen, auch wenn kaum mehr tatsächliche Unterschiede vorhanden sind. (Janich, 2013, S. 56)
Ein AlleinstellungsmerkmalAlleinstellungsmerkmal wird regelmäßig einen Zusatznutzen auslösen, also eine Art Befriedigung eines Bedürfnisses (z.B. bei THOMY Senf, der in einem ansprechenden Glas verkauft wird, das als Trinkglas benutzt werden kann, was ihn wiederum von anderen Senf-Produkten abhebt). Aber der Zusatznutzen muss nicht zwingend zu einem USPUSP führen, vor allem, wenn das Merkmal keine Alleinstellung hat. Für die Verkaufsstrategien in der Werbung handelt es sich zwar um zwei Argumentationskonzepte, die aber so eng miteinander verwandt sind, dass die Unterschiede der beiden Begriffe auch in der vorliegenden Untersuchung vernachlässigt werden können. Daher sollen die beiden Begriffe im weiteren Verlauf der Arbeit gleichrangig nebeneinander verwendet werden.
2 Radio und Rundfunkwerbung gestern und heute
Wenn von Radio, Rundfunk und Hörfunk die Rede ist, so werden diese Begriffe oft synonym verwendet, bisweilen jedoch auch differenziert verstanden: Radio als Empfangsgerät, Hörfunk als das gesendete Programm. Vor der Zeit des Fernsehens, waren wiederum Rundfunk und Hörfunk als das gleiche verstanden worden, heute umfasst Rundfunk strenggenommen sowohl Hörfunk als auch Fernsehen, wird aber dennoch meist synonym für den Hörfunk verwendet.1
Werbung fand schon einen Platz im Hörfunk, als dieser noch in Kinderschuhen steckte, also kurz nach 1900. Vorreiter der Rundfunk-Unterhaltungsindustrie waren die USA und die Niederlande, bald konnte man nach ersten vorbereitenden Schritten und dem Aufbau von Telefunkengroßstationen in den Jahren zwischen 1910 und 1920 auch in Deutschland die erste Rundfunkübertragung hören (am 29. Oktober 1923). Ein kurzer Abriss über die rasante Entwicklung der Radionutzung in der ersten Hälfte des vorigen Jahrhunderts soll den Rahmen stecken für die spätere Analyse der Werbespots.2
„Der Rundfunk war in den zwanziger Jahren das MassenmediumMassenmedien, das alles und alle in den Bann schlug, und wurde so fast zu einem Urmodell unbegrenzter Expansion und beständiger Perfektionierung“ (Prümm, 1998, S. 32). Von knapp 10000 angemeldeten Empfangsgeräten im April 1924 hatte im Februar 1932 jeder vierte deutsche Haushalt ein Radiogerät, was 12 Millionen Hörern entsprach. „So wird der Rundfunk das Leit- und Symbolmedium der Weimarer Zeit“ (Dammann, 2005, S. 8). Der Nutzen des Rundfunks erweiterte sich schnell vom anfänglichen Unterhaltungs- und Informationsmedium zu kommerziellen und militärischen Zwecken und war bald so etwas wie ein Inbegriff modernen Lebens.
Bei der Frage nach dem Profil der Hörergruppen, wurden schon in der Zeit der Weimarer Republik Frauen als primäre ZielgruppeZielgruppe genannt.
Über Radioangebote konnten Frauen im besonderen Maße angesprochen und gebildet werden. Damit sollten sie gegenüber etwaigen Verführungen durch die Massenkultur gefeit sein. […] Exzessives Radiohören wurde insbesondere Frauen zugeschrieben. […] Das Radio diente als Begleitmedium, während die Hausfrau ihren häuslichen Routineaufgaben nachkam. (Marßolek & Saldern, 1999, S. 26).
In den 1920er und 1930er Jahren kam es nicht nur zu einer Blüte für Werbeschlager, auch die ersten Ausstrahlungen von Werbespots wurden 1924 vertraglich geregelt.
Nach anfänglicher Skepsis der Politiker dem Radio gegenüber, begannen diese, den Rundfunk nicht nur zu Unterhaltungs- sondern auch zu Bildungszwecken einzusetzen. So erkannten die Nationalsozialisten auch bald die Möglichkeiten, die in diesem neuen Medium steckten und nutzten es unter Propagandaminister Joseph Goebbels für ihre ideologischen Zwecke. Mit dem in großen Mengen produzierten VolksempfängerVolksempfänger war das Radio endgültig zum MassenmediumMassenmedien geworden.
Nach dem Krieg änderte sich die Situation in Deutschland drastisch, denn die Siegermächte unterbanden die während des Nazi-Regimes missbrauchte Funktion des Rundfunks als zentrales Instrument der Informationsvermittlung.3 Sie setzten den Rundfunk im Rahmen der Demokratisierung