Egon Erwin Kisch

Wagnisse in aller Welt


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man woll­te, ihn höchs­tens durch die Ver­lei­hung des Or­dens Nischan If­tik­har ab­spei­send; zu den fet­ten Jah­ren ge­hör­ten fer­ner die, in de­nen die War­te­zim­mer der fran­zö­si­schen Ok­ku­pa­ti­ons­be­hör­den voll wa­ren von Kauf­leu­ten und Ge­wer­be­trei­ben­den aus der Ge­gend von Bar­do, des Kas­bah-Plat­zes, von La Mar­sa auf den Trüm­mern Kar­tha­gos und an­de­ren Or­ten Tu­ne­si­ens, wo die Hus­se­ni­ten ihre Sch­lös­ser hat­ten; es wa­ren Gläu­bi­ger, sie prä­sen­tier­ten Rech­nun­gen und er­hiel­ten sie be­zahlt. Die ma­ge­ren Jah­re aber be­gan­nen am 11. Juni 1902, als vor Stadt und Welt und ara­bisch und fran­zö­sisch, also urbi et orbi et arbi et rumi, kund­ge­tan wur­de das De­cret sur l’ad­mi­nis­tra­ti­on des biens bey­li­caux:

      »Jede Aus­ga­be, jede Rech­nung, je­der Ver­trag, wel­cher­art sie auch im­mer sei­en, dar­auf ab­zie­lend, die Per­son oder die per­sön­li­chen Gü­ter der Herr­scher­fa­mi­lie zu ir­gen­det­was zu ver­pflich­ten, sind nicht gül­tig und kön­nen dem be­tref­fen­den Mit­glie­de des Herr­scher­hau­ses, auch wenn sie von ihm be­foh­len oder si­gniert sind, nicht als For­de­rung vor­ge­legt wer­den, so­bald sie nicht mit Au­to­ri­sa­ti­on des Bey durch den be­son­de­ren Ad­mi­nis­tra­tor un­se­rer Zi­vil­lis­te vi­diert sind.«

      Mit die­sem schä­bi­gen De­kret hör­te je­der Kre­dit auf, man muss­te sich mit der Apa­na­ge be­schei­den, und es lässt sich den­ken, dass un­ser Freund Mo­ham­med el Ha­bib heil­froh war, end­lich den Thron sei­ner On­kel zu be­stei­gen und eine Zi­vil­lis­te von 280 000 Fran­ken im Mo­nat zu er­hal­ten.

      Da­mals war er nicht nur ein al­ter, son­dern auch kränk­li­cher Mann, und der fran­zö­si­sche Re­si­dent be­müh­te sich, die Krö­nungs­fei­er­lich­kei­ten hin­aus­zu­zie­hen – sol­che Din­ge kos­ten Geld, und man will sie des­halb nicht all­zu rasch wie­der­ho­len.

      Aber wie sich be­kann­ter­ma­ßen Päps­te und Staats­prä­si­den­ten nach ih­rer Wahl er­staun­lich rasch ver­jün­gen, er­ging es auch nach dem 10. Juli 1922 dem neu­en Bey, der sich bald dar­auf in fei­er­li­cher Wei­se aber­mals ver­mähl­te. Die Lan­des­mut­ter war nur über zwei­und­fünf­zig Jah­re jün­ger als ihr kö­nig­li­cher Ge­mahl, nach ei­ni­gen An­ga­ben war sie drei­zehn, nach an­de­ren fünf­zehn Jah­re alt (der Go­thai­sche Hof­ka­len­der ver­schweigt de­li­kat die Da­men der ori­en­ta­li­schen Herr­scher­häu­ser), si­cher je­doch ist, dass sie die Toch­ter ei­nes Grün­zeug- und Milch­händ­lers war und die Unklug­heit oder Klug­heit be­gan­gen hat­te, sich un­ver­schlei­ert vor dem vor­bei­ge­hen­den Kö­nig zu zei­gen.

      Die­ser be­sitzt zwei Söh­ne von etwa vier­zig Jah­ren, eine sei­ner Gat­tin­nen lebt ein­ge­schlos­sen in Me­non­ba, die an­de­re im Som­mer­schloss La Mar­sa, wäh­rend die drit­te und jüngs­te im Dar el Bey zu Tu­nis schläft, im­mer zur Sei­te ih­res Gat­ten sitzt und ihm, eine lie­ben­de Bey-Sit­ze­rin, be­reits eine klei­ne Prin­zes­sin ge­schenkt hat.

