durch breite Gräben von ihr geschieden, führt festgestampft entlang, doch ist die aufregende Jugendlektüre von Verfolgungen davonjagender Wüstenräuber über Salz- und Sandgelände nicht ohne nachhaltigen Eindruck geblieben, und man muss die Gefahr verkosten. Der Hengst scheint gleichfalls seinen Karl May gelesen zu haben, er will nicht über den Graben, er bockt, ihm das Zauberwort »Rih« ins Ohr zu flüstern oder die Sure des Todes aufzusagen würde kaum etwas fruchten, selbst die wütendsten Fersenhiebe fruchten ja nichts, er bockt nur.
Erst die niederklatschende Nilpferdpeitsche zwingt ihn zum Sprung. Jetzt saust er mit dampfenden Nüstern, als befürchte er, die Geister, die da unten wohnen und ihre silbergrauen Köpfe emporstrecken, könnten ihn an den Fesseln packen und hinabziehen in den schlammigen Sand, den sandigen Schlamm. Ohnehin sinken trotz des tollen Galopps die Pferdehufe tief, tief in den Boden.
Den zweiten Satz über den Straßengraben, den auf den sicheren Weg zurück, tut der Gaul willig, es bedarf keines Fersenhiebs und nicht der Nilpferdpeitsche, noch weiterhin bebt Unruhe unter dem Sattel, sie legt sich erst, bis das Reich der Flittergespenster auch rechts und links verschwunden ist und die vertraute Wüstenebene wieder beginnt.
Nach einer Stunde sprengen von der Welle am Horizont zwei Reiter heran. Das Pferd des einen ist ein Schimmel, prachtvoll aufgezäumt, die Steigbügel sind Häuschen aus getriebenem Silber, Turban und Haïk des Reiters aus Seide und der Burnus aus goldbesticktem blauem Stoff.
Er grüßt und fragt, wohin man reite. Denn er ist der Kaid der nächsten Stadt und besorgt, man könnte ein Inspektor der Verwaltung oder ein Steuerkontrolleur sein. Man ist weder ein Inspektor der Verwaltung noch ein Steuerkontrolleur, was der Kaid erleichtert hört. Er hat beim Militärkommandanten zu tun, deshalb der rassigste Schimmelhengst und das festlichste Zaumzeug, die Offiziere werden alles neidisch mustern, dieweil sein Daira das Ross vor dem Tor am Zügel hält. Im Übrigen wünscht er gute Reise, worauf man erwidert, ihn (der sich sowieso bereichert) möge Gott bereichern, Allah jerzekek.
Rast im Negerdorf. Die Kinder haben kaum jemals einen Weißen gesehen, wie es scheint, nur selten ein Pferd. Sie schreien einander ihre Bemerkungen über den Fremdling zu, unbekümmert darum, dass man sie verstehen könne – versteht doch nicht einmal ein Araber die Sprache der Ruarha, der schwarzen Muselmanen.
Dreijährige, vierjährige Mädchen, alle an der Schläfe tätowiert, knien auf der Straße, die Ärmchen in den Staub stützend, denn auf ihrem Rücken ist eine Last festgebunden: ein Säugling. Der schläft. Fliegen kriechen ihm in die Nasenlöcher, in die Augen und in den Mund, ohne ihn zu wecken. Auch die, die wach sind, Erwachsene und Kinder, stört es nicht, wenn auf ihrem Gesicht dichte Fliegenschwärme schmausen, keine Handbewegung verscheucht sie.
Wie elend ist dieses Dorf. Die engen Gassen sind manchmal überwölbt, manchmal auch unten zusammengeschoben, wo sich die Lehmhütten zu einer Art Bank ausbuchten. Darauf hocken, damit die Fliegen etwas zu fressen haben, die Männer des Dorfes und dösen, neben sich einen Kessel, in dem Bohnen in Wasser kochen. Nur vor einer Tür arbeiten zwei Männer; sie flechten Palmenzweige, nachdem sie sie durch einen Biss längsseits gespalten haben, zu Matten.