      Sonst hat der Bey von Tu­nis we­nig zu tun. Er un­ter­schreibt und sie­gelt die von der fran­zö­si­schen Re­si­den­tur ver­fass­ten Er­läs­se, na­tür­lich nicht er selbst, es gibt einen Mi­nis­ter der Fe­der und einen Groß­sie­gel­be­wah­rer. Drei­mal im Jahr hat er die mar­mor­ne Lö­wen­trep­pe des Palas­tes Bar­do hin­an­zu­stei­gen, am Aid el Ke­bir, dem Tage des Op­fer­lamms, am Mor­gen des Mu­lud, dem Ge­burts­ta­ge des Pro­phe­ten, wor­auf er mit sei­nem Ge­fol­ge die be­leuch­te­ten und be­kränz­ten Ge­schäf­te in den Suks ab­schrei­tet, und am Aid es Seg­hir, am Ende des Ra­ma­dan-Mo­nats. Dort in Bar­do, wo die Wän­de mit Ala­bas­ter aus Kar­tha­go, mit tu­ne­si­schen Fayencen aus Na­beul, mit mau­ri­schen Stuck­a­ra­bes­ken und mit rie­si­gen Por­träts eu­ro­päi­scher Kai­ser ge­schmückt sind und der Thron­ses­sel mit ei­nem rie­si­gen Bril­lan­ten, reicht er den Wür­den­trä­gern sei­nes Rei­ches die Hand zum Kus­se und nickt den Ehren­gäs­ten gnä­dig zu, so wie er die von den Fran­zo­sen vor­ge­leg­ten Ge­set­ze mit ei­nem Kopf­ni­cken zu emp­fan­gen und zu un­ter­fer­ti­gen hat, wo­für er das Sa­lär von drei­ein­halb Mil­lio­nen Fran­ken per Anno be­zieht. Ebener­dig ist ein Saal, in dem er je­dem zum Tode ver­ur­teil­ten und nicht be­gna­dig­ten Un­ter­tan ins Ge­sicht sa­gen muss, dass er ihn nicht be­gna­digt habe.

      Dem Herr­scher bleibt also aus­gie­big viel Zeit, sich sei­nen Pri­vat­pas­sio­nen zu wid­men. Mo­ham­med el Ha­bib übt drei Spor­te aus: ers­tens das Do­mi­no­spiel, zwei­tens das ita­lie­ni­sche »Sco­pa«, ein Spiel mit vier­zig Kar­ten, und drit­tens den Fisch­fang; man kann in La Mar­sa wäh­rend des gan­zen Som­mers den Bey von Tu­nis stun­den­lang an der Bai von Tu­nis mit der An­gel­ru­te sit­zen se­hen. Mit Vor­lie­be näht er An­zü­ge und kocht, was nur für die Be­tei­lig­ten un­an­ge­nehm ist.

      Au­ßer­dem bil­det er sich auch ein, ein Ma­ler zu sein. Das über­le­bens­große Selbst­bild­nis im Au­di­enz­saal ist von Fach­leu­ten der­art kor­ri­giert wor­den, dass es in­mit­ten der an­de­ren Por­trät­kit­sche nicht auf­fällt, je­doch bei den Ar­ran­geu­ren der Kunstaus­stel­lung von Tu­nis er­reg­te es vor zwei Jah­ren pein­li­ches Auf­se­hen, als plötz­lich ein Öl­ge­mäl­de des Prä­si­den­ten Mil­le­rand, ge­malt von Sei­ner Ho­heit, an­kam, um aus­ge­stellt zu wer­den. Das ging nicht – bei al­ler loya­len Ge­sin­nung ging das nicht. Man muss­te im »Palast der fran­zö­si­schen Ge­sell­schaf­ten«, wo der Sa­lon ver­an­stal­tet wur­de, ein Zim­mer als »Ex­po­si­ti­on ori­en­ta­li­scher Mö­bel« ein­rich­ten, und dort­hin hing man nun den Prä­si­den­ten der fran­zö­si­schen Re­pu­blik.

      Bar­geld be­kommt der Bey sehr we­nig in die Hand, und da er von Schma­rot­zern um­ge­ben ist und gleich am Mo­nats­ers­ten al­les ver­schleu­dert und da sei­ne Er­läs­se, ver­mit­tels wel­cher er ver­schie­de­ne Lie­fe­ran­ten mit dem Nischan If­tik­har aus­zu­zeich­nen die Gna­de hat, von der Re­si­den­tur ad acta ge­legt wer­den, borgt ihm kein Mensch einen Sou. Der Gla­ser, der ge­holt wird, der Flei­scher, der täg­lich kommt, die Ärz­te, die eine un­heil­ba­re Krank­heit des Bey seit Jah­ren be­han­deln, wol­len vor­her be­zahlt sein.

      Was Wun­der, dass Sei­ne Ho­heit ewig Geld ver­langt, un­ge­hal­ten wird, wenn man kei­nes gibt, und ei­nes schö­nen Ta­ges sei­nen Mi­nis­ter­prä­si­den­ten Mu­sta­pha Du­gez­li win­del­weich prü­gel­te, weil eine sol­che For­de­rung ab­ge­lehnt wur­de. Schnur­stracks lief der miss­han­del­te Pre­mier zu sei­nem ei­gent­li­chen Vor­ge­setz­ten, dem fran­zö­si­schen Ge­ne­ral­re­si­den­ten, und be­schwer­te sich, wor­auf Mon­sieur Saint mit Du­gez­li und ei­nem Angst-ein­flö­ßen-sol­len­den Rei­ter­fähn­lein beim Bey vor­fuhr. Kaum sah die­ser die böse Mie­ne des Mon­sieur Saint, so fiel er dem Du­gez­li um den Hals und tat, als