In manchen Gässchen, heißen Röhren, können die auf Eseln reitenden Knaben ihre Beine nicht spreizen, derart nah stehen die Hütten einander gegenüber. Die Kamele muss man aus einiger Entfernung für Strauße halten, so klein sind sie, so mager ihr Hals, ihre Beine. Als Haustür dient ein Geflecht aus Palmenblättern, bestenfalls einige Kistenbretter. Selbst das Mauerwerk der Priestergräber ist nicht intakt – wie fern liegt Nordalgerien, wo man die Grüfte der Marabuts mit Opfergaben schmückt, mit bunten Seidentüchern, mit bestickten Fahnen, mit blauen Kacheln, mit goldenen Halbmonden, mit kostbaren Teppichen, mit riesigen Straußenfedern, und wo fast nirgends, als einziges von den Arabern anerkanntes Wunderwerk des Westens, eine große Empire-Standuhr fehlt, die man auf den erbeuteten Schiffen der Giaurs fand!
Zwei, drei Kaufmannsläden, je eine Dattelwaage hängt darin, ein Karton mit winzigen Fläschchen billigsten Parfüms, kanariengelbe Tücher, Ledertäschchen für Amulette, einige Streichhölzerpäckchen, Spiegel und Glasperlen.
Nicht einmal ein Kaffeehaus gibt es, der kleinste Duar der braunen Araber hat ihrer zehn. Nur süßen Pfefferminztee kann man bekommen, der Kaufmann bereitet ihn, und da er fünfzig Franken nicht zu wechseln vermag, macht er eine gleichmütige Handbewegung, schenkt dem Gast die Zeche.
Der schwingt sich wieder aufs Pferd, das die Jugend staunend umsteht, ein Knabe hält den Halfter, erhält eine Zigarette, o Sensation: eine fertige Zigarette!, man reitet weiter, um den Bordj, der zum Nachtquartier ausersehen ist, noch vor Sonnenaufgang zu erreichen, insch’ Allah, wenn Gott will.
1 islamischer Heiliger <<<
Seine Majestät die Nickmaschine
Keine Operette kann das Hofleben eines exotischen Monarchen läppischer darstellen, als es das Seiner Hoheit des Beys von Tunis ist.
Bekanntlich ist Tunis nicht etwa französische Kolonie, sondern ein selbstständiges Reich, das unter französischem Protektorat steht. Das heißt, der Bey hat ohne Widerspruch das anzuordnen, was der französische Generalresident von ihm verlangt, und das Volk hat ohne Widerspruch zu gehorchen, denn der Bey ist absolutistischer Regent.
Dieses System hat den Vorteil, dass die Eingeborenen für ihr Unglück nur den angestammten Monarchen verantwortlich machen könnten, und solches verbietet ihnen die Religion; ferner hat das Pariser Parlament, dessen Opposition zum Beispiel die Maßnahmen der französischen Regierung in Algerien unangenehm kritisiert, in tunesische Dinge nichts hineinzureden. Was geht’s die französische Regierung an, was der Bey von Tunis, ein Selbstherrscher, verfügt?
Die Thronfolgeordnung von Tunis kommt dieser Regierungsweise sehr zustatten. Stirbt ein Bey, so wird weder sein Sohn noch ein gewähltes Mitglied der Familie sein Nachfolger, sondern der älteste Prinz aus dem seit zweihundertzwanzig Jahren regierenden Hause der Husseniten. So ist der neue Fürst gewöhnlich fünfundsechzig Jahre alt und hat nicht Lust und Temperament, sich durch unbesonnenen Widerstand den Lebensabend zu vergällen.
Gegenwärtig schwingt Mohammed el Habib Bey das Zepter, der schon vor sechzig Jahren – damals